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# taz.de -- Rassismus-Debatte in Österreich: Ich überfordere euch jetzt
> Früher, als wir Migrant*innen schwach und hilflos waren, habt ihr gerne
> geholfen. Nun da wir Stimmen haben, passen wir euch nicht mehr.
Bild: Kundgebung für eine menschliche Asylpolitik und gegen Rassismus in Wien,…
Österreich tut sich schwer im Umgang mit Rassismus. Lange sah sich das Land
als erstes Opfer des Nationalsozialismus. Irgendwann begann man sich dann
doch mit seinem Nazihintergrund zu beschäftigen und
Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Wenngleich es noch immer
österreichische Politiker*innen gibt, die trotz rechtsradikaler
Entgleisungen nicht sofort ausgeschlossen werden – „Einzelfälle“ nennt m…
das hierzulande gern.
Gesamtgesellschaftlich könnte man aber sagen, dass Antisemitismus in
Österreich offiziell nicht geduldet wird. Was Rassismus gegenüber anderen
Minderheiten angeht, ist man sich nicht so einig. Es herrscht die Annahme,
dass es zwischen eindeutigen Nazis und allen anderen keine rassistischen
Grautöne gibt. Wenn du noch nie „scheiß Ausländer“ gesagt hast, kannst du
kein Rassist sein.
Ich halte oft Vorträge zum Thema. Jedes Mal passe ich Ton und Inhalt an das
Publikum an, denn ich habe gelernt: man darf die autochthonen Zuhörer*innen
nicht überfordern. Sie hören nicht gern, dass auch „Woher kommst du
wirklich“-Fragen rassistisch sind. Denn sie stellen diese Frage doch so
gerne – und auch nur aus Interesse. Vor allem lassen sie sich nicht gerne
von mir, einer Migrantin, erklären, was sie jetzt noch fragen oder sagen
dürfen. Ob diese Haltung denn nicht schon rassistisch ist?
Wenn sie nach meinen Vortrag oder währenddessen aufzeigen, um mir zu
erklären, warum ich falsch liege, erzählen sie mir gerne, wie sie damals
1992 bosnischen Flüchtlingen wie mir geholfen haben. Ja, als wir
Migrant*innen arm und schutzlos waren und jemanden gebraucht haben, der für
uns spricht, da haben sie uns unterstützt (wofür wir unglaublich dankbar
sind).
## Gut, aber bitte nicht besser
Aber jetzt, wo eben diese Migrant*innen eine eigene Stimme haben, vor ihnen
stehen und erklären, was falsch läuft, passt ihnen das nicht mehr. Man will
ja, dass es den Migrant*innen gut geht – aber bitte nicht besser als einem
selber.
Das Thema Migrantenquote in wichtigen Positionen hat sich in Österreich
noch niemand gewagt anzusprechen. Stellenausschreibungen, die Menschen mit
Diskriminierungserfahrungen bevorzugen und in Deutschland nicht unüblich
sind, würden hierzulande eine Welle der Empörung auslösen. Es ist auch kein
Zufall, dass das Kopftuch erst zum Streitfall geworden ist, seit es nicht
mehr die Putzkräfte sind, die Kopftuch tragen, sondern Akademiker*innen.
Doppelte Staatsbürgerschaften sind in Österreich ein Tabuthema.
Je älter ich werde, umso mehr Wissen ich mir zu dem Thema aneigne, aber
auch je klarer ich sehe, dass Bildung und Fleiß allein mir eben nicht
dieselben Chancen wie gebürtigen Österreicher*innen eröffnen, desto weniger
möchte ich mit meinen Worten Rücksicht auf die Befindlichkeiten der
Mehrheitsgesellschaft nehmen. Denn Rassismus ist nicht nett, er nimmt keine
Rücksicht auf meine Befindlichkeit. Wir müssen endlich einen ehrlichen
Rassismus-Diskurs in diesem Land führen, nur so kann Gegenwartsbewältigung
stattfinden.
16 Dec 2019
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Nachsitzen
Migration
Österreich
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