Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klassismus in Sprache und Auftreten: Die piekfeine Tanzschule
> Mit fünfzehn wollte ich dazugehören, also buchte ich einen Tanzkurs. Aber
> noch heute sind mir die Codes der bürgerlichen Schicht fremd.
Bild: Eröffnung des Strauss-Balls in Wien durch Schüler*innen der Elmayer-Tan…
Ich bin in einem noblen Vorort von Wien zur Schule gegangen. Der Großteil
meiner Schulkolleg*innen hatte im Gegensatz zu mir Akademikerbackground.
Mit fünfzehn sind meine Freundinnen in den Tanzkurs der renommierten Wiener
Tanzschule Elmayer gegangen, also habe ich mein Erspartes genommen und bin
mit. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Elmayer sein sollte, ich verstand
auch nicht ganz, wieso sein Tanzkurs im kleinen stickigen Saal mehr kostete
als andernorts, aber ich wollte [1][dazugehören].
Der erste Schock: Die anderen trugen schicke Kleider und Blazer, die ich
nicht besaß. Außerdem waren wir hier, um Standardtänze zu lernen, aber
irgendwie konnten alle außer mir schon Walzer tanzen. Diese und viele
andere Anekdoten fallen mir ein, als die Politikwissenschaftlerin
[2][Natascha Strobl auf Twitter] ihre Erfahrungen mit bürgerliches Codes
teilt.
Als wir mit dem Tanzkurs in ein schickes Restaurant gingen, um zu lernen,
wie man sich dort verhält, erhoffte ich mir, diese Codes nachzuholen. Ich
wusste danach zwar, welche Gabel man für welchen Gang verwendet, aber als
Thomas Schäfer-Elmayer höchstpersönlich vorschlug, Small Talk über eines
der Gemälde im Restaurant zu führen, bekam ich Panik. Ich hatte keine
Ahnung von Kunst, hatte mit meinen Eltern nie ein Museum oder Theater
besucht.
Auch wenn ich das mittlerweile fast alles in der Theorie nachgeholt habe,
gehe ich heute noch ungern in edle Restaurants oder Bars, ich fühle mich
fehl am Platz, ich weiß noch immer nicht so recht, welchen Wein man zu
welchem Gericht trinkt und wie man bestimmte Speisen ausspricht. Als mich
vor ein paar Jahren jemand, der mich wohl nicht sehr gut kannte, in ein
solches Restaurant ausführte, bestellte ich Beef Tartare im Glauben, es
würde sich um ein Fleischgericht mit Tartarensauce handeln.
## Die Pflege der Sprache ist nicht unsere Aufgabe
Auch die [3][bürgerliche Sprache] ist mir bis heute fremd, trotz
abgeschlossenem Germanistikstudium. Gewisse Redewendungen, Floskeln,
lateinische Sprüche prägen sich schwerer ein, wenn sie nicht schon in der
Kindheit oder Jugend gehört wurden. Das ist auch der Grund, weshalb ich
erst mit Mitte zwanzig zur Feministin wurde, als leichter verständliche
feministische Literatur populär wurde. Die Sprache von [4][Judith Butler]
und den Professor*innen, die Gendervorlesungen hielten, war so fern meines
Verständnisses, dass ich mir damals stattdessen lieber „Minnesang im
Mittelalter“ als Gendervorlesung anrechnen ließ.
Dass auch der Journalismus eine durch und durch bürgerliche Branche ist,
merkte ich, als ich bei Beiträgen von Kolleg*innen nachfragen musste, was
einige der Fremdwörter, die sie verwendeten, bedeuten sollten. Als ich
vorschlug, einfachere Sprache zu verwenden, entgegnete man mir, dass man
bei der Verrohung des Deutschen nicht mitmachen wolle.
Journalist*innen sollten doch informieren und alle erreichen, die Pflege
der deutschen Sprache ist nicht unsere Aufgabe. Oder ist das auch so ein
Code, den ich nicht verstehe?
27 Jan 2020
## LINKS
[1] /Stiftungen-foerdern-soziale-Ungleichheit/!5637088
[2] https://twitter.com/Natascha_Strobl/status/1218834000430686210?s=20
[3] /Kommentar-Diskriminierung/!5543134
[4] /Feministische-Philosophie-und-Koerper/!5487457
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
Kolumne Nachsitzen
Klassismus
Bürgerliche Mitte
Tanzen
Kolumne Nachsitzen
Kolumne Nachsitzen
Kolumne Nachsitzen
Kolumne Nachsitzen
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Nachsitzen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Was Schüler:innen lesen müssen: Weiß und autochthon
Die Pflichtlektüre in deutschen und österreichischen Schulen ist nicht nur
sehr männlich – es fehlen auch Autor:innen mit Migrationshintergund.
Pflege und Arbeit in Zeiten von Corona: Meine Mutter erhält das System
Die Arbeit meiner Mutter ist anstrengend und schlecht entlohnt. Klatschen
hilft ihr wenig, fairer Lohn und Pension dagegen schon.
Abwehr von Geflüchteten: Sie sind keine Naturkatastrophe
Es braucht keine eigene Fluchterfahrung, um die Unmenschlichkeit der
EU-Politik zu erkennen. Aber sie wird noch deutlicher spürbar.
Kopftuchverbot in Österreich: Probleme verstecken
Österreichs neue Koalition will Schülerinnen unter 14 das Kopftuch in der
Schule verbieten. Die Grünen versuchen sich das schönzureden.
Rassismus-Debatte in Österreich: Ich überfordere euch jetzt
Früher, als wir Migrant*innen schwach und hilflos waren, habt ihr gerne
geholfen. Nun da wir Stimmen haben, passen wir euch nicht mehr.
Sprache und Integration: Stiller Widerstand auf Deutsch
Als Kind lernte ich, die deutsche Sprache zu lieben – während mein Vater
sie zu hassen anfing. Für mich barg sie Chancen, für ihn nur Schikane.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.