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# taz.de -- Chiles Gipfelabsagen: Der nackteste Kaiser aller Zeiten
> Beim Apec-Gipfel und bei der Klimakonferenz wollte Chile sich der Welt
> präsentieren. Die Absagen sind der Offenbarungseid eines Blenderstaats.
Bild: Die soziale Ungleichheit in Chile zeigt, wie ein radikales Politikmodell …
Natürlich hätte Chiles Regierung es irgendwie hinbekommen, im November den
asiatisch-pazifischen Wirtschaftsgipfel Apec und im Dezember die
Klimakonferenz zu organisieren. Auch andere Regierungen haben sich in der
Vergangenheit für Straßenproteste nicht weiter interessiert, wenn es darum
ging, das eigene Land auf großer Weltbühne zu repräsentieren – sofern sie
über einen funktionierenden Repressionsapparat verfügen, um die Sicherheit
der Besucher*innen dennoch zu garantieren. Den hat Chile, daran konnten in
den letzten zwei Wochen leider keine Zweifel aufkommen.
Dennoch konnte der rechtskonservative Präsident Sebastián Piñera nicht
anders, als beide Gipfel [1][abzusagen]. Das ist weniger ein Rest
politischen Anstands als vielmehr die blanke Not. Gerade weil Piñera weder
zum Rücktritt noch zu wirklich grundlegenden Reformen bereit ist, musste er
die Gipfel absagen.
Wären es nur die [2][Student]*innen gewesen, die wie schon seit einigen
Jahren durchaus massiv gegen schlechte Ausbildung bei gleichzeitig
exorbitanten Studiengebühren auf die Straße gehen – geschenkt. Irgendwelche
[3][Mapuche], die gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage protestieren –
kratzt niemanden.
Aber was sich auf den Straßen Chiles entwickelt hat, ist viel mehr. Chile
ist seit vielen Jahren so etwa wie der internationale Blenderstaat Nummer
1. Die guten Wirtschaftsdaten, Jahrzehnte des Wachstums, im regionalen
Vergleich niedrige Korruption (in Südamerika steht nur Uruguay im [4][Index
von Transparency International] noch besser da), mehrfacher friedlicher
demokratischer Machtwechsel zwischen links- und rechtsgeführten Regierungen
– das klingt alles großartig.
Die rund eineinhalb Millionen Menschen, die am vergangenen Freitag im
ganzen Land [5][demonstriert] haben, zeigen [6][ein anderes Chile]. Eines,
das noch immer unter der Verfassung der Pinochet-Diktatur lebt. Eines, das
eine der ungleichsten Einkommens- und Vermögensverteilungen weltweit
aufweist. Eines, dessen Staatswesen sich in einem von der Diktatur
durchgeprügelten System der neoliberalen Orthodoxie aus den sozialen
Aufgaben eines modernen Staates weitgehend zurückgezogen hat. Kurz: Eines,
das nach außen bestens funktioniert. Nur nicht für den Großteil seiner
Bürger*innen.
Es war genau dieses Chile, das Piñera auf dem Apec- und dem Klima-Gipfel
präsentieren wollte. Er wähnte sich im eleganten Smoking mit Bio-Rose im
Knopfloch. Jetzt steht er so nackt da wie noch selten ein Präsident vor
ihm.
Für die Protestbewegung wäre das Abhalten der Gipfel eine Provokation, aber
auch eine Chance gewesen. So viel Weltöffentlichkeit wie bei einer
Klimakonferenz ist selten. Piñera zu diesem Offenbarungseid gezwungen zu
haben, ist ein Erfolg. Verändert ist damit aber noch nichts.
Die Bewegung braucht jetzt einen langen Atem. Und die Weltöffentlichkeit
muss trotzdem hinschauen. Statt Staats- und Regierungschefs kommen nun
[7][Menschenrechtsermittler*innen], um die Gewalt von Polizei und Militär
zu dokumentieren und anzuklagen. Auch dafür brauchen die Chilen*innen
Unterstützung. Oder noch besser: Solidarität.
31 Oct 2019
## LINKS
[1] /Wegen-schwerer-Proteste/!5634935
[2] /Proteste-gegen-Bildungsreformen-in-Chile/!5303243
[3] /Chiles-Umgang-mit-indigenen-Mapuche/!5424618
[4] https://www.transparency.org/cpi2018
[5] /Demonstration-in-Chile/!5636231
[6] /Wissenschaftler-ueber-Proteste-in-Chile/!5635718
[7] https://www.cnnchile.com/pais/investigadora-amnistia-internacional-viendo-e…
## AUTOREN
Bernd Pickert
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Protest
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