# taz.de -- Protestaktionen der Mapuche: Kampf um Land in Chile | |
> Neue Stufe im Konflikt um Land und Ressourcen: In Chile wurden Rathäuser | |
> gestürmt, die von Angehörigen der indigenen Mapuche besetzt waren. | |
Bild: 4. August 2020: Ana Llao, Mapuche-Führerin, nimmt an einer Demonstration… | |
BUENOS AIRES taz | In Chiles Provinz Araukanien brodelt es. Ende Juli | |
hatten Angehörige des Mapuchevolkes fünf Rathäuser besetzt. Weil die | |
Bürgermeister keine Räumung anordneten, versuchten Anwohner*innen in den | |
Orten Curacautín und Victoria mit Holz- und Eisenstangen bewaffnet die | |
Rathäuser auf eigene Faust zu räumen. Rassistische Parolen rufend | |
verschafften sie sich gewaltsam Zugang. Schließlich wurden alle Rathäuser | |
von Carabineros geräumt. | |
Mit den Besetzungen wollten die Mapuche ihre 28 hungerstreikenden | |
inhaftierten Volksangehörigen unterstützen. Die meisten von ihnen sind | |
wegen mutmaßlicher Landbesetzungen oder Brandstiftungen verurteilt oder | |
sitzen in Untersuchungshaft. Einige verweigern seit Mai das Essen. Am | |
Dienstag sind es 100 Tage. Seit vergangener Woche verweigern sie zudem die | |
Aufnahme von Flüssigkeit. Inzwischen ist der Gesundheitszustand bei einigen | |
mehr als kritisch. | |
Wegen der Gefahr einer Covid-19-Erkrankung in den engen Gefängnissen | |
fordern sie eine Verlegung in den Hausarrest. Doch während die Regierung | |
bei anderen Häftlingen einer Überstellung in den Hausarrest zustimmte, | |
verweigert sie den Mapuche jegliches Zugeständnis. | |
„Der Druck der Anwohner hat die Carabineros zur Räumung gedrängt“, erklä… | |
Victorias Bürgermeister Javier Jaramillo. „Zum ersten Mal standen sich | |
Bürger und Bürger gewaltsam gegenüber“, so Jaramillo. Nach Angaben der | |
Carabineros wurden 48 Personen festgenommen, darunter 13 Minderjährige, | |
allesamt Mapuche mit zum Teil schweren Verletzungen. Festnahmen der | |
randalierenden Anwohner*innen wurden keine gemeldet. Die Rathäuser in den | |
Orten Ercilla und Traiguén brannten aus. | |
## Innenminister wusste, dass er zündelt | |
Die Wut der Bürgermeister richtet sich gegen Innenminister Víctor Pérez. | |
Pérez gehört der ultrarechten und pinochettreuen Partei UDI an und war | |
von Staatspräsident Sebastián Piñera am 28. Juli zum Innenminister ernannt | |
worden. „Ich werde Araukanien besondere Aufmerksamkeit schenken“, kündigte | |
er an und reiste tags darauf in die Provinz. | |
Ohne mit den fünf Bürgermeistern zu sprechen, verlangte er die Räumung der | |
Rathäuser. In den sozialen Netzwerken wurde das als ein Freibrief zum | |
Handeln interpretiert. Ein Tag später wurden die Rathäuser gestürmt. | |
Pérez wusste, dass er zündelt. In den Monaten Juni und Juli wurden in den | |
Provinzen Araukanien, Biobío, Los Ríos und Los Lagos knapp 250 Vorfälle bei | |
Mapuche-Protesten registriert, teilte Chiles Generalstaatsanwaltschaft | |
gerade mit. Neben Demonstrationen zählen dazu auch Landbesetzungen, | |
Straßenblockaden, Brandanschläge auf Scheunen und Ernten sowie Lkws für den | |
Holztransport. | |
Erst in der vergangenen Woche brannten zehn Lastkraftwagen und drei | |
Baufahrzeuge aus. Die Vorfälle werden radikalisierten Mapuche-Gruppen als | |
terroristische Gewalttaten vorgeworfen. Nicht erfasst ist die nahezu | |
tägliche Repression der Carabineros bei ihren Patrouillen gegen die | |
Mapuche. | |
## Lang andauernder Kampf um Land | |
„Zum letzten Mal fordern wir die Exekutive, Legislative und Judikative dazu | |
auf, die Rechtsstaatlichkeit im gesamten Staatsgebiet durchzusetzen. | |
Andernfalls erklären wir uns frei, andere Aktionen und Maßnahmen zu | |
ergreifen“, steht in einer [1][Erklärung von 165 Unternehmen] und deren | |
Verbänden aus der Region. Der bestehende „Terrorismus“ erlaube es nicht, in | |
Frieden zu arbeiten oder zu leben, heißt es in dem Schreiben vom 7. August. | |
Gemeint sind damit die Protestaktionen der Mapuche. | |
Mit rund 1,6 Millionen Angehörigen sind die [2][Mapuche] das größte | |
indigene Volk des Andenstaates und stellen gut 9 Prozent der rund 17,5 | |
Millionen ChilenInnen. Sie sind in den zentralen und südlichen Provinzen | |
Bio-Bío, Araukanien und Los Ríos beheimatet. Ein Großteil lebt in der | |
Hauptstadt. Sie sind keine homogene Gemeinschaft, die an einem Strang | |
zieht. Vielen geht es jedoch um Selbstbestimmung und das Recht auf ihr | |
Land. | |
Sie berufen sich dabei auf die [3][Konvention 169 der Internationalen | |
Arbeitsorganisation (ILO)], die Chile 2008 angenommen hatte und das „den | |
wirksamen Schutz ihrer Eigentums- und Besitzrechte“ fordert. In den | |
heftigen Konflikten mit Staat, Regierung und den mit ihnen verflochtenen | |
Konzernen aus Bergbau, Holz- und Zellulosewirtschaft geht es um den Zugriff | |
auf die natürlichen Ressourcen. | |
11 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://media.elmostrador.cl/2020/08/declaracion-publica-multigremial.pdf | |
[2] /Chiles-Umgang-mit-indigenen-Mapuche/!5424618 | |
[3] https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@ed_norm/@normes/documents/publica… | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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