| # taz.de -- Gericht begrenzt Hartz-IV-Sanktionen: „Grundeinkommen wäre ein A… | |
| > Der Soziologe Jürgen Schupp begrüßt das Karlsruher Urteil. Die | |
| > Ungleichbehandlung von unter 25-Jährigen müsse allerdings noch vom | |
| > Gesetzgeber bereinigt werden. | |
| Bild: Die Angst vor einer Sperrung des Arbeitslosengelds muss es künftig nicht… | |
| taz: Herr Schupp, das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionierung von | |
| Hartz-IV-Empfängern [1][teilweise für grundgesetzwidrig erklärt.] Ab sofort | |
| ist die Kürzung des Regelsatzes um maximal 30 Prozent möglich. Gut so? | |
| Jürgen Schupp: Na ja, es gibt jetzt zumindest keine [2][„Sanktionskaskade“] | |
| mehr. Ab sofort muss eine Härtefallprüfung stattfinden, die | |
| Verhältnismäßigkeit muss im Einzelfall geprüft werden. Das ist in meinen | |
| Augen schon ein Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit und einer Minderung | |
| von Ängsten bei den Betroffenen. | |
| Existenzsicherung heißt in Deutschland: Wohnung, Mobilität, | |
| Gesundheitsversorgung. Zumindest die Mobilität ist doch gefährdet, wenn ein | |
| Regelsatz von 424 Euro dann auch noch um 30 Prozent gemindert wird, oder? | |
| Rechtssicherheit hin oder her. | |
| Das ist die Ultima Ratio, wohlgemerkt! Und es gibt jetzt eine | |
| Beweislastumkehr: Ab sofort muss das Jobcenter belegen, dass nur durch eine | |
| Kürzung eine Mitwirkung erreicht werden kann. Außerdem hat das Gericht ja | |
| die starre Regel gekippt, dass eine Sanktion frühestens nach mehreren | |
| Monaten enden darf. Die existenzielle Furcht für die Betroffenen wurde ein | |
| Stück weit gebannt. | |
| Nicht für die unter 25-Jährigen, die schon beim ersten Fehlverhalten die | |
| komplette Kürzung ihres Regelsatzes akzeptieren müssen. Das war gar nicht | |
| erst Gegenstand des Verfahrens in Karlsruhe. | |
| Ja, das ist in der Tat interessant. Das Verfassungsgericht scheint diese | |
| Problematik gar nicht richtig wahrgenommen zu haben. Dabei ist die | |
| Wirksamkeit strenger Sanktionen für diese Kohorte ja genauso wenig belegt | |
| wie für die über 25-Jährigen. | |
| Also kann das Sanktionsregime nicht einmal so eine Art „instrumentelle | |
| Vernunft“ für sich in Anspruch nehmen? Es bringt schlicht und ergreifend | |
| nichts? | |
| Das muss man in der Tat feststellen. Die bislang vorliegenden | |
| vermeintlichen Belege für die Effektivität der Leistungsminderungen | |
| scheinen den Richtern in Karlsruhe nicht stichhaltig genug gewesen zu sein. | |
| Es gibt einfach keine Evidenz! | |
| Roland Rosenow hat im Freitag auf das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von | |
| 1961 aufmerksam gemacht, das ermöglichte, Menschen wegen „Arbeitsscheu“ in | |
| „Arbeitshäusern“ unterzubringen. Mit den Hartz-Reformen erlebte der „Spuk | |
| eine Renaissance“, schreibt er weiter. Das stimmt schon, oder? Im Jahr 2007 | |
| wurden die Sanktionsregeln sogar verschärft … | |
| Ja! Aber ich denke schon, dass das heutige Urteil auf dieser Ebene einen | |
| Mentalitätswandel bestätigt. Das ist ja schon seit einiger Zeit zu | |
| beobachten. Könnte Franz Müntefering in der SPD-Fraktion heute noch die | |
| Bibel zitieren und sagen: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“? Das | |
| ist doch zynisch … | |
| Lassen Sie uns noch einen Moment über Politik sprechen. Mit dem Urteil | |
| werden die Sozialpolitiker von CDU und SPD gleichermaßen ruhig schlafen | |
| können. Ist heute ein guter Tag für die Groko? | |
| Man hat ihnen die Arbeit abgenommen! Jetzt braucht es kein elftes | |
| Änderungsgesetz des Sozialgesetzbuches mehr – das Urteil tritt sofort in | |
| Kraft. Trotzdem gäbe es genug zu tun: Die Ungleichbehandlung von unter | |
| 25-Jährigen, über die wir ja schon sprachen, sollte vom Gesetzgeber | |
| bereinigt werden. Damit würde man der nächsten Klage die Grundlage | |
| entziehen. | |
| In Verbindung mit Ihrem Namen stößt man auf das Thema [3][„bedingungsloses | |
| Grundeinkommen“]. Ist das die Lösung? | |
| Na ja, ich habe zumindest für Offenheit gegenüber solchen | |
| Reformmöglichkeiten plädiert. Das Nichtbefolgen von | |
| Eingliederungsvereinbarungen führt regelmäßig zu Sanktionen. Dafür ist | |
| unheimlich viel Bürokratie notwendig. Das Grundeinkommen könnte da durchaus | |
| einen Ausweg darstellen. Aber ich würde den heutigen Urteilsspruch auch als | |
| Bekenntnis der Gewährung eines Grundeinkommens interpretieren. Selbst wer | |
| sich dem Erwerbssystem völlig verweigert, behält dennoch seinen Anspruch | |
| auf eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung; allerdings 30 Prozent weniger als | |
| das derzeitige Existenzminimum. | |
| 5 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dorian Baganz | |
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