| # taz.de -- Abgeordnete über Verfassungsschutz: „Kein Halt mehr vor Kindern�… | |
| > Der Hamburger Senat will das Verfassungsschutzgesetz erneuern. | |
| > Linken-Politikerin Christiane Schneider über die geplante Überwachung | |
| > Minderjähriger. | |
| Bild: Sollen vom Verfassungsschutz beobachtet werden können: Politisch aktive … | |
| taz: Frau Schneider, das Hamburger Verfassungsschutzgesetz soll erneuert | |
| werden. Demnach sollen zukünftig auch Kinder unter 14 Jahren beobachtet | |
| werden. | |
| Christiane Schneider: Minderjährige konnte der Verfassungsschutz auch | |
| bisher schon beobachten. Das Alter wird nun aber abgesenkt. Es sollen auch | |
| Daten von Minderjährigen zwischen 12 und 14 Jahren erhoben und verarbeitet, | |
| also gespeichert werden können, das ist neu. | |
| Gibt es dafür bestimmte Voraussetzungen? | |
| Es gibt Sonderregelungen. Es müssen Daten von erheblicher Bedeutung sein | |
| und die Speicherfristen sind im Prinzip kürzer. | |
| Trotzdem finden Sie das problematisch? | |
| Es ist eine beunruhigende Entwicklung, dass der Verfassungsschutz nicht mal | |
| mehr vor Kindern Halt macht. Hier steht das Kindeswohl auf dem Spiel. Wir | |
| wissen, dass Kinder in Verbrechen des sogenannten Islamischen Staates | |
| einbezogen wurden und die Regelung wird mit der von IS-Rückkehrern | |
| ausgehenden Gefahr begründet. Als Norm formuliert betrifft sie aber alle | |
| Felder, in denen der Verfassungsschutz geheimdienstmäßig unterwegs ist. Und | |
| das kann dann auch junge Antifa-Gruppen treffen, die in Hamburg aktiv sind. | |
| Zum Beispiel? | |
| Die [1][Antifa Altona Ost] ist ein Paradebeispiel. Die Gruppe wird vom | |
| Verfassungsschutz beobachtet und als linksextremistisch dargestellt. Da | |
| sind auch ganz junge Leute aktiv. Dass ihre Daten jetzt vom | |
| Verfassungsschutz gespeichert werden können, finde ich sehr heikel. Das ist | |
| das eine. Das andere ist, dass die Behörde künftig unter bestimmten | |
| Bedingungen ihre Informationen auch an öffentliche Stellen, zum Beispiel | |
| Schulen, und nicht öffentliche Stellen, wie zum Beispiel Vereine, | |
| weitergeben kann. Das ist ein absolutes No-Go. | |
| Was bedeutet das genau? | |
| Also mal angenommen, da ist ein 16-Jähriger aus Nazi-Strukturen im | |
| Sportverein und versucht, Gleichaltrige zu beeinflussen. Das ist natürlich | |
| ein Problem, aber keines, das ein Geheimdienst mit einer Meldung lösen | |
| kann. Die Auseinandersetzung damit ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und | |
| man muss deshalb Vereine bestärken und befähigen, solchen Bestrebungen | |
| entgegenzuwirken. | |
| Aber damit ein Verein etwas tun kann, muss er doch erst mal Bescheid | |
| wissen. | |
| Die Zivilgesellschaft ist doch keine Blackbox. Man muss sie viel mehr | |
| bestärken, sich kritisch mit den jungen Menschen auseinanderzusetzen. Es | |
| ist auch nicht in jedem Fall angebracht, einen Jugendlichen, um bei dem | |
| Beispiel zu bleiben, einfach rauszuwerfen. Damit nimmt man ihm vielleicht | |
| die Chance, sich mit anderen Dingen zu befassen und aus solchen Strukturen | |
| zu lösen. Und das ist eben Aufgabe der Zivilgesellschaft und nicht eines | |
| Geheimdienstes. Übrigens sieht auch der Datenschutzbeauftragte insgesamt | |
| die Herabsetzung des Schutzes Minderjähriger sehr kritisch. | |
| Inwieweit ist dessen Arbeit von den Neuerungen betroffen? | |
| Die Beobachtungen durch den Verfassungsschutz sind geheime Maßnahmen. Der | |
| oder die Betroffene bekommt sie nicht mit, dadurch wird sehr tief in das | |
| Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Deshalb | |
| braucht es eine unabhängige Stelle mit starken Kontrollrechten. Und nach | |
| unserem Eindruck sind die Kontrollrechte des Datenschutzbeauftragten in | |
| diesem Gesetz sehr gering. | |
| Woran wird das deutlich? | |
| Die Frage ist, ob der Eingriff in Grundrechte verhältnismäßig ist. Und ob | |
| der Datenschutzbeauftragte das wirksam kontrollieren und beispielsweise | |
| erreichen kann, dass die Maßnahme eingestellt oder seiner Kritik | |
| entsprochen wird. Und so wie ich das Gesetz bisher lese, ist das nicht so. | |
| Er ist praktisch ein Papiertiger. | |
| Es gibt aber noch den Parlamentarischen Kontrollausschuss (PKA). | |
| Ich bin selbst Mitglied darin und deshalb zur Verschwiegenheit | |
| verpflichtet. Tatsache ist aber, dass der PKA keine wirksame Kontrolle ist. | |
| Was uns der Verfassungsschutz über seine Maßnahmen berichtet, entscheidet | |
| er und gezielt nachfragen können wir nur, wenn wir schon mehr wissen, als | |
| er uns berichtet. Das ist eben ein Geheimdienst, und wenn man von | |
| geheimdienstlichen Tätigkeiten nichts erfährt, kann man sie auch nicht | |
| kontrollieren. | |
| Ein weiterer Punkt des Gesetzes ist, dass angehende Polizist*innen künftig | |
| vom Verfassungsschutz überprüft werden sollen. Ist das nicht begrüßenswert? | |
| Es gibt das Problem, dass ein gewisser Anteil von Polizeibeamten und | |
| -beamtinnen rechtes Gedankengut hat. Das hat auch das Maß eines Einzelfalls | |
| überschritten. Es gibt aber auch Beamtinnen und Beamte beim | |
| Verfassungsschutz, die auffällig werden. Das haben die [2][taz-Recherchen | |
| zu Uniter] ja auch gezeigt. Ich glaube, dass man bei der Einstellung von | |
| jungen Beamtinnen und Beamten sehr aufmerksam sein muss, aber ich sehe das | |
| nicht als Aufgabe des Verfassungsschutzes und wage zu bezweifeln, dass er | |
| dafür wirklich geeignet ist. | |
| Warum? | |
| Vielleicht wächst beim Verfassungsschutz langsam die Erkenntnis, dass die | |
| Gefahr von rechts kommt. Aber wenn man sieht, was der Verfassungsschutz | |
| bundesweit so tut, dann wird deutlich, dass der Feind immer noch links | |
| steht. | |
| Woran machen Sie das fest? Es soll doch in Hamburg jetzt die | |
| [3][Spezialeinheit gegen Rechtsextremismus] aufgebaut werden. | |
| Ja, aber am Beispiel der Antifa Altona Ost wird das deutlich. Der | |
| öffentliche Vorwurf gegen diese Gruppe ist, dass sie den multikulturellen | |
| Anspruch Altonas verteidigt. Das ist für den Verfassungsschutz ein Grund, | |
| sie als „linksextremistisch“ zu beobachten. Als wäre die Antifa Altona Ost | |
| strukturell auch nichts anderes als eine gewalttätige Nazibande. Das wird | |
| mit dem Begriff „extremistisch“ einfach gleichgesetzt. | |
| Werden in Hamburg künftig weiter Vertrauensleute (V-Leute) eingesetzt? | |
| Darauf kann man Gift nehmen und das ist wirklich ein großes Problem. Zum | |
| einen wissen wir aus den [4][NSU-Untersuchungsausschüssen], dass V-Leute, | |
| also Spitzel, bezahlte Täter sind. Zum anderen steht immer der | |
| Quellenschutz vor Aufklärung. Wir mussten immer wieder bitter erfahren, | |
| dass der Verfassungsschutz Aufklärung aktiv behindert, wenn es um den | |
| Schutz von Quellen geht. Deshalb sind wir strikt gegen den Einsatz von | |
| V-Leuten. | |
| Wie geht es mit der [5][Hamburger Novelle] weiter? | |
| Wenn es nach dem Senat geht, sollen wir den Entwurf jetzt im | |
| Schnellverfahren, im Januar oder Februar, kurz vor den Wahlen, in der | |
| Bürgerschaft beschließen. | |
| Warum die Eile? | |
| Das fragen wir uns auch und deshalb fordern wir, dass die Novelle gestoppt | |
| wird. Wir brauchen nicht ständig Verschärfungen und neue | |
| Sicherheitsgesetze, wenn noch nicht einmal die Auswirkungen der bestehenden | |
| evaluiert sind. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Es muss geprüft werden, ob das, was bisher falsch gelaufen ist, an | |
| unzureichenden Gesetzen oder an problematischen Behörden liegt. Es muss | |
| überprüft werden, was die bisherigen Gesetze gebracht haben, wo wirklich | |
| Bedarf ist. | |
| 5 Nov 2019 | |
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| [5] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/68237/viertes_gesetz_zur_a… | |
| ## AUTOREN | |
| Marthe Ruddat | |
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