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# taz.de -- Der Fall Sebastian Block: Aus Versehen ausspioniert
> Ein 34-Jähriger wurde vom Hamburger Verfassungsschutz rechtswidrig
> observiert. Der parlamentarische Kontrollausschuss lässt ihn damit
> allein.
Bild: Zu Unrecht überwacht und damit alleingelassen: Sebastian Block
Hamburg taz | Es liegt in der Natur der Sache: Verfassungsschutzämter
stehen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung all jener auf
Kriegsfuß, die von ihnen als verdächtig eingestuft werden. Aber auch die
staatlichen Spione müssen sich an Grundrechte und Gesetze halten –
eigentlich. Kontrolliert werden Eingriffe in das Post- und
Fernmeldegeheimnis – sogenannte G-10-Maßnahmen – auf Bundesebene von der
G-10-Kommission, auf Länderebene von entsprechenden Stellen. In Hamburg
ist es ein fünfköpfiger parlamentarischer Kontrollausschuss der
Bürgerschaft der Staatsschutz und Geheimdienste bei G-10-Maßnahmen
kontrollieren soll.
Doch gerade diese Kommission spielt sich in Hamburg im Fall der
[1][„Operation Sebastian Block“]zur Verteidigerin fragwürdiger Aktivitäten
auf. Dabei geht es um operative Maßnahmen gegen den 34-jährigen Fan des FC
St. Pauli, Sebastian Block*.
Block, der als Producer in der Filmbranche arbeitet, bekam im Februar 2018
unerwartet ein Standardschreiben des Hamburger Verfassungsschutzes
zugeschickt. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass vom August bis zum 31.
Dezember 2011 nachrichtendienstliche Operationen gegen ihn durchgeführt
worden seien.
So sei sein Handyanschluss abgehört und sein Mobilfunkgerät bei
Nichtbenutzung – vermutlich durch sogenannte stille SMS – geortet worden.
Es wurden Gespräche mit Bekannten, Verwandten, ÄrztInnen und
ArbeitskollegInnen mitgehört. Ferner seien, so der Verfassungsschutz,
persönliche Briefe an seine Postanschrift abgefangen, durchsucht und
mitgelesen worden.
Grund für die Eingriffe in die Privatsphäre seien „tatsächliche
Anhaltspunkte“ gewesen, dass Block als Aktivist und Streetfighter einer
„autonomen Antifagruppe“ im Frühjahr 2011 auf Demonstrationen in
Griechenland geäußert habe, „Mollis geworfen und Bullenkarren angezündet“
zu haben und dies auch im Raum Hamburg zu planen.
Wie es zu den Behauptungen gekommen sei, kann sich Block nicht erklären.
„Ich war niemals Mitglied einer autonomen Antifagruppe“, sagt er. „Ich hab
auch niemals an Demonstrationen in Griechenland teilgenommen.“ Er könne
sich nur daran erinnern, Urlaub auf einem Campingplatz auf Naxos gemacht zu
haben. Er gehe zwar regelmäßig zum FC St. Pauli, habe aber sonst an keinen
spektakulären Ereignissen teilgenommen.
Der damalige Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) hatte für die
nachrichtendienstlichen Maßnahmen und die damit verbundenen
Grundrechtseingriffe gegen Block grünes Licht gegeben. Das Landesamt für
Verfassungsschutz gibt an, seine Erkenntnisse der G-10-Kommission vorgelegt
zu haben. Die habe die Eingriffe in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht als „zulässig“ und „notwendig“ abgenickt.
Inzwischen sind die Maßnahmen vom Hamburger Verwaltungsgericht aber für
rechtswidrig erklärt worden. Block hatte gegen die Bespitzelung geklagt.
Unmittelbar nach Eingang der Klageschrift erkannte der Verfassungsschutz
die Maßnahmen ohne weitere rechtliche Erörterung vor Gericht als
rechtswidrig an. Das Gericht stufte das Verfahren deshalb ohne eine
Sachaufklärung in Form eines Anerkennungsurteils als verfassungswidrig ein.
Block forderte die G-10-Kommission über seinen Anwalt Carsten Gericke auf,
die dreimonatige Abhöraktion gegen ihn noch mal unter die Lupe zu nehmen.
„Gerade in so einem sensiblen Fall, in dem die Privatsphäre massiv
betroffen ist“, sagt er.
Gericke hakte in einem Brief an die G-10-Kommission via Antje Möller,
Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen und Mitglied des
G-10-Kontrollausschusses, nach. Es sei wenig nachvollziehbar, auf welcher
sachlichen Grundlage die Kommission grünes Licht gegeben habe, schrieb
Gericke. Es stelle sich die Frage, ob die Kommission seinerzeit vollständig
und zutreffend informiert worden sei oder warum sonst die parlamentarische
Verfahrenssicherung nicht gegriffen habe.
## Die Kontrollkommission wiegelt ab
In ihrer Antwort wiegelt die Kommission ab und macht sich die Ausflüchte
des Verfassungsschutzes zu eigen. Die Kommission habe sich auf mehreren
Sitzungen mit der Beschwerde seines Mandanten befasst, schreibt ihr
Vorsitzender Urs Tabbert (SPD) an Anwalt Gericke. Im Zuge der Prüfungen und
Beratungen sei mehrfach das Landesamt für Verfassungsschutz von den
Mitgliedern der Kommission gehört und befragt worden. Als Ergebnis könne
mitgeteilt werden, dass sichtbar geworden sei, dass das Landesamt
„grundsätzlich mögliche Maßnahmen versehentlich auf eine falsche
Ermächtigungsgrundlage gestützt“ habe. So erkläre sich auch das schnelle
Anerkennungsurteil vor dem Verwaltungsgericht.
Die Erörterung des Falles habe ergeben, dass der Verfassungsschutz im
Nachgang zusätzliche Vorkehrungen getroffen habe, um die ordnungsgemäße
Begründung von Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen. Weitergehende
Auskünfte – insbesondere zur Begründung der Observation – aber könnten
nicht erteilt werden. Die Möglichkeit, Beschwerden an die G-10-Kommission
zu richten, schließe kein Recht auf umfassende Auskünfte zum Vorgang
seitens der G-10-Kommission ein, schreibt Tabbert. Soweit über die
Informationen hinausgehende Auskünfte begehrt werden, sehe sich die
G-10-Kommission nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen und betrachte das
Eingabeverfahren für erledigt.
## Kontrolle nur auf dem Papier
„Leider hat die G-10-Kommission das Versagen im Fall von Sebastian Block
nicht zum Anlass einer grundlegenden Revision ihrer Kontrollpraxis
gegenüber dem Verfassungsschutz genommen. Das ist höchst bedenklich“,
beklagt Anwalt Gericke. Der Vorfall zeige, dass die auf dem Papier
bestehende Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament nach wie vor
ungenügend sei.
Auch für die innenpolitische Sprecherin der Linken in der Bürgerschaft,
Christiane Schneider, bleibt „schleierhaft, warum die G-10-Kommission zwar
den Verfassungsschutz, nicht aber das Opfer schwerer, mutmaßlich auf
falschen Behauptungen basierender und jedenfalls als rechtswidrig
anerkannter Grundrechtseingriffe anhört“. Statt aufzuklären, habe die
Kommission die Version des Verfassungsschutzes übernommen. „Es ist nach
meinen Erfahrungen sehr schwer, den Geheimdienst zu kontrollieren – aber so
leicht sollte eine Kontrollinstanz es ihm wirklich nicht machen“, rügt
Schneider.
Block ist vom Ergebnis seiner Beschwerde vor der G-10-Kommission entsetzt.
„Man fühlt sich machtlos und der Staatsgewalt ausgesetzt“, beklagt er.
„Schließlich geht es um meine Rehabilitierung.“ Inzwischen hat Block den
hamburgischen Datenschutzbeauftragten eingeschaltet, weil sein Fall doch
datenschutzrechtliche Fragen aufwerfe.
* Name geändert
3 Dec 2019
## LINKS
[1] /Rechtswidrige-Ueberwachung/!5575379
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Verfassungsschutz
Schwerpunkt Überwachung
Grundrechte
Hamburg
FC St. Pauli
Verfassungsschutz
Innenministerium
Verfassungsschutz
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