# taz.de -- Rechtswidrige Überwachung: Totaler Kontrollverlust | |
> Abgesegnet vom Parlament, hat der Hamburger Verfassungsschutz 2011 das | |
> Telefon eines Fans des FC St. Pauli abgehört und seine Post gelesen. | |
Bild: Aufgrund falscher Informationen überwacht: St.Pauli-Fan. | |
HAMBURG taz | Auch nach fast acht Jahren ist Sebastian Block* noch immer | |
„total entsetzt“. Dass es dubiose Bespitzelungspraktiken des | |
Verfassungsschutzes in der linken Szene gebe, sei ihm durchaus bewusst | |
gewesen. Aber wenn man selbst Opfer werde, „dann wird einem schon gruselig | |
und es läuft einem ein Schauer den Rücken runter“, sagt Block. | |
Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz behauptet, Informationen | |
gehabt zu haben, dass der Fan des FC St. Pauli ein militanter autonomer | |
Streetfighter sei. „Die Behauptungen zur Begründung der Observation sind | |
unzutreffend, absurd und schlichtweg falsch“, empört sich der 33-jährige | |
zweifache Familienvater. | |
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Maßnahmen und Grundrechtseingriffe | |
als rechtswidrig eingeschätzt. Die für den Geheimdienst zuständige | |
G10-Kontrollkommission der Hamburgischen Bürgerschaft wird sich nun wohl | |
erneut mit dem Fall befassen müssen. | |
Im Februar 2018 hatte das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz Block | |
in einem Schreiben mitgeteilt, dass gegen ihn vom August bis zum 31. | |
Dezember 2011 nachrichtendienstliche Operationen durchgeführt worden seien. | |
So sei sein Handyanschluss abgehört und sein Mobilfunkgerät bei | |
Nichtbenutzung – vermutlich durch sogenannte stille SMS – geortet worden. | |
Dadurch wurden Gespräche mit Bekannten, Verwandten, ÄrztInnen und | |
ArbeitskollegInnen mitgehört. Ferner seien persönliche Briefe an seine | |
Postanschrift abgefangen, durchsucht und mitgelesen worden. | |
## Angeblich Bullenkarren angezündet | |
Grund der „Beschränkungsmaßnahmen“ sei gewesen, dass dem Verfassungsschutz | |
„tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorgelegen haben, dass Block, der als | |
Producer in der Filmbranche arbeitet, als Aktivist einer „autonomen | |
Antifagruppe“ im Frühjahr 2011 auf Demonstrationen in Griechenland geäußert | |
haben soll, „Mollies geworfen und Bullenkarren angezündet“ zu haben, und | |
dies auch im Raum Hamburg plane. | |
Der damalige Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) hatte daraufhin | |
für die operativen nachrichtendienstlichen Maßnahmen und die damit | |
verbundenen Grundrechtseingriffe gegen Block grünes Licht gegeben. Das | |
Landesamt für Verfassungsschutz habe seine Erkenntnisse dem für die | |
Kontrolle der Nachrichtendienste zuständigen parlamentarischen | |
Kontrollausschuss der Bürgerschaft – der G10-Kommission – vorgelegt, der | |
die Eingriffe als „zulässig“ und „notwendig“ abgenickt habe. | |
„Ich war niemals Mitglied einer autonomen Antifagruppe“, sagt Block. „Ich | |
hab auch niemals an Demonstrationen in Griechenland teilgenommen.“ Er könne | |
sich nur daran erinnern, mal Urlaub auf einem Campingplatz auf Naxos | |
gemacht zu haben und könne sich überhaupt nicht erklären, wie es zu solchen | |
falschen Behauptungen gekommen sei. Außer dass er regelmäßig zum FC St. | |
Pauli gehe, habe er an keinen spektakulären Ereignissen teilgenommen. | |
Um den Sachverhalt aufklären zu lassen, hatte Block ein halbes Jahr nach | |
der Information durch den Verfassungsschutz über seinen Anwalt Carsten | |
Gericke eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, um die | |
Rechtswidrigkeit der operativen Maßnahmen feststellen zu lassen. Doch | |
unmittelbar nach Eingang der Klageschrift erkannte der Verfassungsschutz | |
ohne weitere rechtliche Erörterung die gegen Block eingeleiteten | |
Observationsmaßnahmen vor Gericht als rechtswidrig an. Das | |
Verwaltungsgericht stufte das Verfahren deshalb ohne eine gerichtliche | |
Sachaufklärung in Form eines Anerkennungsurteils als verfassungswidrig ein. | |
Auf dieses Prozedere greifen Polizei und Geheimdienste zunehmend bei | |
rechtsstaatlich fragwürdigen Undercover-Einsätzen von verdeckten | |
ErmittlerInnen, V-Leuten und AgentInnen zurück, um zu verhindern, dass die | |
Behörden dem Gericht die Akten offenlegen und damit Einblick in | |
Sachverhalte und die Praktiken gewähren müssen. Wie es im Komplex Sebastian | |
Block zu so einem offenkundig falschen Sachstand kommen konnte, darüber | |
schweigt der Verfassungsschutz. | |
## Geheimdienstkommission soll nacharbeiten | |
Auf Anfrage der taz erklärt Sprecher Marco Haase schriftlich: „Ich bitte um | |
Verständnis, dass der Verfassungsschutz aus rechtlichen Gründen | |
grundsätzlich keine Auskünfte zu Einzelpersonen gibt.“ Doch damit möchte | |
sich Block nicht abfinden. In einem Brief an die grüne | |
Bürgerschaftsabgeordnete und stellvertretende Bürgerschaftspräsidentin | |
Antje Möller bittet sein Anwalt Carsten Gericke die Parlamentarierin darum, | |
die Angelegenheit als Mitglied der G10-Kommission erneut auf die | |
Tagesordnung zu setzen. | |
In dem Schreiben fordert Gericke zur erforderlichen „Rehabilitierung seines | |
Mandanten“ nicht nur Informationen über die Angaben des | |
Verfassungsschutzes, sondern auch grundsätzliche Aufklärung darüber, wie | |
die operativen Maßnahmen die Zustimmung der G10-Kommission erlangen | |
konnten, die ja eigentlich über ebenso weitreichende Kontrollbefugnisse | |
verfüge wie in der Strafprozessordnung ein Ermittlungsrichter. | |
Es sei wenig nachvollziehbar, auf welcher sachlichen Grundlage die | |
G10-Kommission für die Maßnahmen aufgrund der fälschlichen Angabe des | |
Landesamtes grünes Licht gegeben habe, schreibt Gericke. Es stelle sich die | |
Frage, ob die Kommission seinerzeit vollständig und zutreffend informiert | |
worden sei, so Gericke, oder warum sonst die parlamentarische | |
Verfah-renssicherung nicht gegriffen habe. | |
*Name geändert | |
7 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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