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# taz.de -- Streit um Antifa-Sticker: Wie politisch darf Schule sein?
> Die AfD schlägt Alarm – und Hamburgs Schulsenator springt. Seitdem wird
> über die politische Gesinnung von Schüler*innen einer 12. Klasse
> debattiert.
Bild: Schüler mit Meinung beim „FairWalk“ im Oktober 2016 in Hamburg
Hamburg taz | Mit ihrem Meldeportal „Neutrale Schulen“ ist es der AfD
gelungen, den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben und ein Klima
von Denunziation und Bespitzlung an den Schulen zu verbreiten.
Erinnern wir uns: Ausgelöst wurde die Debatte durch ein paar polizei- und
AfD-kritische Aufkleber der [1][Altonaer Antifa] in der
[2][Ida-Ehre-Schule]. Die AfD schlug Alarm, [3][Teile der Medien] erklärten
Antifaschismus zum Synonym für Linksradikalismus. Schulsenator Ties Rabe
(SPD) ließ seine Schulaufsicht anrollen, die Antifa-Logos entfernen und
löste damit eine stadtweite Solidaritätswelle mit der Schule aus. Deren
Tenor: Antifaschismus an den Schulen sollte eine Selbstverständlichkeit
sein und niemals ein Grund, die Schulaufsicht zu schicken.
Wie in jedem konkreten Konflikt steht die AfD, die fortwährend ein
angebliches bundesdeutsches gegen sie gerichtetes Meinungskartell beklagt,
nicht auf der Seite der Meinungsfreiheit, sondern auf der Seite der Zensur.
Sie wünscht sich eine „neutrale“ Schule, frei von „politischer
Indoktrination“. Und sie verkennt mit Absicht, dass zwischen Neutralität
und Indoktrination ein sehr weites Feld liegt: das Feld der demokratischen
Meinungsbildung, die von Position und Provokation, Kritik und Contra,
Debatten und Argumenten lebt.
Auch der Senator beruft sich gebetsmühlenhaft auf die Neutralitätspflicht
der Schulen – und verkennt dabei ihren Wesensgehalt. Das Neutralitätsgebot
ist ein zentrales Verfassungsprinzip. Der Staat und seine Institutionen,
darunter die staatlichen Schulen, dürfen danach weder einseitig für noch
gegen eine nicht verbotene Partei agieren.
## Position und Gegenposition
Für die Schulen ist dieses Gebot im [4][„Beutelsbacher Konsens“] 1976
konkretisiert worden. Danach dürfen Lehrende ihren SchülerInnen keine
Meinung aufzwingen, sie müssen Themen kontrovers darstellen, Positionen und
Gegenpositionen in den Unterricht einfließen lassen und die Lernenden so
befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Zur eingeforderten Kontroverse gehört auch die kontroverse
Auseinandersetzung mit der AfD. Der humanistische Bildungsauftrag der
Schulen ist und bleibt mit vielen Positionen der AfD unvereinbar. Und der
weltweit aufkeimende Nationalismus, der Umgang mit Geflüchteten und auch
der vor allem die heutige SchülerInnengeneration bedrohende Klimawandel
sind Themen, die aus dem Schulalltag nicht ausgespart werden können und
dürfen.
Dass SchülerInnen und LehrerInnen keine eigene Meinung haben oder diese im
Unterricht nicht äußern dürfen, dass, wie an der Ida-Ehre-Schule im Rahmen
eines Kunstprojekts geschehen, keine antifaschistischen Slogans präsentiert
werden dürfen, davon ist beim Neutralitätsgebot und im Beutelsbacher
Konsens nicht die Rede. Politische Meinungsäußerungen dürfen nicht nur, sie
müssen einen Platz an jeder Schule haben. Das ist die Atemluft jeder
Demokratie.
## Staatsbürgerliches Engagement
Schule als Ganzes soll und muss politisch neutral sein, doch das kann und
darf nicht für jede einzelne Schulstunde, jedes Projekt, jede
Meinungsbekundung gelten. Schule muss staatsbürgerliches Engagement
befördern, der Politikverdrossenheit entgegenwirken, politische Debatte
forcieren.
Für die Entwicklung dieser Gesellschaft brauchen wir mündige
StaatsbürgerInnen mit Rückgrat und Engagement. Und wir brauchen an den
Schulen Vorbilder – LehrerInnen mit Haltung, die auch eine erkennbare
Meinung haben, die sie in jede Debatte einfließen lassen, ohne sie
irgendjemandem überzustülpen. Das ist ein Balanceakt ohne Alternative. Nur
Menschen mit Haltung können die kommende Generation zur Mündigkeit
erziehen.
Fast schlimmer als die klare, meinungsfreiheitsfeindliche Position der AfD,
an der sich Schüler und SchülerInnen abarbeiten können, ist der
rückgratlose Wackelkurs der SPD. Wer die Schulaufsicht wegen ein paar
Antifa-Slogans anrollen lässt, macht sich nicht nur zum Erfüllungsgehilfen
der AfD, er schürt auch ein Klima der Meinungsunterdrückung an den Schulen.
## Der Senator als schlechtes Vorbild
Erst wenige Tage davor [5][bedrohte Rabe SchülerInnen mit Sanktionen], wenn
sie während der Unterrichtszeit eine Klimawandel-Demo besuchen.
Gleichzeitig wertete sein oberster Dienstherr, Bürgermeister Peter
Tschentscher, dieselbe Demonstration mit seiner Spontanteilnahme auf – um
mit eben jenen Schülerinnen zu diskutieren, die sein Senator gern vom
Rathausmarkt weg und auf die Schulbank verbannt hätte: eine kuriose
Interpretation des Neutralitätsgebotes.
Wenn der Schulsenator zudem in einer aufgeheizten Bürgerschaftsdebatte über
die Vorfälle, die er in Gang gesetzt hat, nicht ein einziges Mal das Wort
ergreift, ist er das denkbar schlechteste Vorbild für eine
SchülerInnengeneration, die lernen sollte, für ihre Haltung mit breiter
Brust einzustehen. Mit einem neutralitätsversessenen Wegduck-Senator lässt
sich in Hamburg mit Sicherheit keine Schule machen.
9 Apr 2019
## LINKS
[1] https://de-de.facebook.com/pages/category/Political-Organization/Antifa-Alt…
[2] https://www.idaehreschule.de/
[3] https://www.abendblatt.de/hamburg/article216696081/Linksextremisten-betreib…
[4] https://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Greta-Thunberg-in-Hamburg-Wir-machen…
## AUTOREN
Marco Carini
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