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# taz.de -- Leben auf dem Mars: Red New World
> Unter Kuppeln auf dem Mars liegen weiße Häuser, grüne Parks und klare
> Seen. Doch nicht alle können daran teilhaben. Ein Szenario für das Jahr
> 2057.
Bild: Auf der Erde werden die Nahrungsmittel knapp, doch der Mars floriert
Stille und Dunkelheit im Raum, [1][zu den Füßen die Erde]. Die Flying Whale
IV hängt in der Leere, angedockt an die Raumstation United States Space
Station Obama. Es ist der 19. August 2057. Die Station, zehn Mal größer als
die ISS, dient verschiedenen Raumschiffen als Tankstelle, Raststätte und
zur Warenannahme. Sie erinnert an eine überdimensionale Nachttischlampe.
Jedes Schiff, das eine Genehmigung der US Space Force hat, darf hier
andocken. Eine Regelung aus alten Tagen. [2][Während seiner Präsidentschaft
erklärte Barack Obama die USA zur internationalen Weltraumverwaltung], die
allein Genehmigungen für Flüge ins All ausstellen oder verweigern darf.
Aktiv wurde die Regelung erst mit der Gründung der US Space Force durch
Präsident Donald Trump. Sein Vermächtnis aus zweiter Amtszeit.
„Sie kennen das Prozedere. Sobald die letzte Versorgungskapsel andockt ist,
haben Sie zwei Stunden zum Umladen auf Ihr Schiff. Dann sind Sie weg.“ In
der Luftschleuse der Flying Whale IV stehen zwei Beamte, die bis gerade das
Schiff von Joe Saito inspiziert haben. „Natürlich, wie vor einem Monat.
Oder den Monat davor. Oder den Monat davor“, antwortet Joe, sichtlich
genervt.
Zwar ist das sein erster Flug zum Mars. Davor hat er jedoch zahlreiche Male
Erze von Asteroiden-Minen zur Mondbasis transportiert. Den längeren
Mars-Job hat er angenommen, weil er mehr Geld gibt. Seit seine Mutter
aufgrund der Luftverschmutzung an Lungenkrebs erkrankt ist, muss er seinen
Eltern bei den Behandlungskosten unter die Arme greifen.
## Versorgungsflüge zur Marskolonie
Er selbst leidet an chronischem Husten. Neben dem Geld bekommt er auch die
Chance, die erste menschliche Kolonie im Weltraum zu bewundern. Wenn die
Werbung stimmt, ist sie das Paradies. Dort sollen auch die besten Ärzte
sein. Vielleicht kann er sich von einem behandeln lassen.
Joe fliegt eins der zahlreichen Groß-Transportschiffe, die von [3][Elon
Musks Raumfahrtfirma SpaceX] im Weltraum zusammengesetzt werden. Wegen
ihrer enormen Masse können sie nicht in die Erdatmosphäre eintreten. Die
Wale, wie sie liebevoll genannt werden, sehen aus wie massive Zylinder von
400 Metern Länge und 130 Metern im Durchmesser, haben einen Buckel und
werden zum Antrieb hin schmaler.
Diese Transporter sind aufgrund ihres riesigen Ladevolumens beliebt für
Versorgungsflüge zur Marskolonie. Deshalb schicken die USA
Versorgungskapseln zur USSS Obama, wo ihr Inhalt mithilfe von Maschinen auf
die Schiffe umgeladen wird. Joe schaut aus dem Cockpit und sieht, wie die
letzte Kapsel in seine Richtung schwebt. Dahinter sieht er die Erde,
erhellt in den Strahlen der Sonne.
Unter ihm befindet sich die Heimat seiner Eltern, Japan. Inzwischen ist die
Hälfte des früheren Territoriums des Inselstaates unter Wasser. Seine
Familie ist vor zehn Jahren in die USA geflohen. Joe war in der
Pilotenausbildung bei der japanischen Weltraumbehörde JAXA. Als diese
aufgelöst wurde, gab er sich den Namen Joe, um bei den Amerikanern besser
anzukommen. Seit der massenhaften Klimaflucht sind viele Menschen im Westen
Einwanderern gegenüber skeptischer denn je.
## Weideflächen und industrieller Rauch
In den USA schulte sich Joe zum Transporterpiloten. Die Transporter
brauchen Piloten nicht zum Fliegen, aufgrund der hochentwickelten KI ihrer
Bordcomputer. Die menschlichen Piloten sind viel mehr Ingenieure, die das
Schiff warten, die Be- und Entladung bewachen und in Notfällen eingreifen
sollen.
„USSS Obama an Flying Whale IV, Ihre Ladung ist nun an Bord und die
Ladeluken verschlossen. Wir wünschen Ihnen eine gute Reise.“ Joe dockt das
Schiff ab. Es steuert sich selbstständig mit den Luftdüsen in ein paar
Kilometer Entfernung, bevor Joe den Antrieb zündet. Das wenigstens darf er
selbst machen. Als kleine Starthilfe umkreist der Wal die Erde einige Male,
um mithilfe ihrer Gravitationskraft zu beschleunigen: Das sogenannte
Slingshot-Verfahren.
Joe blickt dabei hinab zur Erde, die er einen Monat lang nicht sehen wird.
[4][Dort wo früher der Amazonas alles in ein saftiges, gesundes Grün
hüllte], befinden sich heute nur Sojafelder, Weideflächen und industrieller
Rauch. Die Polarkappen sind beinahe komplett geschmolzen. Im Nahen Osten
steigt der Rauch brennender Ölfelder in den Himmel. Das Schiff tritt aus
der Rotationsbahn aus und schießt Richtung Mars.
29. August 2057. Joe hat Augenringe, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und
fühlt sich einsam. Solange er den Kurs hält, wechselt nicht mal der
Bordcomputer ein Wort mit ihm. Alles, was ihn halbwegs bei Laune hält, sind
die Sehnsucht nach dem Mars und sein Tablet. Er schwebt damit zu seinem
Schlafsack, klemmt sich ein und sieht sich alte Fotos und Videos seiner
Eltern an.
## Saftig grüne Bäume
Auf einem Video rennt ein kleiner Junge durch einen Wald voll riesiger,
gesunder Bäume. Die Sonne scheint durch ihre saftig grünen Blätter. „Jurou,
bleib stehen, ich erwisch dich gar nicht“, ruft die weibliche Stimme hinter
der Kamera. Der Junge bleibt stehen und grinst mit seinen Milchzahnlücken
in die Kamera. Joe schaltet das Video aus und wischt sich über seine
feuchten Augen. Stattdessen klickt er auf eine Videoreportage über die
Marskolonie, die SpaceX herausgegeben hat. Auch hier saftig grüne Bäume.
30. August 2057. „Hier spricht Captain Wen Fong, von der Niú III. Sie
betreten chinesisches Hoheitsgebiet. Bitte übermitteln Sie uns umgehend
Ihre Kennung, den Zweck Ihres Flugs und ihre Frachtliste.“ Überrascht, fast
schon panisch greift Joe beim Klang der fremden Stimme zu seinem Headset.
„Hier spricht Captain Joe Saito von der Flying Whale IV. Ich lade Ihnen
meine Daten hoch. Ich fliege für SpaceX im Auftrag der USA Versorgungsgüter
von der Erde zur amerikanischen Marskolonie. Laut meiner Karte befinde ich
mich allerdings auf einer amerikanischen Handelsroute.“
Joe ist besorgt. Stimmt sein Bordcomputer nicht? „Flying Whale, Ihre Daten
sind angekommen. Wir haben auch ihr Schiff gescannt. Alles sauber. [5][Die
chinesische Regierung reagiert auf die letzten amerikanischen Strafzölle],
indem sie seit heute diese Handelsroute blockiert. Bitte drosseln Sie ihre
Geschwindigkeit und fliegen Sie zu unserer Raumstation, die Koordinaten
habe ich Ihnen gerade übermittelt. Zwei Jäger werden Sie eskortieren, sie
sind bereits unterwegs zu ihrer Position. Wir werden Ihre Fracht noch
einmal persönlich kontrollieren. Sobald wir fertig sind und Sie die
Mautgebühr bezahlt haben, dürfen Sie weiter.“
Joe schlägt mit der Faust auf die Armlehne des Sessels. Nachdem der Handel
auf der Erde durch eine ungedeckte Nachfrage an Nahrungsmitteln, hohe Zölle
und unsinnige Freihandelsabkommen zusammengebrochen ist, tragen die
Großmächte ihren Handelskrieg nun also im Weltraum aus. „Mir bleibt wohl
nichts anderes übrig Niú III.“
## Glaskuppeln und Metallgerüste
4. September 2057. „Guten Morgen Captain. Wir erreichen die USSS Trump in
30 Minuten. Leite Bremsung ein.“ Die nichtbinäre Stimme der KI weckt Joe
aus dem Schlaf. Er schlüpft aus seinem Schlafsack, wobei er in der
Schwerelosigkeit an eine hilflose Raupe erinnert, schwingt sich dann aber
souverän durch das Schiff in Richtung Cockpit und schnallt sich an seinen
Sessel. Endlich. Vor ihm wird der Mars immer größer und die Raumstation ist
auch schon als kleiner glänzender Punkt zu erkennen.
Auf der ihm zugewandten Seite ist es Nacht. Auf der dunklen Oberfläche des
Planeten leuchten einige Punkte, so nah beieinander, dass sie beinahe wie
ein Klecks wirken. „Willkommen, Flying Whale, aufgrund der chinesischen
Blockade ist nicht viel los. Sie können also zwei Tage hier bleiben, die
Andockluke wird so schnell nicht gebraucht.“ Anstatt noch mal die Ladung
durchzugehen, geht Joe auf seinem Tablet aufgeregt die Liste aller Hotels
und Ärzte auf dem Mars durch.
Kaum ist das Schiff angedockt, begibt sich Joe zum Teleskop der Station und
blickt auf die Marsoberfläche, die inzwischen in das Licht der Sonne
gehüllt wird. Aus der staubigen Oberfläche ragen riesige Glaskuppeln,
getragen durch monströse Metallgerüste. Darunter befinden sich moderne
Häuser in sauberem Weiß mit Swimmingpools, grüne Parks mit streng parallel
zueinander stehenden Bäumen und riesige Seen voll klarem Wasser.
Joe fragt einen Offizier, unter welcher Kuppel er seine zwei Tage Urlaub
verbringen darf, und klingt aufgeregt. Der Offizier schaut ihn mitleidig an
und antwortet ihm schließlich: „Es tut mir leid, aber nur Bewohner oder
Touristen mit einem Ticket dürfen den Mars betreten. Sonst niemand.
Allerdings haben wir auf der Station ein Zimmer für Sie, von dem aus Sie
einen tollen Blick auf den Mars haben.“
2 Nov 2019
## LINKS
[1] /Leben-auf-dem-Mars/!5550106
[2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/weltall-usa-erklaeren-sich-zum-…
[3] /Oekonomische-Vorherrschaft-im-Weltall/!5586201
[4] /Waldbraende-in-Brasilien/!5618016
[5] /Reaktion-auf-US-Strafzoelle/!5493593
## AUTOREN
Baha Kirlidokme
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