# taz.de -- Folgen des Klimawandels: Wenigstens der Wein | |
> Winzer beobachten seit Jahren eine Klimaveränderung, die für die | |
> nördlichen Anbaugebiete völlig neue Perspektiven eröffnet. Ein Besuch am | |
> Rhein. | |
Bild: Der Rote Hang bei Nierstein | |
Der Rote Hang bei Nierstein ist eine der berühmtesten Riesling-Lagen der | |
Welt. Seit die Römer den Weinbau ins Rheintal gebracht haben, reifen hier | |
besondere Reben. Schon in Goethes Urfaust findet der „ächte Nierensteiner“ | |
Erwähnung als archetypischer Rheinwein. Seinen Namen hat der Rote Hang von | |
dem besonderen Boden. Eingelagertes Eisen gibt der Erde hier eine | |
unwirklich rötliche Färbung, wie auf einem Tennisplatz. | |
Doch die Erde ist nicht mehr das einzige, was an diesem Hang rot ist. Denn | |
in den letzten 15 Jahren hat ein unerwarteter Trend eingesetzt und | |
ausgerechnet an dieser historischen Riesling-Lage werden immer mehr | |
Rotwein-Trauben angepflanzt – dem Klimawandel sei Dank. Wie kaum eine | |
andere Kulturpflanze reagiert Wein schon auf geringste Veränderungen bei | |
Temperatur und Luftfeuchtigkeit, unterschiedliche Trauben brauchen | |
unterschiedliches Klima. | |
Winzer bestimmen die durchschnittliche Temperatur eines Jahres anhand des | |
Huglin-Index, benannt nach seinem Erfinder, dem französischen Biologen | |
Pierre Huglin. Die Formel zur Berechnung ist relativ kompliziert, doch das | |
Ergebnis ist leicht lesbar: Je höher die Zahl, umso wärmer das Wetter und | |
umso mehr unterschiedliche Rebsorten können hier gedeihen. Das Rheintal | |
hatte in den 50er und 60er Jahren regelmäßig Huglin-Werte unter 1.600. Die | |
einzige Rebsorte, deren Anbau bei diesem Wetter empfohlen wird, ist der | |
anspruchslose Müller-Thurgau. Besonders Rotweine brauchen hohe | |
Temperaturen. Im Jahr 2018 lag der durchschnittliche Huglin-Wert im | |
Rheintal deutlich über 2.000. | |
Der Winzer Felix Peters stellte bereits 2006 fest, dass bestimmte Ecken im | |
Roten Hang für Riesling zu heiß geworden sind. In der Lage Pettenthal setzt | |
er seitdem auf Blaufränkisch, eine Rotweinsorte aus Österreich. Die | |
Empörung war groß. Den Bruch mit der Tradition nahmen Peters manche | |
Kollegen übel. Heute heimst sein St. Antony Blaufränkisch Bestwertungen | |
ein. | |
## Jedes Jahr ein Spitzenwein | |
„Wir Winzer sind erst mal Profiteure von dieser Klimaveränderung“, sagt | |
auch Thomas Drieseberg. Gemeinsam mit seiner Frau Anja Wegeler-Drieseberg | |
leitet er die Weingüter Wegeler an Rhein und Mosel. Mit dem „Geheimrat J“ | |
vertreiben sie den vielleicht berühmtesten deutschen Qualitäts-Riesling. | |
Lange bevor Greta Thunberg anfing, freitags nicht mehr zur Schule zu gehen, | |
war der Klimawandel für die Winzer bereits unbestreitbare Realität. „Unsere | |
Aufzeichnungen gehen zurück bis ins 18. Jahrhundert“, sagt Drieseberg. | |
Die wichtigsten Daten für den Weinbau sind Knospe, Blüte und Ernte. „Seit | |
etwa 1989 beobachten wir, dass diese Daten sich deutlich nach vorne | |
verschieben. In den 70ern und 80ern hatten wir noch reihenweise unreife | |
Jahrgänge.“ Die Folge waren saure, schwer trinkbare Weine. Das erste, | |
extrem heiße Jahr für die deutschen Winzer war 2003. Damals waren die | |
Winzer noch schlecht vorbereitet und die Folge war zu viel Alkohol in den | |
Weinen. Doch mittlerweile haben sie gelernt, mit dem neuen Klima umzugehen. | |
Die Folge ist ein Spitzenjahrgang nach dem nächsten. | |
## Suff und Sonne | |
Je mehr Sonne die Trauben abbekommen, umso besser reifen sie. „Der | |
Zuckergehalt nimmt zu, die Säure nimmt ab“, erklärt Professor Manfred | |
Stoll, Institutsleiter der Hochschule Geisenheim. Mit dem Zucker wird in | |
der Traube der Alkohol gebildet. Deshalb sind sonnenverwöhnte Weine | |
hochalkoholischer, während der klassische deutsche Riesling aus früheren | |
Jahren eher schlank war, also wenig Umdrehungen mitbrachte. | |
Die Hochschule Geisenheim ist keine Universität wie jede andere. Das | |
staatliche Institut des Landes Hessen wurde 2013 in der Kleinstadt | |
Geisenheim gegründet. Neun unterschiedliche Studiengänge gibt es dort: Von | |
Gartenbau über Getränketechnik und Önologie bis Weinbau dreht sich dort | |
alles um den Rebensaft. Gleich mehrere Forschungsprojekte dort befassen | |
sich mit dem Klimawandel. „Jeder Wandel ist eine Chance“, ist Professor | |
Stoll überzeugt. „Die fortschreitende Entwicklung bietet immer neue | |
Herausforderungen. Winzer müssen diese Chance nutzen.“ Stoll legt Wert | |
darauf, dass die Ausbildung an seinem Institut „zukunftsfähig“ sei. „Ich | |
bin aber auch kein Prophet. Kein Mensch kann heute wissen, was die Leute in | |
30 bis 40 Jahren trinken werden.“ | |
Einen solchen Propheten brauchen die Winzer aber eigentlich. Denn ist ein | |
Rebstock einmal gepflanzt, soll er lange halten. „Im Qualitätsweinbau wird | |
so eine Anlage ab 20 Jahren erst interessant“, sagt Thomas Drieseberg. Denn | |
alte Reben bringen zwar geringere Erträge, aber mehr Charakter. Ein guter | |
Winzer muss also heute wissen, was in 20 Jahren gut wächst und was die | |
Menschen dann trinken wollen – und in Deutschland hat er heute richtig | |
Auswahl. | |
## Straff, schlank, aromatisch | |
Früher haben viele deutsche Winzer auch aus Notwehr auf den Riesling | |
gesetzt, weil die Chancen gut standen, dass er reif und getrunken wird. | |
Heute erobern immer mehr Rebsorten den deutschen Weinbau, die man bisher | |
nur aus wärmeren Regionen kannte. Ein besonderes Projekt wie Chat Sauvage | |
in Geisenheim wäre früher gar nicht möglich gewesen. Der Hamburger | |
Unternehmer Günter Scholz setzt dort, mitten im Rheingau, seit 2010 auf | |
Pinot Noir und Chardonnay. Letztere Sorte hat das Bundessortenamt erst 1994 | |
für den deutschen Weinbau überhaupt zugelassen. Vorbild für Chat Sauvage | |
ist das Burgund. Finanziert wurde das Projekt auch schon mit Wein: Um das | |
Startkapital zusammenzukratzen, hat der Bauunternehmer seine | |
Weinraritätensammlung über das Auktionshaus Christie’s versteigern lassen. | |
Kritiker bezeichnen seinen „Clos de Schulz“ als Archetyp eines neuen | |
Weinstils: den Rheingau-Chardonnay – straff, schlank, aromatisch. | |
Und der Riesling? Um den müsse man sich keine Sorgen machen, beruhigt | |
Stuart Pigott. Der aus Großbritannien stammende Weinkritiker ist eine | |
Kapazität in Sachen Riesling. In den 1990ern hauchte er den international | |
oft belächelten deutschen Winzern mit seinen Büchern und Besprechungen | |
neues Selbstbewusstsein ein. Auf der Konferenz FLXCursion Global Riesling | |
in Upstate New York sorgte er jüngst für großes Aufsehen mit seiner These | |
„Cool Climate is dead in old europe“. | |
Er hat die Temperaturveränderungen in den deutschen Weinbauregionen genau | |
studiert. In Geisenheim erreichte der Huglin-Index mit 2.277 zuletzt ein | |
Niveau, wie man es aus dem australischen Clare Valley kennt – und darin | |
steckt auch schon die gute Nachricht. Denn das Clare Valley ist berühmt für | |
seinen Riesling. „Die Riesling-Traube ist sehr adaptionsfähig“, sagt | |
Pigott. Das veränderte Wetter bedeute aber eine Herausforderungen. „Früher | |
hat man die Trauben freigelegt, damit sie möglichst viel Sonne bekommen.“ | |
Heute lässt man das Laub lieber länger an der Pflanze, damit der Schatten | |
die Trauben schützt. „Das ist eine Aufgabe für gut ausgebildete Winzer“, | |
sagt Pigott. „Deshalb ist eine Hochschule wie Geisenheim heute so wichtig.“ | |
Also eitel Sonnenschein im Weinland Deutschland? Wenn die Welt schon | |
untergeht, dann trinken wir im Grandhotel Abgrund wenigstens guten Wein? | |
Ganz so einfach ist es nicht, denn das Klima bringt auch neue Gefahren: | |
Sonnenbrand kann die Trauben kleiner als Rosinen schrumpfen lassen und die | |
Wärme gefällt auch Schädlingen gut. Seit zehn Jahren mache sich eine neue | |
Essigfliege aus dem asiatischen Raum in Europas Weinbergen breit. „Das | |
richtige Mittel, um diesen Schädling zu bekämpfen, haben wir noch nicht | |
gefunden. Es kann passieren, dass wieder Insektizide ausgesprüht werden | |
müssen – aber das wollen wir eigentlich nicht“, sagt Drieseberg. | |
Richtig schlimm hat das Wetter die deutschen Winzer grade 2017 erst | |
getroffen. Extreme Trockenheit wechselte sich ab mit Regen und Hagel. „Da | |
haben wir mehr als die Hälfte der Ernte durch das Wetter verloren. Drei, | |
vier solcher Jahrgänge hintereinander, dann ist die wirtschaftliche Basis | |
für ihr Weingut weg. Selbst ein großer Jahrgang wie 2018 konnte diese | |
Verluste nicht ganz kompensieren.“ Doomsday Prepper, die bis zum | |
Weltuntergang guten Wein trinken möchten, sollten also lieber ein paar | |
Flaschen mehr aus den Spitzenjahrgängen 2018 und 2019 einlagern. | |
17 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Stich | |
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