# taz.de -- Klimawandel und Prognosen: Die Apokalypse naht | |
> Prognosen irren häufiger, als sie richtig liegen. Das könnte auch beim | |
> Klima so sein – aber dieses Risiko sollte man nicht eingehen. | |
Bild: Eine der berühmtesten falschen Prognosen: aus den Beatles wird nichts | |
Das Ende der Welt ist – außer man hat sadistische oder fanatisch-religiöse | |
Neigungen – nicht gerade das vergnüglichste Gesprächsthema. Fangen wir also | |
lieber [1][mit den Simpsons] an. In einer Rückblende der gelben | |
Comic-Familie präsentiert der Wissenschaftler Professor Frink einen frühen | |
Computer – mannshoch und buntblinkend. | |
Frink – dicke Brille, Hasenzähne, weißer Kittel – prognostiziert dann den | |
Zuschauern: In 100 Jahren werden Computer nur doppelt so schnell, dafür | |
aber zehntausend Mal größer sein, und so teuer, dass nur die fünf reichsten | |
Könige Europas sie sich leisten werden können. Der Witz funktioniert, weil | |
er ein befreiendes Gefühl bedient: Wissenschaftler liegen meistens daneben. | |
Zurück zum Weltuntergang. Das australische Breakthrough National Centre for | |
Climate Restoration hat aus dem Forschungsstand zum Weltklima gefolgert: Es | |
bestehe das realistische Risiko, dass die Menschheit [2][bis 2050 | |
ausstirbt], wenn wir weitermachen wie bisher. | |
Die Verlockung ist groß, das Szenario in eine Reihe amüsanter | |
Fehleinschätzungen einzureihen: In den 1930er Jahren prognostizierte der | |
Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes, die Generation seiner | |
Enkelkinder werde nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten müssen; in den | |
1980ern würden wir den ersten Mensch auf den Mars schicken, dachte der | |
Zukunftsforscher und Pentagon-Berater Herman Kahn; Bill Gates hielt das | |
Internet 1993 für einen Hype; 1943 schätzte der IBM-Chef Thomas Watson – | |
der echte Frink quasi – den weltweiten Bedarf nach Computern auf fünf. Ach | |
ja, und die Zeit der Gitarrenmusik ist vorbei, erklärte 1962 ein | |
Talentscout der Plattenfirma Decca dem jungen Manager Brian Epstein, der | |
ihm eine aufstrebende Nachwuchsband schmackhaft machen wollte: die Beatles. | |
## Das Ende naht | |
Wir lieben es, wenn Experten sich irren. Erstens: Es gibt uns Laien das | |
wohlige Gefühl, dass unser eigenes Unwissen gar nicht so schlimm ist. | |
Zweitens: Es befreit uns von dem deprimierenden Gedanken, in einer | |
determinierten Welt zu leben. Und drittens: Im Fall von | |
Weltuntergangsszenarien hilft es uns, die kognitive Dissonanz auszuhalten: | |
Wir wissen ja, wir sollten unser Verhalten verändern. Aber wir tun es | |
dennoch nicht. Es wird schon nicht so schlimm sein. | |
Denn Warnungen vor dem Ende der Menschheit gab es schließlich schon oft. | |
Die Experten waren früher keine Wissenschaftler, sondern | |
Religionsvertreter. Als Jesus in Jerusalem eine neue Welt ausrief, ging das | |
in einem lauten apokalyptischen Grundrauschen unter: So viele vermeintliche | |
Messiasse predigten damals das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt, | |
dass die römischen Machthaber diesen Jesus gar nicht besonders wahrnahmen. | |
Im christlichen Mittelalter war das Ende immer präsent. Die | |
Vier-Reiche-Lehre ging nach dem Propheten Daniel davon aus, dass nach dem | |
babylonischen, dem persischen, dem griechischen und dem römischen Imperium | |
schließlich das Königreich Gottes folgen musste – sprich: das Ende des | |
irdischen Daseins. Also nannte man den mitteleuropäischen Flickenteppich an | |
Fürstentümern Heiliges Römisches Reich Deutscher Nationen. Römisch, also | |
noch Teil des vierten Reichs. Apokalypse vertagt. | |
## Prognosen eines alten, weißen Mannes | |
Das waren andere Zeiten. Aber auch wir „modernen Menschen“ kriegen öfters | |
endzeitlichen Bammel. Etwa als es hieß, der Millennium-Bug würde zum | |
Jahrtausendwechsel alle Computer und mit ihnen das Betriebssystem unserer | |
Welt abstürzen lassen. Und davor schon: saurer Regen und Waldsterben, | |
Aufrüstung und Atomkrieg – war ja doch nix, heißt es heute | |
besserwisserisch. Aber: Haben wir diese möglichen Zukünfte nicht auch | |
vermieden, eben weil wir diese Schreckensszenarien ernst genommen haben? | |
Die heutigen Warner laufen nicht mehr mit umgehängten „Das Ende | |
naht“-Schildern vor der Brust durch die Straßen. Aber auch der weiße | |
Laborkittel macht nicht unfehlbar, wie uns Professor Frink erinnert. | |
Könnten sich die Klimawarner nicht vielleicht auch irren? Bitte!? | |
Natürlich könnten sie. Professor Frinks vollmundige Fehleinschätzung ist ja | |
auch deshalb lustig, weil sie etwas sehr Treffendes über Wissenschaftler | |
sagt. Als Computerfachmann ist Frink ja eigentlich ein guter Gewährsmann | |
für die Materie. Aber er ist auch: ein nerdiger, weißer Mann. Die | |
Vorstellung, dieses tolle, große Gerät, das ihm selbst ein Gefühl von Größe | |
und Macht gibt, könne klein und allen zugänglich werden – nicht | |
vorzustellen! | |
## Nicht mächtig genug, um das System zu zerstören | |
Und die Wissenschaftssoziologie hat in der Tat oft gezeigt: Bei aller | |
nüchternen Objektivität, in Laboren und Instituten menschelt es gewaltig, | |
gesellschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen scheinbar objektive | |
Vorgänge. Ob ein Institut einen teuren Mess-Laser kauft und selber wartet | |
oder ihn mietet und für Feintuning auf externe Techniker warten muss: Das | |
kann Auswirkungen auf Messergebnisse haben. | |
Und Postmodernisten wie Michel Foucault haben nahegelegt, dass auch in | |
unser wissenschaftliches Denken ideologische Grundannahmen | |
hineingeschrieben sind, die wir vielleicht in einer fernen Zukunft ähnlich | |
kopfschüttelnd betrachten werden wie die absolute Bibelfrömmigkeit des | |
Mittelalters. | |
Vielleicht steckt demnach hinter der Klima-Angst ein wissenschaftlicher | |
Denkfehler: Weil Wissenschaftler bei Labor-Experimenten Gott spielen und | |
als Außenstehende Faktoren verändern und messen, übertragen sie dieses | |
Denken auf ihre Beobachtung der Umwelt. Sie sehen den Menschen als etwas, | |
das außerhalb der Umwelt steht, statt als Teil von ihr. Vielleicht ist das | |
nur eine menschliche Allmachtsfantasie, vielleicht sind wir gar nicht | |
mächtig genug, um ein so komplexes, sich selbst regulierendes System zu | |
zerstören. | |
## Mit Alarmismus Geld einsacken | |
Solche postmodernen Gedankenspiele sind unterhaltsam, darüber kann man | |
super bei teurem Rotwein und einer Schachtel filterloser Gitanes | |
philosophieren. Aber sie stellen die Wissenschaft als Ganzes infrage. Und | |
bisher hat sich Wissenschaft doch als recht nützlich erwiesen, um konkrete | |
Gefahren einzuschätzen. Also gehen wir doch lieber ins Detail und | |
überlegen: Welche kleinen Fehler könnten Forscher dazu verleiten, sich beim | |
Klima zu irren? | |
Die irrenden Prognostiker hatten, siehe Professor Frink, persönliche Motive | |
– bewusst oder unbewusst –, die sie zu ihrer Fehleinschätzung verleiteten. | |
Könnte Ähnliches auch für Klimatologen gelten? | |
Klimaleugner unterstellen der Wissenschaft gerne, sie wolle mithilfe von | |
Alarmismus nur Forschungsgelder einstreichen und/oder sei von der | |
Solarindustrie gekauft. Aber die Erfahrung zeigt, dass derartige | |
interessengeleitete Forschung vor allem auf der anderen Seite zu finden | |
ist. Die Koch Industries in den USA und andere Rohstofffirmen wurden | |
mehrmals bei dem Versuch überführt, mit finanzierter Forschung und | |
selektiven Fakten ihre schmutzigen Rohstoffgeschäfte sauber zu waschen. | |
## An Postwachstum glauben | |
Und da wir schon bei interessengeleiteter Forschung sind: Der Ölkonzern | |
Exxon rechnete bekanntlich schon 1977 in einer internen Studie mit einem | |
Anstieg der Meere und rüstete deswegen seine Bohrinseln für einen höheren | |
Meeresspiegel auf. | |
Forscher und Experten können sich irren, und manchmal lügen sie. Aber | |
deswegen die gesamte Wissenschaft und ihre Szenarien über den Haufen | |
werden? Das Geniale an der Wissenschaft ist ja eben ihr Prinzip, aus | |
Fehlern zu lernen. Eine Theorie wird so lange behalten und angepasst, bis | |
sie widerlegt ist. Wir bleiben ihr treu, wenn sie uns dabei hilft, die | |
Wirklichkeit zu deuten und vorherzusagen, ganz pragmatisch. | |
Deswegen die pragmatische Gegenfrage: Welches Risiko gehen wir ein, wenn | |
wir dem Szenario 2050 vertrauen? Was könnte Schlimmes passieren, wenn wir | |
uns nicht mehr einem neoliberalen Glauben an die Unendlichkeit des | |
Wachstums hingeben? Klar, wenn wir unsere Wirtschaft auf Nachhaltigkeit | |
umstellen, werden einige Dinge teurer. Und die Politik muss sicherstellen, | |
dass diese Kosten gerecht verteilt werden. Aber was ist besser? | |
Entweder wir leben jetzt grüner und sparsamer und riskieren, dass die | |
Studie danebenliegt. Kann man die Umwelt kaputtschonen? Wohl kaum. Wenn wir | |
uns hingegen jetzt lieber zynisch über Prognosen lustig machen und weiter | |
mit dem Porsche Cayenne direkt vors Fitnessstudio fahren und die Warnung | |
doch berechtigt war – 2050 lacht dann keiner mehr. | |
15 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Apu-Kontroverse-bei-den-Simpsons/!5497879 | |
[2] /Neutrale-EU-Klimabilanz-2050/!5592058 | |
## AUTOREN | |
Thomas Salter | |
## TAGS | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
2050 – die, die überleben wollen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Michel Foucault | |
SUV | |
Wir retten die Welt | |
Winzer | |
Kriminalität | |
Präsident Trump | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
2050 – die, die überleben wollen | |
Europawahl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unwort des Jahres „Klimahysterie“: Die verbale Erderwärmung | |
Dass wir viel über die Klimakrise nachdenken, zeigen die Wortschöpfungen | |
der letzten Jahren – in Deutschland wie in anderen Ländern Europas. | |
Folgen des Klimawandels: Wenigstens der Wein | |
Winzer beobachten seit Jahren eine Klimaveränderung, die für die nördlichen | |
Anbaugebiete völlig neue Perspektiven eröffnet. Ein Besuch am Rhein. | |
Zukunftsvision für Deutschland: Welt ohne Gefängnisse | |
Wäre die Gesellschaft eine bessere, wenn es keine Gefängnisse gäbe? Und was | |
müsste dafür getan werden, um diese Utopie zu ermöglichen? | |
Leben auf dem Mars: Red New World | |
Unter Kuppeln auf dem Mars liegen weiße Häuser, grüne Parks und klare Seen. | |
Doch nicht alle können daran teilhaben. Ein Szenario für das Jahr 2057. | |
Studie zum Meeresspiegelanstieg: „Ein halber Meter entscheidet“ | |
Neue Daten legen nahe, dass der steigende Meeresspiegel mehr Menschen | |
bedroht. Gefahr droht aber weniger in Norddeutschland als in Asien. | |
Klimawandel und Biodiversität: Ohne Zoos nichts los | |
Selbst wenn wir das Klima bis 2050 retten, könnten wir dann ganz schön | |
allein dastehen: Für Tausende von Tier- und Pflanzenarten ist das zu spät. | |
Neutrale EU-Klimabilanz 2050: Save the date | |
In einem offenen Brief fordern Konzerne, Umweltschützer und auch | |
Mitgliedstaaten eine neutrale Klimabilanz bis 2050. Aber Berlin eiert rum. |