# taz.de -- Rheingauer Weinbrunnen in Berlin: „Es fehlt einem was“ | |
> Der Winzer Heinrich Basting kommt jeden Sommer nach Berlin, um Riesling | |
> auszuschenken. Ein Gespräch über den Geschäftsausfall in Zeiten von | |
> Corona. | |
Bild: Als es noch kein Corona gab: Rheingauer Weinbrunnen am Rüdesheimer Platz | |
taz: Herr Basting, Sie gehören zu den drei Winzern aus dem Rheingau, die | |
seit vielen Jahren im Sommer auf dem Rüdesheimer Platz in Berlin einen | |
Weinausschank betreiben. Wann haben Sie erfahren, dass Sie dieses Jahr zu | |
Hause bleiben müssen? | |
Heinrich Basting: Normalerweise geht die Saison Mitte Mai los. Ungefähr | |
zwei Wochen vorher kam der Anruf von Herrn Naumann … | |
… Reinhard Naumann, SPD, Bezirksbürgermeister von | |
Charlottenburg-Wilmersdorf. | |
Wir stehen mit ihm in regelmäßigem Kontakt. Ich hatte mich auf | |
Einschränkungen eingestellt, aber gehofft, dass wir vielleicht Anfang Juli | |
oder Anfang August wenigstens noch für ein paar Wochen aufmachen können. So | |
dass der Verlust nicht ganz so schlimm ist. Aber Herr Naumann hat uns ganz | |
klar mitgeteilt, dass dieses Jahr wegen Corona überhaupt nichts zu machen | |
ist. | |
Das Holzhaus, von dem aus der Wein in Gläsern ausgeschenkt wird, steht | |
normalerweise auf der Empore im Park neben dem Siegfriedbrunnen. Die | |
Besonderheit ist, dass die Gäste ihr eigenes Essen mitbringen können. Was | |
wäre dort zu normalen Zeiten gerade los? | |
Bei schönem Wetter brummt der Laden. Der Platz ist dann brechend voll. An | |
den Tischen gibt es 250 Sitzplätze. Die Gäste wechseln natürlich. Wir haben | |
von 15.00 bis 21.30 Uhr auf. Da kommen locker mal 500, 600 Personen pro | |
Tag. | |
Der „Weinbrunnen“ genannte Open-Air-Betrieb ist normalerweise von Mai bis | |
September geöffnet. Wer von den drei Winzern wäre gerade mit dem Verkauf | |
dran? | |
Jedes beteiligte Weingut hat 36 Tage Ausschank. Insgesamt sind das 108 | |
Tage. Man teilt sich die Zeit in zwei Abschnitte auf. In der Regel fange | |
ich an, dann kommt der Kollege Abel, dann komme ich noch mal, dann der | |
Kollege Nikolai, dann wieder der Kollege Abel. Und ganz am Ende noch mal | |
der Kollege Nikolai. | |
Wie viel Prozent Ihres Gesamtumsatzes generieren Sie ungefähr in Berlin? | |
Wenn man den Flaschenverkauf mitberechnet, ist es rund ein Drittel. Wir | |
fahren ja auch noch mal vor Weihnachten nach Berlin und beliefern unsere | |
Kunden. Wir müssen unseren Betrieb deswegen nicht schließen. Wenn man ein | |
bisschen Rücklagen hat, ist dieses Jahr zu ertragen, trotzdem ist es ein | |
harter Verlust. | |
Der Weinbrunnen hat eine 52-jährige Tradition. Was wissen Sie über die | |
Geschichte? | |
Die Empore im Park wurde ursprünglich mal von einem Berliner | |
bewirtschaftet. Weil Wilmersdorf mit dem Rheingau-Taunus-Kreis | |
verschwistert ist, hat dieser Berliner dort Weine aus dem Rheingau | |
ausgeschenkt. | |
Das 1910 gebaute Viertel heißt ja auch Rheingau-Viertel. An den | |
Hausfassaden befinden sich Fresken in Form von Weintrauben. | |
Viele Straßen, die es im Rheingau gibt, gibt es auch rund um den | |
Rüdesheimer Platz. Von dem damaligen Berliner Wirt ist der Schankbetrieb | |
später auf Rheingauer Weingüter übergegangen. Seit 1998 teilen sich drei | |
Winzer im Sommer den Ausschank untereinander auf. | |
Sie selbst kamen mit Ihrem Weingut Basting 2002 dazu. | |
Mein Vorgänger musste aus Altersgründen aufhören. Ich habe seine Weinberge | |
übernommen. Damals war noch Monika Thiemen Bezirksbürgermeisterin. Sie hat | |
zugestimmt, dass ich auch seinen Anteil am Ausschank in Berlin übernehme. | |
Frau Thiemann hat uns hier auch mal besucht. | |
War der jetzige Bezirksbürgermeister Naumann auch schon bei Ihnen im | |
Rheingau? | |
Ja klar, schon öfter. | |
Was für einen Wein tischen Sie dann auf? | |
Herr Naumann bevorzugt eher einen trockenen Riesling (lacht). Sein Mann | |
trinkt am liebsten Sekt. | |
Trinken Sie mit Ihren Gästen mit? | |
Wenn ich am Rüdesheimer Platz im Weinstand bin, probiere ich höchstens mal | |
einen Wein. Das ist aber das Maximale. Man hat ja meistens schon den neuen | |
Jahrgang mit und will wissen, wie er sich entwickelt. Wir haben in Berlin | |
18 Sorten dabei, jeder Wein ist anders. Ich trinke sehr gerne Wein, aber | |
man wird nicht erleben, dass ich während der Öffnungszeiten in den | |
Weinständen ein komplettes Glas Wein oder Schorle trinke. | |
Zu Hause schaffen Sie aber eine Flasche? | |
Locker (lacht), aber alles nach Feierabend. Winzern wird ja gern | |
nachgesagt, sie wären selbst ihre besten Kunden. Aber bei mir gibt es da | |
ganz eiserne Regeln. | |
Wo genau befinden sich Ihre Weinberge? | |
Bei Rüdesheim und Bingen macht der Rhein einen Knick und fließt | |
nordwestlich weiter. Der Bogen ergibt einen Südhang. Wir haben hier einen | |
schweren Schieferverwitterungsboden. Der ist ideal, um den Riesling | |
anzubauen. Insgesamt bewirtschaften wir 11 Hektar, für einen | |
Familienbetrieb ist das ganz ordentlich. In den letzten Jahren haben wir | |
ein bisschen aufgestockt, weil meine zwei Söhne jetzt mit im Betrieb sind. | |
Sie haben den Betrieb von Ihrem Vater übernommen. Geschah das aus freien | |
Stücken? | |
Für mich hat es nie etwas anderes gegeben, als Winzer zu werden. Schon in | |
der Grundschule durfte ich immer eine Stunde früher nach Hause gehen, wenn | |
Weinlese war (lacht). | |
Apropos Weinlese. Wann beginnt die Ernte dieses Jahr? | |
Früher hat sie bei uns im Rheingau meistens erst Mitte Oktober begonnen. | |
Der Riesling ist eine sehr spät reifende Rebsorte. Auch beim Rotwein haben | |
wir Spätburgunder, der spät reif ist, wie der Name eben schon sagt. | |
Allerdings muss man sagen, dass durch die Klimaverschiebung alles etwas | |
früher geworden ist. Wir beginnen jetzt meistens schon Ende September mit | |
der Ernte. | |
Wie wird dieser Jahrgang? | |
Das kann man noch nicht sagen. Da braucht bloß eine Hagelfront über den | |
Rheingau zu gehen und die Trauben sind zerstört. Wenn es allerdings so | |
bleibt, wie es momentan aussieht, scheint es wieder ein ganz guter Jahrgang | |
zu werden. So wie 2019, und vor allen Dingen, wie es 2018 war. | |
Sie meinen den Hitzesommer, wo kaum Niederschlag fiel? | |
Ja, das war ein besonders ideales Jahr. | |
Sind die Winzer die Profiteure des Klimawandels? | |
Profiteure vielleicht nicht unbedingt, aber es schadet uns auch nicht | |
großartig. Die Rebe steckt das ganz gut weg. Auch 2018, wo es diese extreme | |
Hitze gab, hat das Weinbergen, die älter als fünf Jahre waren, nichts | |
ausgemacht. Die Wurzeln gehen bis zu acht Meter tief in die Erde und holen | |
sich dort ihr Wasser. | |
Jetzt, wo Sie diesen Sommer nicht nach Berlin fahren, können Sie die Zeit | |
zu Hause wenigistens genießen? | |
Ich muss ganz ehrlich sagen, ich fahre sehr gerne nach Berlin. Es fehlt | |
einem was, abgesehen vom finanziellen Verlust. Wir haben ein schönes | |
Verhältnis zu den Gästen dort aufgebaut. Und auch zu den vielen Berliner | |
Mitarbeitern, die uns helfen am Stand, haben wir freundschaftliche | |
Verhältnisse. | |
Der Weinbrunnen hat in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht, weil ein | |
Anwohner wegen ruhestörenden Lärms geklagt hatte. Hatten Sie Angst, dass er | |
Ihnen das Geschäft kaputt macht? | |
Klar hatten wir Sorgen, da stand etwas sehr Wichtiges für uns auf der | |
Kippe. Das ist ja dann vom Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht | |
abgelehnt worden. Trotzdem hat er noch weiter gemacht und ist vor das | |
Bundesverwaltungsgericht gegangen. | |
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erging Anfang 2020. Das | |
Gericht hat einige Auflagen gemacht, aber der Fortbestand des Weinbrunnens | |
an sich sei nicht gefährdet, sagte Bürgermeister Naumann zur taz. | |
Der Kläger war aber auch der einzige Anwohner, der sich gestört gefühlt | |
hat, das muss man ehrlich sagen. | |
Vollstreckt Corona jetzt, was der Anwohner mit seiner Klage nicht geschafft | |
hat? | |
Ich hoffe nicht! Wir gehen fest davon aus, dass wir 2021 wieder in Berlin | |
sein werden. Aber eine 100-prozentige Sicherheit gibt es natürlich nicht. | |
Ich habe gehört, dass hier bei uns bereits der komplette Karneval für | |
nächstes Jahr abgesagt worden ist. Allerdings habe ich das noch nirgendwo | |
gelesen. | |
Ist auf dem Rüdesheimer Platz ohne die Winzer jetzt tote Hose? | |
Wie ich von Freunden in Berlin höre, ist da nach wie vor relativ viel los. | |
Ich kriege auch immer mal wieder Bilder geschickt. Wir beliefern ja jetzt | |
zwei Restaurants am Rüdesheimer Platz mit Wein. | |
Coronabedingt? | |
Ja. Die haben das von sich aus forciert. | |
Die Lokale profitieren davon, dass die Winzer nicht kommen dürfen? | |
Könnte man so sagen (lacht). Die Leute zieht es nach draußen. Sie können | |
sich dann an diesen beiden Stellen auch Weine von uns kaufen und damit in | |
den Park gehen. Oder mit eigenen Getränken, wie es passt. | |
27 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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