# taz.de -- Türkische Invasion in Syrien: Deutsche ExtremistInnen flüchtig | |
> Nach der Türkei-Invasion sind in Syrien auch deutsche IS-AnhängerInnen | |
> aus der Haft entkommen. Wo sie sich befinden, weiß keiner. | |
Bild: Düstere Aussichten: Die IS-AnhängerInnen wieder einzufangen, könnte sc… | |
BERLIN taz | Es ist ein lange befürchtetes Szenario. Infolge der | |
[1][türkischen Militäroffensive in Syrien] sind auch deutsche | |
IS-AnhängerInnen aus kurdischen Lagern entkommen. Nach taz-Informationen | |
handelt es sich um mindestens vier Frauen, die zuvor im Lager Ain Issa | |
lebten. Drei von ihnen sind deutsche Staatsbürgerinnen. Die vierte soll | |
türkische Staatsangehörige sein, die zuvor in Deutschland lebte. Sie soll | |
inzwischen in der Türkei in Haft sitzen. Die drei anderen Frauen und ihre | |
Kinder sollen sich noch in [2][Syrien] aufhalten. | |
Das Auswärtige Amt bestätigt inzwischen die Fluchten. „Die der | |
Bundesregierung vorliegenden Informationen legen nahe, dass sich unter den | |
aus kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien entkommenen IS-Anhängerinnen | |
und -Anhängern auch deutsche Staatsangehörige befinden“, heißt es auf eine | |
FDP-Anfrage. Zahlen nennt das Amt nicht. | |
Insgesamt sollen zuletzt laut der Syrischen Beobachtungsstelle für | |
Menschenrechte fast 800 IS-UnterstützerInnen das Lager Ain Issa im Norden | |
Syriens verlassen haben. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes lebte dort eine | |
einstellige Anzahl Deutscher. | |
Am Mittwoch erklärte der US-Syriengesandte James Jeffrey, dass insgesamt | |
inzwischen mehr als ein hundert IS-AnhängerInnen entkommen seien. Die USA | |
hätten keine Kenntnisse darüber, wo sich diese Dschihadisten aufhielten. | |
Eine der zuletzt geflüchteten Deutschen ist die 29-jährige Elina F. aus | |
Hamburg, die 2013 mit ihrem Freund zum sogenannten Islamischen Staat nach | |
Syrien gezogen war. Dort soll sie per Video zur Ausreise in den Dschihad | |
geworben haben. Der Stern, der zuletzt noch Kontakt zu ihr hatte, | |
berichtete, dass F. aus einer russlanddeutschen Familie stammt und zum | |
Islam konvertierte. Seit Anfang 2018 habe sie mit ihren beiden Söhnen in | |
Ain Issa gelebt. Nach eigenen Angaben soll sie sich inzwischen vom Islam | |
losgesagt haben und Syrien verlassen wollen. | |
## „Nun hat man das Chaos“ | |
Claudia Dantschke vom Verein „Hayat“, der Angehörige von Ausgereisten | |
berät, hält Kontakt zu Frauen, die in syrischen Lagern sitzen. Zwei der | |
Entkommenen sind auch dabei, eine von ihnen soll mit Elina F. unterwegs | |
sein. Dantschke sagt dazu nur: Wo die Frauen jetzt seien, wisse sie nicht. | |
„Der Kontakt ist am Freitag abgebrochen.“ | |
Anwalt Mahmut Erdem, der mehrere Familien von zum IS ausgereisten Deutschen | |
vertritt, berichtet auch von einem Mann, Fatih A., der aus Ain Issa | |
geflohen sei. Er habe dies von kurdischen Kontaktleuten erfahren. A. soll | |
im Herbst 2015 von Hamburg nach Syrien ausgereist sein. Seit Monaten bemühe | |
er sich um eine Rückholung der IS-Anhänger, ohne dass die Bundesregierung | |
reagiere, klagt Erdem. „Nun hat man das Chaos. Das ist unverantwortlich.“ | |
Auch Dantschke übt harte Kritik. „Ich mache das Auswärtige Amt und | |
Außenminister Heiko Maas persönlich für die aktuelle Entwicklung | |
verantwortlich.“ Die Regierung habe zwei Jahre auf Zeit gespielt. „Jetzt | |
besteht die Gefahr, dass einige verschwinden und wir nicht wissen, wo sie | |
sind.“ | |
Auch der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser wirft der Regierung vor, das | |
Problem ausgesessen zu haben, mit nun womöglich fatalen Folgen. „So wird | |
die Große Koalition durch Nichtstun zu einem Sicherheitsrisiko, nicht nur | |
für unser Land.“ | |
## Über hundert Deutsche sitzen in den Lagern | |
Die Bundesregierung zählt derzeit 111 deutsche IS-AnhängerInnen, darunter | |
rund 70 Frauen, und 160 Kinder, die in kurdischen Lagern sitzen – die | |
meisten in al-Hol, nahe der irakischen Grenze. Die Meldungen über Ausbrüche | |
verfolge man „mit großer Sorge“, sagte ein Sprecher das Auswärtigen Amtes | |
zuletzt. Der Tagesspiegel zitierte zudem einen Sicherheitsexperten, wonach | |
bei circa 120 ausgereisten, deutschen IS-AnhängerInnen, darunter 25 Frauen, | |
der Aufenthaltsort derzeit unbekannt sei. | |
Über die Rückholung der Deutschen wird seit Langem gestritten. Juristisch | |
haben deutsche Staatsbürger ein Recht auf Wiedereinreise. Doch die | |
Bundesregierung zögert – aus Angst, sich potenzielle Attentäter ins Land zu | |
schaffen. Bislang hat sie aus Syrien erst drei Waisenkinder und ein schwer | |
krankes Baby zurückgeholt. Zuletzt forderten aber auch Innenexperten der | |
Union oder SPD-Innenminister Boris Pistorius weitere Rückholungen. | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wies am Mittwoch die Forderungen | |
zurück. Die Sicherheit Deutschlands stehe an erster Stelle, sagte er im | |
Bundestag. „Und wer ausgezogen ist, um gegen dieses Land, seine | |
Werteordnung und seine Grundordnung zu kämpfen, da kann ich nicht die Arme | |
ausbreiten und sagen: Kommt alle wieder zurück.“ | |
Womöglich zwingt indes bald das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg | |
die Bundesregierung zum Handeln: Dort klagt eine IS-Anhängerin mit ihren | |
Kindern auf Rückkehr – und bekam in erster Instanz recht. Bleibt es dabei, | |
muss die Regierung dann möglicherweise mit dem syrischen Diktator Assad | |
über die Rückführung deutscher Staatsbürger verhandeln. | |
23 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Sabine am Orde | |
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Annegret Kramp-Karrenbauer | |
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