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# taz.de -- Gesunde Ernährung: Fragwürdige Fleisch-Studie
> Fleisch ist doch nicht so ungesund wie bisher angenommen. So lautete das
> Fazit einer Studie. Ernährungsforscher widersprechen vehement.
Bild: Möglichst wenig Fleisch: Das ist auch gut fürs Klima
München taz | „Fleisch und Fleischprodukte sind nicht ungesund und falls
doch, dann nur in sehr geringem Maße“ – das ist das Fazit einer
Studien-Reihe der sogenannten NutriRECS-Forschergruppe, die Anfang Oktober
in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde. Die Beweislage aus
Studien zu Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs und
Sterblichkeitsraten wäre also nicht so eindeutig, dass man seinen Konsum an
Schnitzel, Würstchen & Co. verringern müsse, wie es etliche
Fachgesellschaften weltweit raten. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft
für Ernährung (DGE), höchstens 300 bis 600 Gramm rotes Fleisch und Wurst
pro Woche zu essen, da sonst das Risiko für Darmkrebs erhöht sei. Der World
Cancer Research Fund (WCRF) hält drei Portionen Fleisch von Schwein, Rind,
Kalb oder Lamm pro Woche für das gesundheitliche Maximum.
Die Nachricht sorgte nicht nur für reichlich Medienecho, auch die
Wissenschaftsgemeinde war aufgebracht. Laut der New York Times sollen
einige Wissenschaftler bereits im Vorfeld der Publikation auf die
Herausgeber der Annals of Internal Medicine eingewirkt haben, um die
Veröffentlichung zu verzögern.
Harvard-Forscher haben parallel zur Veröffentlichung gewarnt, dass diese
Ergebnisse die Ernährungswissenschaft unglaubwürdig machen würde sowie
generell das Vertrauen in die Wissenschaft schmälern könnte. Und auch das
Max-Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe kritisiert, dass die
Schlussfolgerung, Erwachsene könnten weiterhin so viel rotes Fleisch und
Wurst essen wie bisher, in Anbetracht der Prävalenz ernährungsmitbedingter
Erkrankungen kontraproduktiv sei.
Wie kann es sein, dass sich Wissenschaftler dermaßen widersprechen? Das
internationale Forscherteam, bei dem auch Wissenschaftler der
Cochrane-Vereinigung beteiligt waren, besah sich sogenannte
Beobachtungsstudien, aber auch Interventionsstudien genauer: randomisierte
Kontrollstudien. Beobachtungsstudien können Hinweise auf eine
Ursache-Wirkungs-Beziehung geben, diese aber nie beweisen, da nicht alle
indirekt wirkenden Faktoren herausgerechnet werden können.
Interventionsstudien sind dagegen Studien, bei denen die Teilnehmer eine
bestimmte Ernährungsweise für eine Zeit lang befolgen müssen. Sie sind
schwierig durchzuführen, da sich wenige Menschen vorschreiben lassen
wollen, was sie auf ihrem Teller haben, zudem sind sie teuer, wenn sie auf
längere Zeit angelegt sind. Das NutriRECS-Forscherteam fand denn auch nur
12 randomisierte Kontrollstudien zu Fleisch und Gesundheit, die zudem ihrer
Meinung nach qualitative Mängel aufwiesen.
## Das Studiendesign passt nicht
„Das Bewertungssystem, das die Forschergruppe angewendet hat, ist ideal
dafür, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen. Für
Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Sport oder Rauchen ist es jedoch schwer
anzuwenden“, sagt Tilman Kühn, Epidemiologe am Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ). „Denn wie will man etwa viele Tausende
Menschen über einen langen Zeitraum dazu bringen, viel oder wenig Fleisch
zu essen?“ So waren die 12 analysierten Interventionsstudien teils auch gar
nicht auf Fleischreduktion ausgerichtet. Die miteinbezogene Studie der WHI
(Women’s Health Initiative) zielte etwa darauf ab, die Wirkungen fettarmer
Ernährung zu erforschen. „Hier wurden nachträglich Daten zum Fleischverzehr
extrahiert, das ist methodisch bedenklich“, meint Kühn.
Zudem werden Ernährungsempfehlungen nicht nur aus epidemiologischen Studien
extrahiert. In-vitro-, Tier- und Humanstudien, die mechanistische
Erklärungen liefern können, sind wichtige Puzzleteile, um ein klares Bild
zu ergeben. In Sachen Fleisch ist zwar tatsächlich nicht endgültig klar,
welche Inhaltsstoffe möglicherweise der Gesundheit schaden. Allerdings gibt
es einige Theorien. So zeigen etwa Studien des DKFZ, dass Menschen, die
viel Fleisch essen, erhöhte Biomarker bestimmter Röststoffe, wie sie beim
Braten und Grillen entstehen, im Blut schwimmen haben. Und diese Menschen
hatten ein erhöhtes Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken.
Im Grunde haben die NutriRECS-Forscher nur offengelegt, was in der
Ernährungswissenschaft schon lange bekannt ist: Epidemiologische Studien
können nie abschließend belegen, dass Fleisch ungesund ist. Wenn man sich
das Gesamtbild besieht, spricht aber doch einiges dafür. Gleichsam können
die NutriRECS-Forscher auch nicht belegen, dass Fleischverzehr völlig
ungefährlich ist. Sie geben sogar zu, dass ein leicht verringertes Risiko
für Volksleiden bestehen könnte, wenn der [1][Fleischverzehr] – in
Deutschland liegt er derzeit bei rund 150 Gramm pro Tag – auf drei
Portionen pro Woche gesenkt wird.
Und solche kleinen Risikominderungen sind für Gesundheitswissenschaftler
von Bedeutung, schließlich zählen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu
den häufigsten Todesursachen. Wenn also auch nur wenige Erkrankungen
verhindert werden können, wäre das ein Plus für die öffentliche Gesundheit.
## Ungewöhnliche Empfehlungen
Zu kritisieren wären die NutriRECS-Wissenschaftler auch, da sie nicht nur
Meta-Analysen vorlegen, sondern auch noch [2][Ernährungsempfehlungen]
geben. „Das ist sehr ungewöhnlich und eigentlich die Aufgabe von
Fachgesellschaften“, meint MRI-Forscher Bernhard Watzl. „Zudem
berücksichtigen Ernährungsempfehlungen mehrere Aspekte und beschränken sich
nicht ausschließlich auf den Zusammenhang zwischen Ernährung und
Erkrankungsrisiko.“
Sie beinhalten etwa zunehmend auch Aspekte der Nachhaltigkeit. Und rotes
Fleisch ist nun mal das Lebensmittel mit dem größten ökologischen
Fußabdruck. Zudem sprechen auch die teils qualvollen Verhältnisse in der
modernen Tierproduktion nicht für einen ausschweifenden Fleischverzehr.
Kritikwürdig ist auch, dass die NutriRecs-Forscher eine Frage stellen, die
so in der Ernährungsforschung eigentlich nicht mehr gestellt wird. Denn
klar ist, dass einzelne Lebensmittel nicht den großen Unterschied machen,
sondern dass Ernährungsmuster zählen. So gilt die mediterrane Ernährung,
die Nordic Diet, aber auch die japanische Ernährung als lebensverlängernd
und keine dieser Ernährungsweisen verzichtet auf Fleisch.
## Ballaststoffe und wenig Zucker
Sicher ist hingegen: Eine Ernährung mit viel Fleisch und Wurst sowie
Zucker, Weißmehl und gesättigten Fetten (auch aus Palm- oder Kokosöl) aus
Fertiglebensmitteln ist ungesund, weil gesunde Lebensmittel wie Gemüse,
Obst, Hülsenfrüchte, Vollkorn oder Nüsse dann definitiv zu kurz kommen. Wer
viel Fleisch, vor allem unbearbeitetes Fleisch, isst, aber gleichzeitig
ballaststoffreich und zuckerarm, der hat ein geringeres Krankheitsrisiko.
Diese Art der Ernährung ist aber sehr selten. In zahlreichen Studien wurde
belegt, dass Fleisch-Fans meist auch sonst keine guten
Ernährungsgewohnheiten haben. Zudem rauchten sie öfter, tranken häufiger
Alkohol, bewegten sich weniger und hatten eher ein paar Pfunde zu viel. Am
gesündesten waren auch nicht die Vegetarier, sondern Menschen, die wenig
Fleisch essen. Denn diese hatten den günstigsten Lebensstil. Und dies ist
relevant: „20 Prozent der Todesfälle sind auf das Rauchen zurückzuführen,
während nur rund 6 Prozent auf das Konto ungesunder Ernährung gehen“, so
Kühn. Sinnvoll ist ein „Weniger Fleisch“ auch nur dann, wenn die
Kalorienlücke nicht mit Pizza, Keksen oder Fleisch-Imitaten aufgefüllt
wird.
Und noch etwas lässt die aktuelle Studienreihe in einem zweifelhaften Licht
erscheinen: „Das konzertierte Vorgehen der Forscher, mehrere Studien
gleichzeitig zu veröffentlichen, wirkt wie ein PR-Coup“, meint Kühn. „Zum…
der Studienleiter Bradley Johnston nicht ausreichend offengelegt hat, dass
er vor einigen Jahren von der Ernährungsindustrie gefördert wurde.“ Der
WCRF oder die DGE sind hingegen unabhängig von kommerziellen Interessen.
„Es wird mit großer Sicherheit keine Änderungen bei den
Ernährungsempfehlungen geben“, meint denn auch der Krebsforscher Kühn.
17 Oct 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Kathrin Burger
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