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# taz.de -- Bestseller-Autor über Kriminalromane: „Röntgenbilder der Gesell…
> Klaus-Peter Wolfs Ostfriesen-Krimis verkaufen sich millionenfach. Ein
> Gespräch über Herkunft, Nazis und Anfeindungen in Ostfriesland.
Bild: Schönes Ostfriesland: Klaus-Peter Wolf siedelt Verbrechen gerne in Urlau…
taz: Herr Wolf, macht es Ihnen Spaß, über Abgründiges zu schreiben?
Klaus-Peter Wolf: Ich finde es notwendig. Es ist die eigentliche Aufgabe
von Schriftstellern.
Warum?
Als ich klein war, war der Krieg noch nicht lange vorbei. Und ich war in
einer Situation, die ’was sehr Verrücktes hatte: Die einen wollten darüber
nicht sprechen, weil sie sich schuldig gemacht hatten, die anderen waren
dafür zu schwer traumatisiert. Das hat mich geprägt. Es sind die Abgründe
des Menschen, über die man sprechen sollte. Kriminalromane sind deshalb für
mich auch Röntgenbilder der Gesellschaft.
Sie kommen nicht gebürtig aus Ostfriesland, woher kommen Sie?
Ich bin ein Arbeiterkind aus Ückendorf in Gelsenkirchen. Meine Mutter war
Frisörin und mein Vater erst Lastwagenfahrer, später wurde ihm der
Führerschein weggenommen und er wurde Bademeister. Während des Kriegs hatte
meine Familie Juden versteckt. Ich habe noch die jüdische „Tante“ Sophie
kennengelernt. Sie hatte überlebt. Aber auch nach dem Krieg hatten alle
Angst, darüber zu sprechen. Sie hätten stolz sein können. Sie waren Helden,
verhielten sich aber, als hätten sie etwas falsch gemacht und müssten das
peinlich verbergen.
Wollten Sie trotz Ihrer kleinbürgerlichen Herkunft Schriftsteller werden
oder gerade deswegen?
Ich wollte nie was anderes werden als Schriftsteller. Ich wollte meine
Geschichten erzählen. Meine ersten Arbeiten wurden in Tageszeitungen
abgedruckt, da war ich 14. Einige Arbeiterschriftsteller aus dem Ruhrgebiet
haben sich meiner angenommen. Max von der Grün zum Beispiel. Bei ihnen bin
ich in die Schule gegangen.
Wie war das Leben in der Nachkriegszeit für Ihre Familie?
Meine Mutter wusste von vielen in Gelsenkirchen, was sie zur Zeit des
NS-Terrors gemacht hatten: Sie sagte oft mit einer Mischung aus Spott und
Angst: ‚Heute sind das alles aufrechte Demokraten, gerade waren es noch
standhafte Nazis. Heute haben sie Karrieren gemacht und leben gut in einer
Demokratie. Aber sobald es wieder umschlägt, werden wir für das ins
Gefängnis gebracht, worauf wir heute eigentlich stolz sein könnten. Besser
man redet nicht über das, was man getan hat. Man weiß nicht, wie die
Geschichte weitergeht.‘
Ihre Mutter hat also früh dafür gesorgt, dass Sie Ihren Blick auf
Abgründiges schärfen sollten?
Ja. Der Widerstand, den meine Familie geleistet hat, kam nicht aus einer
heroischen Haltung heraus. Die waren einfach anständig, das war alles. Wenn
einer also heute von sich sagt, dass er Demokrat sei, heißt das für mich
erst mal gar nichts. Ich gucke darauf, wie er sich verhält, was er für
Dinge sagt und tut. Nazis sind nicht nur Leute, die laut „Heil Hitler!“
schreien.
Sie haben Abitur gemacht, aber ein Studium nicht mit einem Abschluss
beendet. Woran lag es?
Ich habe studiert, weil ich etwas wissen wollte und nicht, weil ich einen
Abschluss in irgendwas machen wollte. Ich habe vier Semester Jura studiert,
damit ich bessere Kriminalromane schreiben kann. In der Zeit habe ich
Gerichtsreportagen geschrieben.
Sie haben auch früh Preise für Ihre Geschichten bekommen.
Ja. Den Anne-Frank-Preis, den Erich-Kästner-Preis. Ich habe in Deutschland
meist Publikumspreise bekommen. Demokratische Preise finde ich auch besser.
Meinen ersten bekam ich für die beste deutsche Kurzgeschichte. Darauf bin
ich heute noch stolz. Selbst in China und Kanada gab es Auszeichnungen für
meine Bücher und Filme. Aber der schönste Preis ist, für ein
Millionenpublikum schreiben zu dürfen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Herkunft von
Literaturkritiker*innen belächelt werden? Und weil Sie als sogenannter
Volksschriftsteller immer nahe bei Ihren vielen Fans sind?
Ich glaube, dass da auch etwas anderes mitspielt. Nämlich eine zutiefst
antidemokratische Geisteshaltung: Mich hat mal ein Kritiker gefragt, ob es
mir nicht peinlich sei, so viele Fans zu haben. Künstler, die Erfolg haben,
sind in Deutschland verdächtig. Was man mir vorwirft, ist genau das: Mit
mir muss ja etwas nicht stimmen, weil ich so viele Leserinnen und Leser
habe. Wenn aber etwas dadurch schlecht wird, dass viele es mögen, dann wäre
ja die Demokratie die dümmste Erfindung und als Staatsform überhaupt nicht
geeignet. Dann müsste eigentlich eine akademische Elite das Land regieren.
In so einem Land will ich aber nicht leben.
Sie waren mal in der Kommunistischen Partei und sind enttäuscht
ausgetreten. Was hat Sie enttäuscht?
Ich kannte noch alte Kommunisten, die im Widerstand waren und die konnten
mir gesellschaftliche Zusammenhänge erklären. Für mich waren das die
besseren Menschen, weil die eben nicht weggeguckt hatten. Erst bei Reisen
in die DDR und in die Sowjetunion habe ich gesehen, dass Sozialismus eine
schöne Idee ist, aber ohne Demokratie nicht funktioniert. Die schöne Idee
wurde zum Albtraum. Meine Illusionen von einem fröhlichen, bunten
Sozialismus wurden zerstört. Dann kam 1987 das Friedensforum in Moskau.
Gorbatschow hatte mich mit anderen in der Sowjetunion bekannten Künstlern
wie Friedrich Dürrenmatt und Graham Green eingeladen. Vier Tage wurde
heftig diskutiert, wie es weiter gehen könne mit der Welt. Gorbatschow war
eine Hoffnung für mich.
Ohne eine Partei im Hinterkopf zu haben: Heute kann man ja über
demokratischen Sozialismus zumindest streiten oder nicht?
Meine Mutter war Frisörin. Ich glaube nicht, dass ein Frisörladen oder eine
Bäckerei in staatliche Hand gehören, aber ich finde es nicht richtig, dass
Krankenhäuser heute Aktiengesellschaften werden sollen. Bestimmte Dinge
gehören in staatliche oder kommunale Hand, finde ich. Ich will nicht, dass
das Krankenhaus Investoren reich macht, ich will, dass es die Menschen
gesund macht. So einfach ist es doch eigentlich. Auch Strom, Wasser, Luft
sollten nicht privatisiert werden, sondern gesellschaftliches Eigentum
sein.
Sie setzen sich in allen Ihren Büchern intensiv mit der echten Geschichte
auseinander. In den Ostfriesland-Krimis werden auch immer echte Personen
und Orte aus Ostfriesland beschrieben. Kommt es da nicht auch zu
Konflikten?
In Ostfriesland nutze ich die Schönheit der Landschaft, um die Abgründe der
Seelen zu erzählen, damit hatte bis jetzt keiner ein Problem. Aber es kam
in den letzten Wochen leider dazu, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben
jemanden für eine Schmähschrift und eine Falschbehauptung anzeigen musste.
Welche Schwelle wurde da überschritten?
Ein mir wildfremder Mann schrieb in einem Leserbrief in der Ostfriesen
Zeitung, dass ich zwar kein echter Ostfriese sei, aber ein
„Nestbeschmutzer“, weil ich die Ostfriesen in meinen Büchern als ein Volk
von „Mördern und Verbrechern“ darstellen würde. Solche Nestbeschmutzer
hätte man früher bei Nebel ins Watt gejagt …
… die Ostfriesen Zeitung druckt solche plumpen Kommentare?
Später wurde es noch perverser und ein anderer Mann behauptete in einem
Leserbrief, ich hätte das genau so gesagt. Eine Aussage, die ich nie
gemacht habe, wurde mir als Zitat untergeschoben. Die Ostfriesen Zeitung
ist total darauf aufgesprungen, hat immer mehr solcher Leserbriefe gebracht
und es gab mehrere Kommentare des Chefredakteurs, die mich als
größenwahnsinnig und meine Klage gegen den Leserbrief-Schreiber als
lächerlich hinstellten.
Der Journalist bezog sich mit dem Vorwurf des Größenwahns auf eine Aktion
im ostfriesischen Leer.
Ja, es ging um die Menschenkette „Leer zeigt Haltung“. Die gibt es ein Mal
im Monat und immer zu einem anderen Thema. Ich wurde dann gefragt, ob ich
nicht zum Thema Hassrede bei dieser Menschenkette sprechen wolle. Ich habe
von meiner Geschichte mit dem falschen Zitat erzählt. Ich setzte dabei
viele Parallelen zu Anfeindungen gegen Menschen aus der Politik – Walter
Lübke zum Beispiel. Daraus machte der Journalist gleich, dass ich doch
größenwahnsinnig sei, weil ich mich ja mit so wichtigen Menschen
vergleiche. Dabei wollte ich nur einen gesellschaftlichen Zusammenhang
herstellen.
Der Richter und der Staatsanwalt kamen aber zu einem anderen Ergebnis: Der
Mann musste 1.500 Euro Strafe zahlen und darf dieses falsche Zitat nicht
mehr verbreiten.
Zum Glück sprechen bei uns Gerichte Recht und nicht die Lokalpresse.
Allerdings wurde gegen den Strafbefehl Rechtsmittel eingelegt. Alles ist
wieder offen.
In Ihren Ostfriesland-Krimis sind die Mörder meist ausgedachte Zugezogene
aus Bamberg oder der Schweiz, so wie Ihr berühmter Serienmörder Dr.
Bernhard Sommerfeldt. Ann Kathrin Klaasen ist die Kommissarin, die den
Mörder jagt. Was halten Sie selbst von Ihren Figuren?
Sommerfeldt ist der, der unabhängig von gesellschaftlichen Vereinbarungen
eine Frau und ihr Kind vor einem alkoholabhängigen Schlägervater schützt.
Er ist ein falscher Arzt und ein belesener Mann. Er setzt sich mit
Literatur und Kunst auseinander. Von seinen Patientinnen und Patienten wird
er geliebt. Frau Klaasen ist genau so intelligent wie Dr. Sommerfeldt, sie
ist die beste Zielfahnderin in ganz Deutschland und versucht, den falschen
Doktor für seine Morde hinter Gitter zu bringen. Insgeheim bewundert sie
ihn ein bisschen, glaube ich.
Was muss ein Ort in Ostfriesland haben, damit er ein schöner Tatort ist?
Ich habe immer gesagt, ich begehe meine literarischen Verbrechen an den
schönsten Orten der Welt, denn Kunst lebt vom Kontrast. Und wenn ich
beispielsweise auf Borkum bin und mir die Insel angucke, dann suche ich
natürlich einen Platz, den viele Touristinnen kennen. Dann sitzt mein
Serienkiller an der Promenade auf einem Liegestuhl mit Blick auf die
Seehundbank. Das gibt dem Borkum-Urlaub natürlich noch mal eine ganz andere
Note für Leute aus Bayern oder anderswo. Und es findet eine überprüfbare
Realität statt, weil man sieht, was der Serienkiller auch gesehen hat. Wer
hat die Welt schon mit den Augen eines Serienkillers gesehen?
7 Oct 2019
## AUTOREN
Yasemin Fusco
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