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# taz.de -- Krimis aus der Einöde: Schöne Tatorte fürs Marketing
> "Eifel-Krimi", "Allgäu-Krimi", Krimidinner: Es ist ihre jeweilige
> Gebietskulisse, die die Autoren von Regionalkrimis äußerst liebevoll
> schildern.
Bild: Im Regionalkrimi wird der Stall schon mal zum Tatort.
Beinahe täglich läuft auf irgendeinem Fernsehkanal ein Krimi. Und selten
wird dabei versäumt, die Schokoladenseiten des Tatorts einzublenden: die
neue "Hafen-City" in Hamburg, die Skyline in Frankfurt, die "Brandenburger
Torheit" in Berlin, das Holstentor in Lübeck. Auf diese Weise dienen die in
den Regionalkrimis verhandelten Verbrechen mehr oder weniger unverblümt dem
Standortmarketing.
In anderen (Krimi)regionen Deutschlands kommen dazu noch Krimifestivals,
Krimidinner, Krimipreise und von Krimiautoren geleitete Führungen zu den
spektakulärsten Tatorten ihrer Romane. Das Kehdinger Land an der Elbmündung
bewirbt sich sogar komplett als "Krimiland", weil dort am Rönndeich auf 2,5
Kilometern 20 gestandene Krimiautoren leben.
Ein weiteres Krimizentrum ist Daun in der Eifel. Dort wohnt und schreibt
unter anderen der "Erfinder" der deutschen Regionalkrimis: Jacques
Berndorf. Kürzlich wurde sein 21. "Eifel-Krimi" in der Mainzer
Staatskanzlei vom Ministerpräsidenten vorgestellt. Allein für diesen Roman,
"Die Nürburg-Papiere", gab es 60.000 Vorbestellungen, allerdings auch
Missverständnisse: So schrieb ihm eine Leserin, dass sie seine Eifelkrimis
wegen der schönen Landschaftsschilderungen sehr schätze, sie bat ihn
jedoch, die schrecklichen Verbrechen zwischendrin in Zukunft wegzulassen.
Die Stuttgarter Krimiautorin Christine Lehmann erklärt sich die wachsende
Krimibegeisterung der Deutschen so: "Der Regionalkrimi holt ein beliebiges
Verbrechen in die Provinz. […] Da schau her: Die italienische Mafia in
Wangen im Allgäu. Hätte man nicht gedacht. Und wenn eine junge
Lokaljournalistin dem Autor reflexartig die Frage stellt: ,Wie kommen Sie
darauf, eine islamistische Terrorzelle in Christazhofen anzusiedeln?',
antwortet er versiert: 'Die Idylle trügt.' Und dann passiert es, dass mich
ein echter Staatsanwalt anspricht und mir darlegt, dass er das Vorbild für
meinen fiktiven Staatsanwalt sein muss, denn er fährt denselben Wagen,
stammt aus derselben Stadt und wohnt im selben Viertel. Man ist halt gern
dabei. Der Regionalkrimi wird als Schlüsselroman gelesen." So werden zu
Beispiel die "Nordhausen-Krimis" von der lokalen Buchhändlerin unter
Regionalia einsortiert und nicht unter Kriminalromane.
Vertriebsverbot gefordert
Für die Krimiverleger ist dieses Missverständnis gegenüber ihrer Ware
gleichbedeutend mit einem "hohen Wiedererkennungswert". Den besaß
anscheinend auch der "Münster-Krimi" von Jürgen Kehrer "Wilsberg und der
tote Professor", in dem es um Intrigen, Mobbing und Mord im Unimilieu geht.
Der Spiegel schrieb: "Geheimsprachenforscher Klaus Siewert ist sauer. Im
neuesten Roman des Münsteraner Schriftstellers identifiziert sich der
Akademiker ausgerechnet mit dem Antihelden. Anhand weniger markanter
Übereinstimmungen sei deutlich zu erkennen, dass er als lebendes Vorbild
für den Negativ-Charakter des Werkes gedient habe, sagt der Privatdozent.
Er fordert ein Vertriebsverbot des Buches unter Androhung eines
Zwangsgeldes von 250.000 Euro." Der Autor wurde schon einmal verklagt, weil
sich jemand in einem seiner Regionalkrimis wiedererkannt hatte. Beide Male
wurde Jürgen Kehrer freigesprochen.
Ebenso ist es schon vorgekommen, dass ein Autor sich im Werk eines anderen
wiedererkannt hat. Das ist Andrea Maria Schenkel mit ihrem Regionalkrimi
"Tannöd" passiert. Der Sachbuchautor Peter Leuschner entdeckte darin
Parallelen zu seinem Werk "Der Mordfall Hinterkaifeck" und verklagte die
Kollegin. Die Richter bescheinigten ihr jedoch, "trotz bestehender
Parallelen" zu dem Sachbuch den Regionalkrimi "Tannöd" wegen seines
eigenschöpferischen Gehalts als "urheberrechtlich unbedenklich" anzusehen.
"Urheberrechtlich unbedenklich" - ist das nun gut oder schlecht? Der
taz-Medienredakteur Steffen Grimberg, der bereits in mehreren TV-Jurys saß,
hat festgestellt, dass inzwischen fast alles (Gesellschafts)kritische in
Krimis verpackt wird. Nicht selten fordern die Sender von den Autoren, aus
ihrem "spannenden Stoff" einen Krimi zu machen. Bei den Printmedien ist es
ähnlich: "Immer mehr Journalisten packen ihren Frust in Kriminalromanen aus
oder verwerten ihre unvollkommenen beziehungsweise unabgesicherten
Recherchen auf diese Weise."
Grundsätzlich was gegen Krimis hat der Schriftsteller Hans-Christoph Buch.
Der gestand unlängst den FAZ-Lesern, ein "Krimi-Muffel" zu sein und solche
Romane nur "selten zu Ende" zu lesen, weil ihn "die Lösung des Rätsels, wer
wen wie und warum ermordet hat, nicht wirklich" interessiere. Er kam dann
jedoch darauf, dass eigentlich alle großen Werke der Weltliteratur - "von
Ödipus bis Hamlet und Macbeth" - genau genommen Krimis seien. Wohingegen
"95 Prozent aller Krimis Gebrauchsliteratur ohne Kunst- und
Informationswert", eben "Fastfood" wären, "appellierend an niedere
Instinkte".
Diese Einteilung in Trivial- und Hochliteratur entstammt mit ihrer von
Konrad Lorenz postulierten Instinkttheorie noch der alten auf Gustave Le
Bon zurückgehenden Dichotomie von Intelligenz und Masse. Letztere, der
Plebs, lässt sich selbst bei seinen Lektürevorlieben noch von niederen
Instinkten leiten. Heute spricht man von einem Gendefekt - beziehungsweise
von Jugendlichen mit Mutationshintergrund. Gleichzeitig gilt jedoch:
"Violence and Sex sells."
Hauptberuf Biobauer
In dieser Hinsicht tut man den Regionalkrimiautoren allerdings unrecht: Es
ist ihre jeweilige Gebietskulisse, nicht selten inklusive der darin
namentlich genannten Restaurants und ihres Speisenangebots, die sie
liebevollst schildern. Dazu kommt bisweilen noch ein großes Wissen über die
Konfliktlinien des Milieus, in dem ihre Romane spielen.
So ist etwa der Krimiautor Thomas B. Morgenstern im Hauptberuf Biobauer und
die Verbrechen betreffen norddeutsche Milchbauern, sein Ermittler ist ein
"Milchkontrolleur". Ähnliche Konstellationen gibt es auch unter den
"Allgäu-Krimis". Überhaupt scheinen die fiktiven Dorfkrimis sich
proportional zum realen Sterben der Dörfer und ländlichen Gemeinschaften zu
vermehren. Wenn man alle Toten in den "Friesen-Krimis" allein vom Autor
Theodor J. Reisdorf zusammenzählt, müsste dieses Küstenvolk längst
ausgestorben sein.
In den Regionalkrimis spiegeln sich öffentliche Debatten: Seit einiger Zeit
wird zum Beispiel über die Privatisierung der Wasserversorgung gestritten
und es bilden sich Bürgerinitiativen, um das wieder rückgängig zu machen.
Der Krimiautor Wolfgang Schorlau thematisiert das in seinem Roman "Fremde
Wasser". Er spielt in einer Berliner Konzernzentrale, die mit zunehmend ins
Kriminelle lappenden Methoden überall auf der Welt Wasserwerke aufkauft.
Das Nachwort klärt darüber auf, das es sich dabei um die
Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) handelt.
Der grüne Oberbürgermeisterkandidat in Stuttgart, Rezzo Schlauch, schrieb
über das Buch: "Öffentliche Daseinsvorsorge als Thema eines Krimis? Muss
das nicht schiefgehen? Nicht im Krimi von Wolfgang Schorlau. In diesem Buch
geht das Kapital buchstäblich über Leichen. Zunächst ist eine
widerspenstige Abgeordnete dran, später beinahe der Privatdetektiv selbst,
und wenn es nach dem Oberschurken ginge, wäre auch ein kleines Massaker in
Bolivien im Sinne der Rendite durchaus willkommen."
Rezzo Schlauch diskutierte in seiner taz-Rezension nur die
Wasseralternative Staat oder Markt, in Berlin ging und geht es jedoch um
seine Vergenossenschaftung. Der Stuttgarter Autor Wolfgang Schorlau hat
zuletzt "Argumente" für die Auseinandersetzung mit Stuttgart 21
veröffentlicht. Diesen ganzen seit der Wende sich "im Ländle" entwickelnden
Komplex hatte bereits Uta-Maria Heim 2008 auf den Begriff des
"Rattenprinzips" gebracht - in ihrem gleichnamigen "Stuttgart-Krimi". Im
Übrigen bahnt sich dort demnächst auch noch ein "Wasserkrimi in
Fortsetzungen" an, wie eine Bürgerinitiative auf ihrer Website schreibt.
Als ein weiterer Regionalkrimi, in dem es um Wasser geht, sei hier noch
Jacques Berndorfs "Eifel-Krimi" erwähnt. Dazu heißt es auf
[1][krimi-couch.de]: "Breidenbach wurde ermordet. Am wahrscheinlichsten
scheint ein Motiv für die Tat im beruflichen Umfeld des Chemikers zu sein.
Denn Breidenbachs Job war es, die Qualität des Trinkwassers zu
kontrollieren, und ziemlich schnell zeichnet sich ab, dass der
Wasser-Spezialist Umweltsündern auf die Spur gekommen ist."
Windkraftstreit
Auch über die Auseinandersetzungen zwischen Windkraftbefürwortern und
-gegnern schrieb Jacques Berndorf einen Roman: "Eifel-Sturm". Die meisten
dieser Ökokrimis spielen in den Regionen an der Küste. Einen ("Im Norden
stürmische Winde") verfasste der Stern-Autor Wolfgang Röhl. Er polemisiert
daneben auch auf der Website "Achse des Guten" gegen Windkraft. Dort
verknüpfen die Autoren ihre Argumente gegen die "Stromerzeugung mittels
Windrädern" seltsamerweise gerne mit Antiislamismus.
Ein anderes aktuelles Thema ist die Schönheitschirurgie. Hier zeigt sich
ebenfalls, dass die Autoren oft aus Engagement heraus ihre Krimis
schreiben. Erwähnt sei der Roman "Operation Schönheit" von Barbara Ahrens:
Vordergründig geht es darin um eine feministische "Initiative gegen
Brustkrebs", die verdächtigt wird, einen Mammachirurgen ermordet zu haben.
Dabei hat sich die Berliner Autorin jedoch gründlich mit der "Schönheit"
als klassen- und geschlechtsspezifische Körperlichkeit beschäftigt. Dies
gilt auch für die Anglistin Sabine Deitmer, in deren Roman "Scharfe Stiche"
ebenfalls ein Schönheitschirurg ermordet wird.
Eher unklar motiviert ist dagegen ein Roman von Burkhard Driest, "Der rote
Regen", in dem es um die Ermordung alternder Frauen in einer Schönheitsfarm
auf Ibiza geht, wo der Autor lebt. Grundsätzlich lässt sich über deutsche
Regionalkrimis vielleicht sagen: Wer den Autoren nicht passt - wird
ermordet. Gleichzeitig strengen sie sich jedoch an, den Täter zu ermitteln.
Dialektisch verrucht wird dabei aus der aufgeklärten Gesellschaft Kants ein
Volk von Hilfspolizisten.
31 Dec 2010
## LINKS
[1] http://krimi-couch.de
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Regionalkrimis
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