# taz.de -- Norddeutsche Regionalkrimis als Stream: Gepflegte Morde | |
> Im Netz sind mit „Friesland“, „Nord bei Nordwest“ und „Deichbullen�… | |
> sehr unterschiedliche Regionalkrimiserien als Streaming-Angebote zu | |
> sehen. | |
Bild: Unerwarteter Erfolg: Die „Deichbullen“ starteten als Low-Budget-Proje… | |
Bremen taz | Finden zwei ostfriesische Polizisten beim Klootschießen eine | |
Moorleiche und klären dann den Mord an ihr auf. Nein, das ist kein Witz, | |
sondern der Plot einer Folge der Regionalkrimiserie „Friesland“. Man kann | |
sich gut die Liste mit Stichworten vorstellen, an der sich die | |
Drehbuchautoren für die möglichst urig-norddeutschen Themen der 90 Minuten | |
langen Episoden abarbeiten: „Krabbenfischer“, „Strandfeuer“, „Gülleb… | |
und „Ruderrennen“ wurden in den bisher zehn Folgen schon abgehakt. Der | |
„Grünkohlmörder“ dürfte wohl auch bald kommen. | |
Regionalkrimis stillen ein ähnliches Verlangen des Publikums nach der | |
Idylle wie die Heimatfilme in den 1950er-Jahren. Klischees stören da nicht, | |
sondern sind im Gegenteil unbedingt nötig. Realismus sollte dagegen | |
möglichst vermieden werden. Die Morde sind gepflegt und mit der Aufklärung | |
im letzten Akt ist die Welt wieder in Ordnung. Aber sie haben das gemütlich | |
Altbekannte ja auch kaum angekratzt. | |
[1][„Friesland“] ist ein Musterbeispiel für diese Art von trostreicher | |
Fernsehunterhaltung. Die seit 2014 vom ZDF ausgestrahlte Serie ist ein | |
Ableger der im Münsterland spielenden Krimireihe „Wilsberg“, von demselben | |
Team aus den Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf sowie Regisseur | |
Dominic Müller. Wie schon dort ist Situationskomik wichtiger als eine | |
spannende Kriminalgeschichte: In der neuesten Folge „Aus dem Ruder“, die | |
Ende Februar über den Sender ging, wird etwa minutenlang gezeigt, wie eine | |
Ermittlerin sich selber in einem Spind einschließt und trotz lauten Rufens | |
lange nicht befreit wird. | |
„Friesland“ spielt im ostfriesischen Leer und wird in der dortigen | |
Altstadt, auf Norderney und am Hafen von Ditzum gedreht. Die Fälle löst ein | |
uniformiertes Polizistenpaar: Sophie Dahl spielt die Streifenbeamtin Süher | |
Özlügül, Florian Lukas den Polizisten Jens Jensen. In der zweiten Staffel | |
wurde er durch Maxim Mehmet als Henk Cassens ersetzt. Süher Özlügül ist die | |
Tochter des türkischstämmigen Hafenmeisters von Leer, der schon mal ein | |
paar kleine Knirpse in einen Verschlag sperrt, weil sie ins Hafenbecken | |
gepinkelt haben. | |
## TV-Unterhaltung in Schmunzellaune | |
Für komische Verwicklungen sorgen auch die Apothekerin Insa Scherzinger | |
(Theresa Underberg), die unbedingt alle Mordopfer untersuchen will, weil | |
sie glaubt, sie wäre eine Rechtsmedizinerin, ein Bestatter (Matthias | |
Matschke und in der zweiten Staffel Holger Stockhaus), der ständig auf der | |
Suche nach Kundschaft ist und Hauptkommissar Jan Brockhaus (Felix Vörtler), | |
der auf der Wache ein strenges Regiment führt und davon träumt, wieder | |
zurück in die Großstadt Wilhelmshaven versetzt zu werden. Unter diesem | |
Stammpersonal köchelt die Handlung im Stil einer Sitcom meist vor sich hin, | |
so dass die Morde wie Nebensachen wirken und dann auch eher beiläufig | |
gelöst werden. | |
Die für die ARD an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste gedrehte | |
Krimireihe [2][„Nord bei Nordwest“] ist ambitionierter inszeniert und | |
besser geschrieben. Aber es gibt Parallelen zwischen beiden Serien: Auch | |
hier gibt es Bestatter (Stefan A. Tölle und Regine Hentschel als Parodien | |
auf Laurel und Hardy) die bei jedem Mordfall ein Geschäft wittern und mit | |
Cem-Ali Gültekin einen komischen Türken, der als Running Gag in jeder | |
Episode eine neue Geschäftsidee ausprobiert. Die Handlung spielt im | |
fiktiven Ostseestädtchen Schwanitz, gedreht wurde auf dem Priwall, in | |
Travemünde, Orth, und Petersdorf auf Fehmarn. | |
Diesmal wurde der erfahrene Polizist aus der Großstadt – Prinzip: fish out | |
of the water – einmal nicht, wie in Regionalkrimis üblich, in die Provinz | |
strafversetzt, sondern der Hamburger Ex-Ermittler Hauke Jacobs (Hinnerk | |
Schönemann) ist ein traumatisierter Aussteiger, der sich in Schwanitz als | |
Tierarzt niederlässt. Mit der Dorfpolizistin Lona Voght (Henny Reents) und | |
der Tierarzthelferin Jule Christiansen (Marleen Lohse) hat er zwei | |
rothaarige, alleinstehende Gehilfinnen, die ständig für romantische | |
Spannung sorgen. Hier werden Kriminalfälle ernst genommen, das Niveau der | |
Drehbücher entspricht dem von besseren Tatort-Folgen und die Komik wird als | |
Stilmittel eingesetzt, nicht als Hauptattraktion. | |
Seit der ersten Folge 2014 hat es zudem eine Entwicklung gegeben: Die | |
Episoden wurden immer düsterer und statt wie am Anfang eher putzig zu | |
inszenieren, trauten sich RegisseurInnen wie Felix Herzogenrath, Nina | |
Wolfrum und Markus Imboden immer mehr, komplexe und tragische Geschichten | |
zu erzählen. Statt sich auf dem Erfolg der Serie auszuruhen, versuchten sie | |
deren Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. Sie arbeiteten dabei etwa mit | |
Elementen des Actionkinos und des psychologischen Thrillers. Das schlechte | |
Deutsch des Titels (warum nicht „Mord bei Nordwest“?) erklärt sich übrige… | |
dadurch, dass hier der Titel des Hitchcock-Klassikers „North by Northwest“ | |
wörtlich übersetzt wurde. | |
Die Serie [3][„Deichbullen“] wurde dagegen originär für das Netz gemacht. | |
Der Kieler Filmemacher Michael Söth drehte 2015 zehn Fünf-Minuten-Episoden, | |
die er bei Youtube einstellte. Für sein Projekt über zwei Hamburger | |
Polizisten, die in das nordfriesische Kollmar strafversetzt (!) werden, | |
bekam er keine Förderung. | |
Also drehte er so billig wie möglich mit der Hilfe von Freunden und | |
Bekannten, zu denen auch der Schauspieler Ben Becker gehört. Der brummelt | |
nicht nur für das Intro einen hochironischen Text („Schleswig Holstein, | |
Perle der Natur …“), sondern tritt auch in einer Episode als mörderischer | |
Kiezschläger „Perle“ auf. Die Web-Episoden waren so erfolgreich, dass sich | |
die Produktionsfirma Studio Hamburg des Projekts annahm. So konnte Söth | |
vier neue, etwa 20 Minuten lange Episoden drehen, die Netflix angekauft | |
hat. | |
Die beiden Protagonisten der Serie, René Chambalu und Reverend Christian | |
Dabeler, sind eher Selbstdarsteller als Schauspieler, und so lässt Söth sie | |
meist einfach nur reden, wenn sie etwa in der Dorfkneipe ihr „Hamburger | |
Gedeck“ (Bier und Korn) zu sich nehmen. | |
Es gibt zwar schlimme Verbrechen in Kollmar: Ganze Busladungen von | |
Touristen verschwinden, und nachts werden von Fischerbooten blutige | |
Körperteile ins Meer geschüttet, aber die Deichbullen kriegen von all dem | |
nichts mit und konfiszieren höchstens mal Kinderspielzeug, das in | |
Hofeinfahrten herumliegt. Es gab kein Geld für Ausstattung, und drehte Söth | |
in den Wohnungen der KollmarerInnen, die dann gleich mitspielen durften. So | |
hat „Deichbullen“ nicht die polierte Postkartenoptik, die | |
Fernsehproduktionen so steril wirken lassen. Und das macht ihn zu einem | |
Heimatfilm im guten Sinn des Wortes. | |
18 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdf.de/serien/friesland | |
[2] https://www.daserste.de/unterhaltung/film/nord-bei-nordwest/index.html | |
[3] https://www.deichbullen.com/#trailer-1 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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