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# taz.de -- Buch über digitale Bildkulturen: David gegen Goliath
> In „Bildproteste“ untersucht die Wissenschaftlerin Kerstin Schankweiler,
> wie Bilder in Online-Netzwerken Protest global weitertragen.
Bild: 5. Juni 1989, Tiananmen-Platz. Das Foto wird Vorlage für das Entenbild, …
Medienikonen des Protests, wie sie im Zeitalter des Fotojournalismus
geprägt wurden – man denke an das Bild des erschossenen Benno Ohnesorg oder
an das des sogenannten „Napalm-Mädchens“ im Vietnamkrieg –, schlussfolge…
Kerstin Schankweiler, wird es nicht mehr geben. Denn sie „können sich in
Zeiten von dezentraler Social-Media-Kommunikation nicht mehr durchsetzen“,
wie die Professorin für Bildwissenschaft im globalen Kontext an der
Technischen Universität Dresden in ihrer unbedingt lesenswerten
Untersuchung „Bildproteste“ schreibt.
Sie verhandelt ihr Thema also im Kontext der als Phänomen nicht ganz neuen,
wissenschaftlich aber noch zu erkundenden „Digitalen Bildkulturen“ – wie
auch die von den Kunstwissenschaftlern Annekathrin Kohout und Wolfgang
Ullrich herausgegebene Buchreihe im Wagenbach Verlag heißt, in der
„Bildproteste“ jetzt erschienen ist.
Die bislang veröffentlichten schmalen Bände zu „Netzfeminismus“ von
Annekathrin Kohout und „Selfies“ von Wolfgang Ullrich sowie die
angekündigten zu „Screenshots“ von Paul Frosh, über „Modebilder“ von …
Weis und „Hassbilder“ von Daniel Hornuff beleuchten, wie durch die
Digitalisierung, den Gebrauch von Smartphones und die Nutzung sozialer
Medien jeweils neue Bildformen entstanden sind und die Menschen sich
inzwischen über Bilder ähnlich selbstverständlich austauschen wie durch die
gesprochene oder geschriebene Sprache.
Bilder haben damit nicht nur einen höheren Stellenwert als je zuvor in der
Kulturgeschichte, sie haben auch neue Funktionen und Strukturen. Kerstin
Schankweiler beobachtet, dass sich die Bilder selbst vernetzten, etwa im
viralen Phänomen des Meme, also dem parodistisch, agitatorisch oder einfach
popkulturell anspielungsreichen Remix vorgefundener Bilder, weshalb sie
konstatiert: „Nicht mehr Einzelbilder, nicht mehr Bilderserien,
Bildernetzwerke sind das Paradigma digitaler Bildkulturen.“
Im digitalen Zeitalter kann heute praktischer jede*r eigene politische
Botschaften verbreiten und damit eine große Öffentlichkeit erreichen. Dabei
spielen besonders Fotos und Videos eine große Rolle, vor allem in ihrer
dokumentierenden Funktion. Solche als öffentliche Zeugnisse in Umlauf
gebrachte Aufnahmen von Bürger*innen, die Zeug*innen von Demonstrationen,
Akten der Gewalt und des Widerstands wurden, sind es vor allem, die Kerstin
Schankweiler interessieren.
## Ein Bildereignis entsteht
Was zeichnet aber die Bildsujets aus, die im Netz rasch Verbreitung finden,
die einer politischen Bewegung ungeahnte Dynamik verleihen können und die
Menschen emotionalisieren und mobilisieren? Ein aufschlussreiches Beispiel
liefert ein Video, das am 25. Januar 2011 in Kairo entstand. Von einem
Balkon aus filmen Leute den Protest auf der Straße und dabei die Szene, wie
sich ein Mann einem näher rückenden Wasserwerfer in den Weg stellt.
Spontan bejubeln die Leute auf dem Balkon den heldenhaften Mann, man hört,
wie sie ihn aufgeregt anfeuern, dass er stehen bleiben soll. Diese mit
aufgezeichneten Reaktionen machen das Video nach Schankweiler zu einem
Bildereignis. Nicht nur die Personen mit der Kamera sind Zeug*innen des
Geschehens, das sie zudem in ihren Reaktionen bezeugen, auch die
Betrachter*innen werden beim Anschauen der Bilder zu Zeug*innen der
Ereignisse. Zumal die sozialen Netzwerke es ermöglichen, die Bilder schnell
hochzuladen und sie damit nahezu in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.
Die Aktion in Kairo ist auch insofern aufschlussreich, als sie an den
ikonisch gewordenen Tank Man vom Tiananmen-Platz 1989 erinnert, der sich am
Tag nach der Niederschlagung des Aufstands einer Panzerkolonne
entgegenstellte. Ähnliche Bilder existieren auch vom Prager Frühling 1968.
Die David-gegen-Goliath-Bildformel gehört also schon seit Langem zum
Repertoire der Protestkultur. Im digitalen Raum wird nun dieser Bildtypus
selbst zu einer Formel des Widerstands und des Unterlaufens von Zensur. Und
zwar über das Meme.
## Die Memes von Florentijn Hofmans Rubber Duck
Vom Bild des Tank Man etwa finden sich inzwischen eine unüberschaubare
Menge von Überarbeitungen, Kommentierungen und Parodien im Netz, wobei die
Ersetzung der Panzer durch gelbe Gummienten besonders interessant ist.
Sie zitieren die bekannte Kunstinstallation des niederländischen Künstlers
Florentijn Hofman, die sogenannte Rubber Duck, deren Bild in China mit
Hongkong assoziiert ist, wo Rubber Duck im Mai 2013 im Victoria Harbour
ihrem Auftritt hatte. Das subversive Meme konnte im selben Jahr, am 24.
Jahrestag des Massakers am Tiananmen-Platz, auf Sina Weibo, dem
chinesischen Twitter, temporär die Zensur unterlaufen.
Das sind nur einige der im Buch erörterten Beispiele erfolgreicher
Kampagnen, denen es in der intelligenten Verknüpfung zwischen dem realen
öffentlichen Raum und den besonderen Bildfindungen im Netz gelingt, eine
politische Öffentlichkeit herzustellen. Insofern sich nach Schankweiler
eine Art Selbstermächtigung der Bilder beobachten lässt, etwa in Form von
Bilderschwärmen, die sich zu regelrechten Affektgemeinschaften der Bilder
auswachsen, wird wohl kurz über lang die Frage virulent, inwiefern sich
hier ein Epochenbruch im Feld des Visuellen abzeichnet.
17 Oct 2019
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Protest
Bilder
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