Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nibelungen als trashiger Kostümball: Im Glitzerschuh aus Rheingold
> Heldenepos in Hamburg: Clemens Sienknecht und Barbara Bürk bringen „Die
> Nibelungen“ auf die Schauspielhaus-Bühne.
Bild: Die „Nibelungen“ als Trash – aber mit großer Ernsthaftigkeit auf d…
Hamburg taz | Routiniert und schnoddrig begrüßt er seine Hörer und lädt sie
ein zu „24 Stunden Nibelungen nonstop“: „Willkommen bei Radio Walhalla,
hier gibt es Super-Hits, geile Musik, ich bin Euer DJ Wotan und wir mögen
es deutsch“. DJ Wotan sitzt in seinem in die Jahre gekommenen Studio und
verbreitet schrecklich gute Laune. Tatsächlich sind seine Hörer die
Zuschauer im [1][Hamburger Schauspielhaus]. Und tatsächlich dauert die
Nibelungen-Aufführung nicht 24 Stunden, sondern, wie im Programmzettel
angekündigt, „mindestens 100 Minuten, aber nicht länger als 119 Minuten,
bestimmt keine Pause“.
Hier werden „Die Nibelungen“ aufgeführt, „allerdings mit anderem Text und
auch anderer Melodie“. So wie bereits bei den vorangegangenen Abenden
„[2][Effi Briest]“ aus dem Jahre 2015 und „[3][Anna Karenina]“ von 2017,
die Clemens Sienknecht und Barbara Bürk in Hamburg auf die Bühne gebracht
haben. „Effi Briest“ wurde mit dem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet und
[4][2016 zum Theatertreffen] eingeladen. Mittlerweile sind beide
Inszenierungen längst Kult geworden und ausgezogen aus ihrem
Erstaufführungsort, dem kleinen, überschaubaren, dauernd ausverkauften
Malersaal auf die große Bühne des Theaters.
„Je berühmter die Vorlage, desto einfacher ist es, die Erwartungen der
Zuschauer zu unterwandern“, hat Clemens Sienknecht mal in einem Interview
gesagt – und dieser Satz klingt aus seinem Mund wie ein schmunzelndes
Versprechen für kluge Unterhaltung. Die dritte Folge der Radioshow-Reihe
wurde also gleich fürs große Haus inszeniert. Man erhofft eine Fortsetzung
des Erfolgs, zahlreiche Zuschauer und großartiges Entertainment: zu Recht.
In der Umsetzung des mittelalterlichen Heldenepos begegnen sich dann erneut
Feinsinn und Witz, Ernst und Ironie, Musik und Trash, Raumanzüge und
Perücken, Geschichte und Gegenwart. Großzügig umreißen Sienknecht/Bürk die
Aventuren der Sage, stellen zentrale Szenen heraus, besingen Liebe, Betrug
und Rache, mixen dafür die Spice Girls mit Sinéad O’Connor, Shaggy, Queen,
Snap!, Sister Sledge und Bruce Springsteen.
## Siggy Stargast auf den Knien
Durch eine ausgefuchste Playlist wird der Heldenepos über Krieger und
Spielleute, Königinnen und Jungfrauen, über Drachen, Zwerge und einen
fluchbeladenen Schatz, der im Rhein versenkt wird, wiederbelebt und neu
erzählt. Und zwar von sieben absolut grandiosen Performern: Lina Beckmann,
Yorck Dippe, Ute Hannig, Markus John, Friedrich Paravicini, Clemens
Sienknecht und Michael Wittenborn.
Mit großer Ernsthaftigkeit tragen sie die vermutlich trashigsten Kostüme
der Welt, meinen in Trainingsanzügen aus den 1970er-Jahren eine neue
Star-Trek-Ära erwecken zu können und mit festsitzenden Föhnwellen oder
grausam krausen Dauerwellen ihren Coolness-Faktor zu erhöhen. Was gelingt!
Die (theatrale) Behauptung ist der eigentliche Hauptdarsteller dieses
herrlichen Abends – flankiert von der hohen Musikalität der Darsteller,
einem feinen Blick für Situationen, grandiosen Sound-Untermalungen und
einem genauen Umgang mit dem Stoff und seiner Rezeptionsgeschichte.
Da wird kein einziges Wort bedeutungslos verplappert, da ist jeder
Werbe-Jingle, den DJ Wotan einspielt, ein Hinweis auf Hebbel oder Worms,
sind radiointerne Programmankündigungen kleine Seitenhiebe auf die
Historie. Da wird mit Hingabe auf Mittelhochdeutsch rezitiert, natürlich
auch mit Schwertern gekämpft, und da wird die zunächst wild fauchende
Brunhilde betrogen und gezähmt. Da wird Wagner eingespielt und die Zeit
auch mal zehn Jahre nach vorn gespult. Sonst würde die Aufführung
vermutlich wirklich 24 Stunden dauern.
Clemens Sienknecht selbst spielt den Helden Siegfried, als „Siggy Stargast“
mit silbernen Glitzerschuhen. Ein zart gebauter Alleskönner und
Allebesieger ist er, der im Drachenblut gebadet hat, dessen Tarnkappe nur
ein lächerliches, selbst gehäkeltes, rotes Mützchen ist, doch dessen
Song-Repertoire unendlich scheint – was ihn aus jedem Wettstreit als Sieger
hervorgehen lässt. Seine Kriemhild erobert er im lässigen Knietanz, während
Yorck Dippe als Gunther seine Ehe mit der eisigen Brunhilde unfassbar
komisch und herzzerreißend heulsingend beweint.
Wunderbar sinnfreie Choreografien – meist jenseits der Schamgrenze –
wechseln sich ab mit andachtsvollen Szenen, in denen sich die Darsteller um
einen historischen Plattenteller kuscheln. Knisternd, rauschend und mit
Kratzern werden manche Teile der Sage hier erzählt. Kurz wird es richtig
weihevoll (Stimme: Michael Prelle). Nur damit gleich darauf alle wieder
einen Hit von Kool & the Gang mit neuem Text versehen können: „Nibelungen,
if you really want it“ – Yeah!
5 Oct 2019
## LINKS
[1] /!t5031835/
[2] https://www.schauspielhaus.de/de_DE/stuecke/effi-briest-allerdings-mit-ande…
[3] https://schauspielhaus.de/de_DE/stuecke/anna-karenina-allerdings-mit-andere…
[4] /Theatertreffen-Berlin/!5303292
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Der Ring des Nibelungen
Trash
Deutsches Schauspielhaus
Science-Fiction
Theater
Popmusik
Theater
Familie
Wrestling
Theatertreffen Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theaterstück auf Kampnagel in Hamburg: Die Geister der Vergangenheit
Im Regiedebüt „Happy Nightmare“ verarbeitet Shahin Sheikho seine Flucht aus
Syrien. Viele der Darsteller*innen haben ähnliche Erfahrungen gemacht.
Premiere am Schauspielhaus Hamburg: Gefangen in ihrer Depression
Katie Mitchell inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Anatomie eines
Suizids“ von Alice Birch. Die Darsteller*innen agieren wie ausgebremst.
Opernwrestling in Hamburg: Zwinkern mit blauem Auge
Richard Wagner? Aufs Maul! In Hamburg zetteln die Nibelungen-Götter bei
„Ring & Wrestling“ Prügeleien mit Hobby-Catchern aus St. Pauli an.
Theatertreffen Berlin: Als Effi zur Emanze wurde
Mit Musik durch die Zeit reisen: Das beherrschen die Regisseure des
Theatertreffens. Da muss sich Effi Briest schon mal mit Chauvi-Witzen
herumschlagen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.