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# taz.de -- Theaterstück auf Kampnagel in Hamburg: Die Geister der Vergangenhe…
> Im Regiedebüt „Happy Nightmare“ verarbeitet Shahin Sheikho seine Flucht
> aus Syrien. Viele der Darsteller*innen haben ähnliche Erfahrungen
> gemacht.
Bild: Shahin Sheikho flüchtete aus Syrien und lebt seit 2016 in Hamburg
Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Seit den ersten Protesten im
Frühjahr 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings. Seither befindet sich das
Land in einem blutigen Ausnahmezustand. Aktuell ist der Konflikt wieder in
den Schlagzeilen: Die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer kritisierte
jüngst den Einmarsch von türkischen Truppen nach Nordsyrien, nannte diesen
eine Annexion. Zuletzt schlug sie eine von der UN-Truppe kontrollierte
Sicherheitszone für das Gebiet vor – noch wird darüber debattiert, ob sich
die Bundeswehr daran beteiligt.
Rund 11,6 Millionen Syrer waren 2015 auf der Flucht, mindestens fünf
Millionen schafften es, ihre Heimat zu verlassen. Shahin Sheikho ist einer
von ihnen. Seit 2016 lebt der Regisseur in Hamburg. Jetzt hat er mit „Happy
Nightmare“ auf Kampnagel seine erste Regiearbeit vorgelegt. Eigentlich
könnte man sich kaum einen brisanteren Theaterabend vorstellen. Tatsächlich
kommt es anders: In dem kargen Bühnenbild von Rabia Al, das mit wenigen
Mitteln ein Schlafzimmer andeutet, durchlebt der Erzähler etliche
Alpträume.
Das Licht (Omar Hairan) flackert wild, die Projektionen von verwachsenen
Wäldern, von Aufmärschen in Fehlfarben, von unermüdlich grabenden
Spitzhacken lassen schaudern. Zwischen bedrohlichem Sound und ebensolchen
Erinnerungen scheint dem Protagonisten der Suizid als einziger Ausweg. Doch
kaum steht der schmale Sheikho (er übernimmt in seiner Inszenierung auch
die Hauptrolle) auf dem kleinen Hocker und hat seinen Kopf bereits durch
die Schlinge gesteckt, durchkreuzt der nächste Alptraum seine
Selbstmordpläne.
Wie aus dem Nichts spazieren immer wieder die Geister seiner Vergangenheit
herein, Freunde, Folterer und Familie. Ankläger und Verlassene. Sie
erzählen von Erlebtem und Überlebtem. Ein Entrinnen gibt es nicht. Die
Geschichte, die Sheikho in alptraumhaften Szenensplittern und Rückblenden
erzählt, basiert auf realen Erlebnissen. Auch wenn auf der Bühne nur eine
leise, ästhetisierte, manchmal fast surreale Annäherung an all die
traumatischen Ereignisse sichtbar wird, schafft diese eine schmerzhafte
Ahnung von dem, was Sheikho (und zahllose andere Geflüchtete) durchlebt
hat.
Obendrauf türmen sich die Erinnerungen an die Flucht in einem Gummiboot,
das Gefühl von Heimatlosigkeit und Todesangst; und – bei dem der Versuch
einer gelebten deutschen Gegenwart – die unmenschliche Begegnung mit einer
kafkaesken Bürokratie. Der Text wird expressiv in arabischer Sprache
wiedergegeben, die Figurenzeichnung ist klassisch psychologisch. Alle
Schauspieler*innen agieren ungebrochen, ihr Spiel scheint intrinsisch
motiviert. Schließlich wurde für das Stück eine Gruppe an Darsteller*innen
zusammengestellt, die viele von Sheikhos traumatischen Erfahrungen teilen.
## Eindimensionales Theaterspiel legitimiert
Diese Besetzung und damit künstlerische Entscheidung legitimiert das
dringliche, man möchte sagen eindimensionale Theaterspiel. Schlimmstenfalls
kann eine derartige Arbeit bis in die Ecke der öffentlichen Gruppentherapie
rücken. Doch der Regisseur bewahrt, trotz der Nähe zur eigenen Geschichte,
ausreichend Distanz. Ein bisschen unentschieden bewegt er sich in seinem
realistisch wiedergegebenen Kammerspiel zwischen dokumentarisch-anmutenden
Folterszenen und bizarren Traumwelten.
Mit einem solch persönlichen Schicksal auf die Bühne zu gehen, sein eigenes
geschundenes Innerstes nach außen zu kehren, braucht vor allem Mut. Dieser
Schritt ist Sheikho hoch anzurechnen. Zugleich entzieht er sich durch diese
persönliche Zurschaustellung einer fairen Kritik. Aus ethischen Gründen.
Wer wagt es, über die Darstellung des traumatischen Schicksals eines
Geflüchteten zu urteilen? In einem Land, in dem aus gar nicht so
versteckten Ecken immer wieder ärgste Fremdenfeindlichkeit hervorbricht? In
einem Land, in dem die „Obergrenze“ die politische Debatte um wirkungsvolle
Maßnahmen gegen den Zustrom von Flüchtlingen beherrscht?
## Vernachlässigt – wie ein untergeschobenes Kind
Kampnagel bietet Sheikho und seinem Team Raum. Raum für eine
Öffentlichkeit, in der diese Inszenierung als ernst zu nehmende,
vollwertige Uraufführung angekündigt wird. Das ist ehrenhaft. Und auch ein
bisschen halbseiden. Denn zusätzlich zu der moralischen Zwickmühle tut sich
seitens der professionellen, dramaturgischen Unterstützung ein ärgerliches
Versäumnis auf: Nie waren Übertitel so kryptisch, so unverständlich und
nachlässig übersetzt.
Da flirrt nur Kauderwelsch voller Rechtschreibfehler, aus dem sich das
Publikum mühsam die Geschichte zusammenpuzzeln muss. Der Abend wirkt wie im
Stich gelassen. Vernachlässigt – wie ein untergeschobenes Kind, nur
halbherzig geliebt. Gelungene Integration sieht anders aus.
28 Oct 2019
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Theater
Schwerpunkt Flucht
Kampnagel
Syrer
Geflüchtete
Familie
Der Ring des Nibelungen
Hexen
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