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# taz.de -- Opernwrestling in Hamburg: Zwinkern mit blauem Auge
> Richard Wagner? Aufs Maul! In Hamburg zetteln die Nibelungen-Götter bei
> „Ring & Wrestling“ Prügeleien mit Hobby-Catchern aus St. Pauli an.
Bild: Tritt in der nächsten Episode an, um Kämpfe für die Götter zu bestrei…
Das Opernfach ist eine eher ernste Sache. Auf der Bühne geht es in der
Regel ziemlich dramatisch zu. Das Publikum leidet mit den tragischen Helden
und lauscht ergriffen der Musik. Sensiblen Zuschauern entfährt mal ein
sanftes Seufzen oder Schluchzen. Aber Zwischenrufe, Kommentare, spontaner
Szenenapplaus – in der Oper absolut undenkbar. Schließlich ist das ja keine
Sportveranstaltung, oder? Im Fall von „Ring & Wrestling“ vielleicht
irgendwie doch. Ein bisschen.
Der Titel von Dominik Günthers neuer Inszenierung in der Opera stabile
deutet es an. Mit „Ring & Wrestling“ spannt der Bonner Regisseur einen
humorvollen Bogen von hochbürgerlichem Gesamtkunstwerk zu
sportlich-rustikalem Show-Trash. Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ hat
er zu einer mehrteiligen „Operanovela“ verschraubt, in der die Götter ihre
irdischen Stellvertreter gegen die Catcher der Veranstaltungsreihe „Rock &
Wrestling“ in den Ring schicken. Deren Shows finden normalerweise im
Hafenklang statt und gelten Hamburgs Wrestling- und Punkrock-Freunden schon
seit vielen Jahren als Riesengaudi.
Kein Wunder also, dass die Premiere von „Ring & Wrestling“ am vergangenen
Freitag auch Menschen anzog, deren Erscheinung vermuten ließ, dass sie
sonst in ganz anderen kulturellen Zusammenhängen zu Hause sind. Typische
Opern-Abonnenten waren es jedenfalls nicht, die vor dem Einlass für
ungewöhnlich ausgelassene Atmosphäre sorgten. Erwartungsfrohe Gesichter
allerorten, das Kichern im Flaschenbier.
## Brünnhilde langweilt sich
Die meisten Anwesenden ahnten wohl schon, was sie erwartet: Ihre
Lieblingscatcher von „Rock & Wrestling“ in einer amtlichen
Operninszenierung. Und den Besuchern der Opera stabile würde ausnahmsweise
sogar gestattet werden, zur allgemeinen Stimmung beizutragen – klar, sonst
funktioniert Wrestling nämlich nicht. Mit anderen Worten: Jubeln und
Krakeelen erlaubt. Zumindest an den dafür vorgesehenen Stellen.
Dominik Günthers „Culture Clash“ zwischen Bayreuther Festspielen und
St.-Pauli-Hafenkaschemme beginnt aber still und leise: Die Götter,
verkörpert durch Pia Salome Bohnert, Julian Arsenault und andere
Sänger*innen der Hamburger Oper, betreten in Bademänteln und
Freizeit-Dresses die einem Wrestling-Ring nachempfundenen Bühne. Weil sie
ausgedient haben, wissen Fricka, Wotan, Brünnhilde und Co. nichts mehr mit
sich anzufangen. Tenor Shin Yeo teilt dem Publikum mit, wie unglaublich
„laaaangweiiiliiig“ ihnen ist.
Plötzlich taucht ein zwielichtig aussehender Wrestling-Manager namens Nik
Neandertal auf. Von stampfender Disco-Mucke begleitet, reißt er die Götter
aus ihrer Lethargie und besorgt ihnen einen menschlichen Helden, der die
Geschicke auf Erden übernehmen soll. Soweit die Rahmenhandlung. Dann heißt
es: Ring frei! Der Kampf um Gut und Böse kann beginnen. Auf welcher Seite
stehst du?
Mehrere Duelle hat der von den Göttern Auserwählte zu absolvieren. Die
meisten davon kann er für sich entscheiden. Während er seine Gegner auf die
Matte schickt, tönt Punkrock und Hip-Hop vom Band. Vor und nach den Fights
bespielt das kleine Ensemble um den ehemaligen Selig-Bassisten Leo
Schmidthals die Dialoge der Götter mit Themenvariationen aus Wagners Werk.
Oder mit albernen Zitaten, wie zum Beispiel die Titelmelodie der
TV-Zeichentrickserie „Heidi“.
## Mitgröhlen erlaubt
An dieser Stelle greift dann auch Haidi Hitler von der Wrestling-Kommission
ins Geschehen ein und hält einen gebrüllten Monolog mit der Fragestellung:
„Was hat das mit Wagner zu tun?“ Die Antwort: Nicht sooo viel, ist aber
auch egal. Manch Wagnerianer mag „Ring & Wrestling“ respektlos finden. Doch
eigentlich versteht sich die Show als ein großes Augenzwinkern. Wobei das
zwinkernde Auge manchmal blau angelaufen ist.
Auch der Held, über den sich alle Anwesenden einig sind, dass er zu den
Bösen gehört, kriegt es zum Schluss noch ordentlich eingeschenkt. Ein
Knock-out für die Götter. Doch damit endet die Geschichte nur vorläufig.
Nachdem die „Ring & Wrestling“-Hymne ein letztes Mal zum Mitgröhlen
animiert hat, folgt noch ein echter „Cliffhanger“.
Unter Trockeneis-Nebel und düsteren Klängen wird ein neuer Held geboren,
der im nächsten Teil dieser „Operanovela“ die Kämpfe für die Götter
bestreiten soll. Bei der Premiere war dies „Pinkzilla“, der unter
dämonischem Zischen der Darsteller (Publikum darf mitmachen) aus einem
pickeligen Schaumstoff-Ei schlüpfte, um die Nachfolge des ausgemusterten,
weil von „Sailorboy“ und „Lumberjack“ vermöbelten „The One and Only�…
anzutreten.
Womöglich wird der rosa Drache am heutigen Samstagabend gegen die
hochschwangere „Manongrata“ oder das Team „St. Pauli aufs Mauli“ in den
Wrestling-Ring steigen. Mal sehen, wie „Pinkzilla“ sich (und die anderen)
schlägt. Für die weiteren Aufführungen liest sich die Liste der
Kontrahenten ebenfalls vielversprechend: Auf der guten Seite kämpfen unter
anderem noch „Mr. Cheese“, „Captain Tentakel“, „El Borracho“ und
„Atomkind“. Wagners Götter werden vertreten durch Putin, Trump und die
Elbphilharmonie. Ja, richtig gelesen. Kündigt sich da schon der nächste
Hamburger Theaterskandal an? Wie gesagt: Krakeelen erlaubt. Ausnahmsweise.
14 Sep 2018
## AUTOREN
Michele Avantario
## TAGS
Wrestling
Richard Wagner
Oper
Der Ring des Nibelungen
Wrestling
Theater
Staatsoper Hamburg
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