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# taz.de -- Theater über Nazi-Nachkommen: Täter und Söhne
> Beklemmendes psychologisches Kammerspiel im Hamburger Polittbüro:.„Bruder
> Norman“ handelt von den Söhnen des „Schlächters von Polen“.
Bild: Ungleiche Brüder: Niklas Frank (Stephan Benson, l.) und sein Bruder Norm…
Hamburg taz | Bis zum Ende hängt er bedrohlich über ihnen, der als
Nazi-Kriegsverbrecher im Oktober 1946 gehängte [1][Hans Frank]. Von einem
gerahmten Porträt aus blickt der „Schlächter von Polen“ im [2][Polittbür…
seine Söhne Niklas und Norman an. Von 1939 bis 1945 war Frank
Generalgouverneur im von Deutschland besetzten Polen; ein glühender Rassist
und Antisemit, mitverantwortlich für die Ermordung Hunderttausender
Pol*innen, die Deportation rund einer Million Zwangsarbeiter*innen, für die
Einweisung der polnischen Jüdinnen und Juden in Ghettos und die Einrichtung
der Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek.
Das Leben der beiden Brüder ist tief geprägt, gezeichnet von der Tatsache,
Nachkommen dieses Verbrechers zu sein. Und beide sind zeitlebens ganz
unterschiedlich damit umgegangen. Im Zweipersonenstück „Bruder Norman“
setzen sie sich schonungslos miteinander auseinander, wirft Niklas Frank
dem Älteren vor, nie mit dem Verbrechervater gebrochen zu haben. Noch auf
dem Totenbett sagt Norman Frank seinem Bruder: „Vater war ein
Naziverbrecher, aber ich liebe ihn.“
Niklas Frank wiederum – studierter Literaturwissenschaftler, Soziologe und
Historiker, Journalist für die deutsche Ausgabe des Playboy und die
Illustrierte Stern – hat jahrelang die [3][Verbrechen seines Vaters
akribisch recherchiert], ist geschockt von deren Ausmaß, von seiner
Niedertracht. 1987 veröffentlichte er seine Ergebnisse als Buch: „[4][Der
Vater. Eine Abrechnung]“.
Zuvor war der Text als Serie „Mein Vater, der Nazimörder“ im Stern
erschienen. Und sorgte für [5][Kontroversen], auch, weil Niklas Frank darin
unter anderem schrieb, er habe als Jugendlicher mal zu der Vorstellung
masturbiert, wie sein Vater gehängt worden sei: ein geiler Hass auf den
Erzeuger. „Unappetitlichen Exhibitionismus aus Ruhmsucht“, warf ihm sein
Bruder Norman damals vor.
## Schonungslose Abrechnung
Nicht nur mit seinem Vater rechnete Niklas Frank schonungslos ab. 2005
schrieb er ein Buch über „[6][Meine deutsche Mutter]“ Brigitte Frank,
beschrieb darin unter anderem, wie sich die „Königin von Polen“ mit dem
kleinen „Niki“ in die Ghettos zum Pelz- und Schmuck- „Shopping“ fahren
ließ. [7][2013] schließlich schloss Frank seine
Familienabrechnungstrilogie mit „[8][Bruder Norman!]“ ab.
In seiner diesjährigen Hausproduktion auf der Grundlage dieses Buches zeigt
das Polittbüro die Auseinandersetzung der ungleichen Brüder als
beklemmendes Kammerspiel. Regisseur [9][Wolf-Dietrich Sprenger] inszeniert
den Abend als psychologisches Sezierstück. Norman, am Alkoholismus zugrunde
gegangen, liegt zu Beginn tatsächlich unter einem weißen Laken auf dem
Seziertisch, um von Studierenden eines pathologischen Instituts
auseinandergenommen zu werden.
Sprenger lässt ihn plötzlich wieder aufstehen. Immer wieder greift er zur
Flasche, während er sich den bohrenden Fragen des jüngeren Bruders stellt,
der die sehnsuchtsvolle Liebe zum Vater nicht verstehen kann. Niklas Frank
provoziert ihn, konfrontiert ihn mit der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen,
zitiert aus Briefen und Dokumenten. Immer wieder hört man den „Schlächter
von Polen“ in eingespielten Originaltondokumenten auch selbst sprechen.
## Brutale Kälte
Niklas Frank erinnert an die Toten an den Telefonmasten, an Spottlieder und
antisemitische Witze; an die SS-Kaserne neben der Schule in Krakau; an die
LKW mit Jüdinnen und Juden in zerschlissenen Klamotten, auf denen doch das
Ziel der Reise geschrieben stand: Auschwitz. Das habe man doch sehen, hören
müssen! Es ist ohnmächtiger Hass, Wut und Verzweiflung über die brutale
Kälte des Vernichtungskrieges und die eigene und familiäre Verstrickung
darin. Der kleine Bruder macht dem geliebten großen Bruder den Prozess,
prangert seine Uneinsichtigkeit stellvertretend für die aller Deutschen an.
Aber Norman bleibt bis zum Schluss dabei: „Man hatte mir das Wichtigste
genommen.“ An die Verbrechen will er sich nicht erinnern können, ertränkt
seine Zweifel im Alkohol, weicht aus, witzelt herum. Aber ein paar Szenen
sind auch Bruder Norman in Erinnerung geblieben: wie witzig
Volksgerichtshof-Präsident und Wannseekonferenzteilnehmer [10][Roland
Freisler] gewesen war beim Frühstück bei den Franks zu Hause.
Und als Fünfjähriger, da habe er mal auf dem Schoß Hitlers gesessen. Und
Hans Frank habe doch als Einziger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess
seine Schuld eingestanden, die Verbrechen zugegeben. Den Tod am Strang habe
er nicht verdient.
Schließlich stülpt sich Niklas Frank das Bild des übermächtigen Vaters über
den Kopf und zerstört es, stürzt mit dem Rahmen über den Schultern wie das
Mensch gewordene Schreckgespenst der unaufgearbeiteten Vergangenheit
schreiend auf den bis in den Tod Uneinsichtigen zu. Aber auch diesen
letzten verzweifelten Ausbruch wirft Bruder Norman zurück: Wer denn nun
besessener sei vom Vater? Zurück bleiben auf der Bühne zwei Brüder, die
ungleicher nicht sein können. Und doch bis zuletzt miteinander unauflöslich
verbunden sind: im Bann des Verbrechervaters.
20 Sep 2019
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Frank
[2] http://polittbuero.de/
[3] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/niklas-frank-ueber-seinen…
[4] https://www.amazon.de/Vater-Eine-Abrechnung-Goldmann-Sachb%C3%BCcher/dp/344…
[5] https://www.zeit.de/1987/25/oedipus-perplex
[6] https://www.perlentaucher.de/buch/niklas-frank/meine-deutsche-mutter.html
[7] /Stern-Journalist-ueber-Nazifunktionaer/!5064153
[8] https://www.perlentaucher.de/buch/niklas-frank/bruder-norman.html
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf-Dietrich_Sprenger
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Freisler
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Hamburg
Theater
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schuld
Shoa
Ballhaus Naunynstraße
Auschwitz
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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