Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ballhaus Naunynstraße in Berlin: Jenseits weißer Definitionsmacht
> Das Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg ist zu einem Theater für
> internationale People of Color und Schwarze Deutsche geworden.
Bild: Wagner Carvalho, Intendant des Ballhaus Naunynstraße
„Rassismus ist wie die Schwerkraft, sie zieht dich runter, sie fesselt dich
am Boden. Die Herausforderung ist, dagegen anzuwachsen.“ Die Kraft seines
Körpers, die Stärke seiner Knochen, die Schnelligkeit seiner Beine, die
Raphael Hillebrand zu einem berühmten Hiphop-Tänzer und Choreografen
machten, beschreibt er in seiner autobiografischen Performance [1][„Auf
meinen Schultern“] als gewachsenen Widerstand gegen die Demütigungen, die
sich während seiner Schulzeit in Berlin nach und nach in seinen Alltag
drängten. Erst als B-Boy fand er die Anerkennung und Zugehörigkeit, die ihm
fehlte.
Der Tanz explodiert zwischen den Sätzen seiner Erzählung über Ausschluss
und Einsamkeit wie ein Feuerwerk. Hillebrand breitet seine Geschichte,
allein begleitet vom brasilianischen Cellisten [2][Eurico Ferreira
Mathias], auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg aus
und blättert dabei durch das Fotoalbum der Familie. Er ist in Hongkong
geboren, Sohn einer deutschen Mutter, und aufgewachsen in Berlin.
Heute, mit 37 Jahren, erzählt er seine Lebensgeschichte für seine kleine
Tochter. Dass er einen schwarzen Vater hatte, hat ihm seine
alleinerziehende Mutter erst sehr spät offenbart. Warum und was das für ihn
bedeutet haben kann, muss man selbst erraten. Aber dass sein Bedürfnis, den
Wegen und Irrwegen seiner Selbstfindung nachzuspüren, damit zu tun hat,
liegt nahe.
Mit „Auf meinen Schultern“ hat die neue Spielzeit am Ballhaus Naunynstraße
in Berlin begonnen. Das kleine Hinterhoftheater, das 2008 von Shermin
Langhoff als erstes Theater mit einer postmigrantischen Programmatik
eröffnet wurde, hat sich unter der Leitung von Wagner Carvalho seit 2012
schwarzen und postkolonialen Perspektiven zugewandt. Man kann es zur Zeit
das einzige schwarze deutsche Theater nennen.
## Der Look einer Community
Die Pressekonferenz zum Beginn der Spielzeit dauerte mehr als zwei Stunden.
13 Projekte wurden von den Künstler*Innen vorgestellt, auf dem Podium oder
per Video, oft mit mehreren aus ihrem Team. Zu erleben waren fast durchweg
junge, akademisch gut ausgebildete und gut vernetzte Forscher- und
Künstler*innen, in der Mehrzahl internationale People of Color und Schwarze
Deutsche. Zusammen geben sie dem Theater den Look einer Community, deren
Selbstbewusstsein sich jenseits weißer Definitionsmacht gebildet hat.
Von der großen Anstrengung, welche die Herstellung dieses
Selbstverständnisses kostet, erzählen viele der Projekte. Dass das Ballhaus
selbst auch ein Schutzraum vor dem Rassismus ist, den sie im Alltag
erfahren, wie einige der Künstler*Innen und Intendant Wagner Carvalho auf
dem Podium erzählten, wurde bei der Pressekonferenz sichtbar.
Viele können an diesem Haus beginnen, nach theatralen Formaten für das zu
suchen, was sie erzählen wollen oder müssen. Wagner Carvalho konnte bei der
Pressekonferenz oft mit Stolz darauf verweisen, dass dies bereits die
zweite Arbeit einer Künstlerin an seinem Haus sei. Wie Magda Korsinsky, die
Recherche und Wissensproduktion mit tänzerischen Formen verbindet. Sie
arbeitet an einem neuen Stück, und ihre [3][Performance „Stricken“] ist
wieder zu sehen.
## Sehr zart und vielleicht zu wenig aussagekräftig
„Stricken“ beruht auf Interviews mit schwarzen deutschen Frauen, deren
deutsche Großmütter in der Zeit der Naziideologie groß geworden sind. Die
emotionale Bindung der Interviewten an diese Großmütter, die ihnen als
Kinder sehr nahe waren, wird in späteren Jahren auf eine harte Probe
gestellt, wenn sie sich den Kontext der Zeitgeschichte vor Augen führen.
Die durchweg interessanten Interviewausschnitte sieht man im Video, davor
umsorgt eine ältere Tänzerin mit umarmenden Gesten ein junges Mädchen.
Diese Übersetzung wirkte sehr zart und vielleicht zu wenig aussagekräftig
im Verhältnis zu dem Interviewmaterial.
Toks Körner hat als Schauspieler am Ballhaus gearbeitet, 2017 gab er sein
Debüt dort als Theaterautor, diesmal führt er selbst Regie bei einem von
ihm geschriebenen Kammerspiel. In [4][„Aesthetics of Color“] geht es um den
Kampf eines Künstlers, der mit dem kommerziellen Erfolg seinen Körper,
seine Seele und seine Identität verkauft sieht.
Ein klassisches Drama, dessen Konflikt durch die Hautfarben verstärkt wird:
Dass er schwarz ist und aus einem heruntergerockten Viertel an den alten
Docks kommt, der windige Geschäftsmann aber, der ihm zwar ein großes
Atelier spendiert, dann aber auf immer höhere Produktionszahlen drängt und
ihm gar einen afrikanischen Style nahelegt, ein Weißer ist, verschärft die
Spannungen.
## Das Drama des Selbstverlustes
Wäre er anonym geblieben, so stellt sich der Maler (Jean-Philippe Adabra)
vor, hätte die Aufmerksamkeit allein seiner Kunst gegolten und nicht seiner
Person, den Fragen nach seiner Herkunft. Er ist im Zwiespalt mit sich
selbst, als er auf den Deal eingeht – eine Tänzerin, die ihren Körper unter
große Spannung setzt, folgt seiner Figur und malt dabei mehr und mehr das
Drama seines Selbstverlustes aus. Der weiße Geschäftsmann dagegen, von
einem weißen Schauspieler (Johannes Suhm) gespielt, bleibt eine
eindimensionale Karikatur des gierigen Kapitalisten.
Die Figur des Künstlers ist angelehnt an das Schicksal von Jean-Michel
Basquiat. Was ihn dazu antreibt, sich überhaupt auf den Deal einzulassen,
erschließt sich in Toks Körners Inszenierung nicht – vieles bleibt als
Behauptung stehen. Dennoch, die politischen und sozialen Botschaften an
diesem Theater sind so klar wie die Fragen, die sich die Künstler*Innen
stellen, danach, wie Unterschiede produziert werden; allein die Ästhetik
sucht noch ihre Form. Der Inhalt steht im Vordergrund und zeugt damit
einmal mehr von dem Bedürfnis, dass diese Geschichten erzählt werden
müssen.
24 Sep 2019
## LINKS
[1] http://ballhausnaunynstrasse.de/stueck/auf_meinen_schultern
[2] https://euricomathias.wixsite.com/eusite
[3] http://ballhausnaunynstrasse.de/stueck/stricken
[4] http://ballhausnaunynstrasse.de/stueck/aesthetics_of_color__ein_kammerspiel
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Ballhaus Naunynstraße
Theater
People of Color
Berlin-Kreuzberg
Critical Whiteness
Hamburg
9/11
Berliner Volksbühne
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alice Hasters über Diskriminierung: „Ich hatte Fluchtgedanken“
Alice Hasters will nicht alles immer wieder erklären. Was Rassismus
anrichtet, beschreibt sie in ihrem Buch, das sich an weiße Menschen
richtet.
Theater über Nazi-Nachkommen: Täter und Söhne
Beklemmendes psychologisches Kammerspiel im Hamburger Polittbüro:.„Bruder
Norman“ handelt von den Söhnen des „Schlächters von Polen“.
Verschwörungsguru Ganser in München: Schlimmer ist das Publikum
Der Schweizer Daniele Ganser bedient in einem Münchener Theater das
alternative Milieu mit allerlei 9/11-Geraune. Der Applaus ist ihm gewiss.
Homers Odyssee in der Volksbühne: Viriles Theater ohne Zwischentöne
Seinen Antritt als neuer Schauspieldirektor der Berliner Volksbühne feierte
Thorleifur Örn Arnarsson mit einer Neuinterpretation der „Odyssee“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.