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# taz.de -- „Stern“-Journalist über Nazifunktionär: „Meinem Vater gönn…
> Sein Vater war der „Schlächter von Polen“, und Niklas Frank rechnete erst
> mit ihm und dann mit seiner Mutter ab. Jetzt erschien das dritte Buch –
> über den Bruder.
Bild: Hans Frank (rechts unten) beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess.
taz: Herr Frank, tragen Sie eigentlich immer noch ein Foto des Leichnams
Ihres Vaters Hans Frank mit sich?
Niklas Frank: Ja, in der Jacke, zusammen mit den Fotos meiner Lieben. Das
Bild ist eine Mahnung für mich, dass man nicht feige sein darf. Denn mein
Vater war feige, er hat von allem gewusst, hätte zehntausend Chancen
gehabt, sich für einen anderen Lebensweg zu entscheiden. Er hätte einfach
sagen müssen: „Mein Herz ist so krank, mein Führer, ich kann nicht mehr.“
Hitler hätte ihn schon nicht erschossen. Wir als Deutsche müssen wissen,
wohin Feigheit führt, weil wir das Ende erlebt haben, das wir selbst
gestaltet haben. Feigheit baut Gaskammern.
Warum das Bild des Leichnams? Es gibt reichlich andere Bilder von Ihrem
Vater, auf denen er unsympathisch wirkt.
Ich freue mich bei jedem Anblick des Fotos, dass er tot ist. Manchmal
stelle ich mir das Knacken seines Genicks vor. Ich schaue es mir ja nicht
ständig an, es reicht zu wissen, dass ich es dabeihabe. Hätte er überlebt,
dann hätte er mit seinem Gewäsch mein Gehirn vergiftet. Er war ein
brillanter Typ und hätte mich nach rechts gezogen.
Hat er Ihr Hirn nicht auch so vergiftet? Immerhin arbeiten Sie sich an
Ihrer Vergangenheit seit Jahrzehnten ab.
Das stimmt nicht. Als das erste Buch, „Der Vater“, 1987 herauskam, war ich
kurz vor dem 50. Lebensjahr. Ich habe die Bücher nebenbei geschrieben.
Natürlich denke ich jeden Tag an die Opfer der Nazis, aber nicht an meinen
Vater. Ich habe im Leben Glück gehabt, hatte nie einen Plan und habe mir
ein eigenes Leben aufgebaut. Ich habe gesehen, dass andere Söhne und
Töchter von NS-Kriegsverbrechern kein glückliches Leben hatten, und ich
kann sagen: Ich bin glücklich.
Nach der Abrechnung mit Ihrem Vater 1987 und der Mutter 2005 jetzt die eher
zärtliche Abrechnung mit Ihrem großen Bruder Norman. Sie schreiben, Ihr
Bruder sei der größte Verdränger gewesen, dem sie je begegnet sind.
Inwiefern?
Je belastender die Fakten wurden, die unseren Vater als Verbrecher
entlarvten, desto stärker verteidigte Norman diesen und umarmte ihn
schützend. Der Vater war seine Heimat.
Seinen Tod 2009 kommentierten Sie mit „Jetzt bist du all die Liebesqualen
durch deinen Vater los.“ Sie sehen sein Ende als Befreiung?
Ja, er hat gelitten, er wollte nicht mehr leben, für ihn war seine Zeit nur
noch eine Strafe.
Warum war er so lebensmüde?
Er war nie lebenstüchtig. Seine Wunden bluteten ein Leben lang. Wenn wir so
über ihn reden, dann kommt er mir wieder besonders nah. Der verbale
Wort-und Mordmist unseres Vaters schlauchte seine Seele.
Wurde er deswegen alkoholabhängig?
Es gab Zeiten, da hat er keinen Tropfen angerührt. Er ist nie von unserem
Vater losgekommen, hatte bis zum Schluss ein großes Gemälde von ihm in
seiner Wohnung hängen. Er war ein Eisblock, an den niemand herangekommen
ist. „Man hat mir meinen Vater genommen, was soll da noch kommen?“, sagte
er immer. Der Alkohol war ein Anker für ihn, hat ihn benebelt, ihm dabei
geholfen, kurzzeitig zu vergessen.
Warum gelang es Norman nie, sich vom Vater zu distanzieren?
Er hat unseren Vater sehr geliebt. Unterschätzen Sie auch nicht die Stärke
der Tabus: Mein Vater war nicht böse. Norman hat versucht, eine kleine
Lücke in der endlosen Schuld zu finden, hat gar das Schicksal der Juden für
den Tod des Vaters verantwortlich gemacht. Er wollte nicht über dessen
Verbrechen reden, war ein Reinfresser, hat nie gebrüllt.
Sie bohren immerzu in den Wunden Ihres Bruders. Hatten Sie nie ein
schlechtes Gewissen?
Als 1987 das erste Buch erschien, die Geschichte im Stern veröffentlicht
wurde, da hat er mir schon leidgetan. Er hat damals beim Bayerischen
Rundfunk gearbeitet, plötzlich wusste jeder Bescheid, das hat ihn
mitgenommen. Ja, ich habe mich oft als Aufkratzer seiner Wunden gefühlt.
Warum haben Sie ihm dann so wehgetan?
Darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen, ich habe meinen anderen
Geschwistern auch wehgetan. Ich musste gegen das Schweigen und die
Verherrlichung meines Vaters anschreiben – das würde ich immer wieder so
machen.
Ist Normans Umgangsweise nicht auch menschlich nachvollziehbar? Martin
Bormann hat über seinen gleichnamigen Vater gesagt, dieser sei einerseits
der liebende, reizendeVater gewesen, andererseits ein Schreibtischtäter.
Ich verachte meine Eltern, ganz besonders meinen Vater. Wir waren eine üble
Täterfamilie. Jeder, der Abkömmling einer großen Nazifamilie ist und sich
den Tatsachen stellt, muss zu demselben Ergebnis kommen wie ich. Ich bin
sehr gegen die Todesstrafe, aber meinem Vater gönne ich den Tod durch den
Strang.
Norman sagt, er sei Sohn und nicht Richter, ihm war das Vaterverhältnis
wichtiger als das Verbrechen …
Er hat nie kapiert und nie gesagt, was ich wollte, nämlich: „Niki, meine
Liebe zu unserem Vater ist gestorben. Vati war ein Dreckskerl“.
Sind Sie eher Richter als Sohn?
Ich bin kein Richter, ich habe mich mit der Vergangenheit beschäftigt und
anerkenne die Tatsachen. Wir haben doch alle die Bilder von den
Leichenhaufen im Kopf. Mich haben diese Bilder von den toten Kindern nie
verlassen.
Edda Göring, Tochter von Hermann Göring, weigerte sich, mit Ihnen zu reden.
Martin Bormann wirft Ihnen vor, Sie hätten sich für den „Weg des Hasses“
entschieden.
Die eigene Sippe zu schützen hat bei denen oberste Priorität, und Bormann
redet Schmarrn. Als ob ein liebevolles Streicheln über Kinderlocken die
Leichenberge verschwinden ließe. Dass die alle nicht die Bilder der Opfer
im Kopf haben, das macht mich fassungslos. Durch diese blöde Liebe zum
Vater werden die Verbrechen immer wieder relativiert .
Werden Sie jemals aufhören, Ihre Familie anzuklagen?
Ja, jetzt. Meine Eltern und vier Geschwister sind alle verstorben. Ich habe
unsere Familie vor der Öffentlichkeit nackt ausgezogen. Das war absolut
nötig, denn wir haben Millionen andere Familien sich ausziehen lassen,
bevor wir sie vergast haben.
Sie sprachen von Relativierungen. Gehört das Zentrum „Flucht, Vertreibung,
Versöhnung“ für Sie in diese Kategorie?
Ich würde dieses Projekt sofort stoppen, es kann nur mit den Polen und
Tschechen gemacht werden, die ja ausgestiegen sind. Wenn das nicht geht,
dann muss so lange umgeplant werden, bis die auch mitmachen wollen. Jetzt
wird wieder verhandelt, was die jüdischen Zwangsarbeiter an Geld bekommen
sollen. Bei der Flut wird ganz rasch geholfen, weil es Deutsche sind.
Solche Sachen regen mich wirklich sehr auf. Der schleichende Antisemitismus
ist wieder mitten in unserer Gesellschaft. Wo sind unsere Intellektuellen?
Günter Grass schreibt Gedichte über Israel und den Iran.
So ein Dreck, diese wehleidgen Gedichte von Günter Grass. Wir sind ein
Volk, das auch nichts kapiert hat. Die Säle, in denen Grass seine
beleidigten Leberwurstgedichte vorgelesen hat, waren überfüllt, die
Menschen jubelten. Da sind wir wieder die alte Herrennation.
Und der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Mütter“ zeigte den Holocaust
aus der Sicht teilweise sympathischer Täter …
Auf raffinierte Weise ist es schon wieder eine Relativierung der Geschichte
und soll zeigen: „Wir Deutschen waren ja nicht immer böse. Es war
irgendwer.“ Wir sind noch keinen Millimeter von Auschwitz weggekommen und
suchen händeringend nach einem Weg, um davonzukommen. Natürlich soll man
auch über die deutschen Opfer sprechen. Aber die Deutschen haben ja nicht
gemütlich im Café in Dresden gesessen, als plötzlich die Alliierten kamen.
Wir sind für alle Verbrechen verantwortlich.
Auch die heutige Generation?
Nein, die ist total unschuldig. Aber wir sind nun mal Deutsche und sind für
immer mit unserer Geschichte verbunden.
Niklas Frank: „Bruder Norman! ’Mein Vater war ein Naziverbrecher, aber ich
liebe ihn.‘ “ J. H. W. Dietz, 316 Seiten, 22 Euro
4 Jul 2013
## AUTOREN
Cigdem Akyol
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Faschismus
Hamburg
Holocaust
NS-Verbrechen
Holocaust
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