# taz.de -- Schriftsteller über „Der jüdische Messias“: „Das Groteske l… | |
> Arnon Grünberg hat eine Romansatire geschrieben, in der die Figur Xavier | |
> Radek alle Juden trösten will: Xaviers Großvater war KZ-Aufseher. | |
Bild: „Deutsche haben dazu eben ein anderes Verhältnis“: das Holocaust-Mah… | |
taz: Herr Grünberg, Sie sprechen sehr gut Deutsch. Haben Sie das von Ihren | |
Eltern gelernt? | |
Arnon Grünberg: In meiner Kindheit wurde bei uns zu Hause schon nicht mehr | |
so viel Deutsch gesprochen. Meine acht Jahre ältere Schwester ist noch | |
zweisprachig aufgewachsen. Ich aber nicht mehr. Trotzdem habe auch ich | |
einiges mitgekriegt. Mein Vater hat zum Beispiel oft deutsches Radio | |
gehört. Und meine Mutter hatte eine Tante in Berlin, die wir öfter besucht | |
haben. Außerdem habe ich immer gut aufgepasst, wenn meine Eltern anfingen, | |
miteinander Deutsch zu sprechen. Dann ging es nämlich meistens um Dinge, | |
von denen ich nichts wissen sollte. | |
In „Der jüdische Messias“ erzählen Sie die Geschichte von Xavier Radek, | |
dessen Großvater mütterlicherseits ein deutscher KZ-Aufseher war. Xavier | |
will nun Judentröster werden. Ein richtiger Deutscher aber ist Xavier | |
nicht, denn sein Vater ist Schweizer und er wächst in Basel auf. Warum | |
lassen Sie die Handlung in Basel spielen? Warum nicht in Deutschland? | |
Die Geschichte sollte in einer deutschsprachigen Stadt spielen. Und es | |
sollte eine Stadt sein, die heute noch eine jüdische Gemeinde hat. Ich fand | |
Basel gut, weil das eine historisch nicht so belastete Stadt ist. Ich | |
wollte mit der Illusion der Neutralität spielen. Und gleichzeitig eine | |
Geschichte erzählen, in der es um das schwere Erbe des Zweiten Weltkriegs | |
geht. | |
Auch Xavier trägt schwer an diesem Erbe. Deshalb beschließt er, den Juden | |
beizustehen. Das versucht er zuerst bei Awrommele, dem Sohn eines Basler | |
Rabbiners, in den er sich verliebt. Im Laufe des Romans dehnt Xavier sein | |
Projekt schließlich auf ganz Israel aus. Warum haben Sie eine solche Figur | |
erfunden – einen Judentröster? | |
Die gibt es tatsächlich. Vor allem in Deutschland. Das sind die Kinder und | |
Enkel der Nazis, die mit der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern nicht | |
zurechtkommen. In einer holländischen Synagoge habe ich mal einen | |
Österreicher kennengelernt, der mit der Geschichte seiner Eltern nicht ins | |
Reine kam und deshalb Jude werden wollte. So ist das auch in meinem Roman: | |
Xavier lässt sich beschneiden und tut so, als sei er ein Jude. Sein Trösten | |
aber wird schließlich zur Manie. | |
Er sucht seine Mitmenschen regelrecht heim. Ihr Roman ist eine freche und | |
stellenweise urkomische Satire. Dabei enthält er aber auch einige sehr | |
gewalttätige Episoden. Es kommt keine Figur darin vor, die nicht sich | |
selbst oder anderen Leid zufügt. Welche Reaktionen haben Sie denn auf Ihren | |
Roman bekommen? | |
In Holland habe ich vor allem gute Kritiken für den Roman bekommen, nur | |
ganz wenige Verrisse. Doch ob das Buch nun gelobt oder verrissen wurde: Ich | |
hatte immer das Gefühl, dass die Kritiker und die Leser vor allem das | |
Absurde, Komische und den Tabubruch darin sehen, aber die Tragik des Buches | |
nicht ganz verstehen. Erst als ich den Roman in Deutschland vorgestellt | |
habe, hatte ich das Gefühl, dass die Leute den ganzen Schmerz erspüren, der | |
darin steckt. Deutsche haben dazu eben ein anderes Verhältnis. | |
Sie sind in einer jüdischen Familie aufgewachsen. Welche Rolle spielt das | |
Judentum in Ihrem Privatleben? | |
Ich wurde religiös erzogen. Nicht superreligiös, aber doch religiös. Wir | |
haben koscher gegessen und die jüdischen Feiertage zelebriert. Außerdem bin | |
ich dreimal pro Woche nach dem normalen Unterricht auf eine jüdische | |
Privatschule gegangen. Später aber habe ich mich von der Religion gelöst. | |
Sie spielt für mich heute nur noch eine kulturelle Rolle. Jüdischsein war | |
für mich als Kind übrigens kurioserweise dasselbe wie Deutschsein, weil | |
alle jüdischen Freunde meiner Eltern Deutsch sprachen. Das Deutschsein war | |
meinen Eltern immer sehr wichtig, und man konnte sie extrem beleidigen, | |
wenn man behauptete, sie sprächen Jiddisch. Jiddisch sprachen die Ostjuden, | |
während meine Eltern aus Berlin kamen und Hochdeutsch sprachen. Darauf | |
legten sie viel Wert. Sie wollten in Holland immer Deutsche bleiben, auch | |
wenn sie nie mehr zurück nach Deutschland wollten. Meine Mutter zum | |
Beispiel las immer die Hörzu und den Stern. Das war für mich sehr tragisch, | |
denn ich sah, dass die beiden immer Heimweh hatten. | |
Es war bestimmt nicht einfach, als Deutsche nach dem Krieg in Holland zu | |
leben, oder? | |
Oh nein! Mein Vater hat mir oft erzählt, dass er von Holländern als „mof“ | |
beschimpft wurde. Er hatte auch einen wirklich starken deutschen Akzent, | |
viel stärker als meine Mutter. „Mof“ ist ein schlimmes Schimpfwort für | |
Deutsche. [Das Wort „mof“ wird im Niederländischen seit der frühen Neuzeit | |
spöttisch verwendet und ist vermutlich abgeleitet von „Muff“ und „muffig… | |
d. Red.]. | |
Ihr Vater floh vor den Nazis in die Niederlande, Ihre Mutter überlebte | |
mehrere Konzentrationslager. In „Der jüdische Messias“ erzählen Sie nun v… | |
einem promisken Rabbiner, von einem halbblinden und geldgierigen | |
Beschneider, von einer orthodoxen Jüdin mit schief sitzender Perücke, von | |
einer Mossad-Agentin, die einen herausgebrochenen Goldzahn mitgehen lässt, | |
und vom Möchtergern-Juden Xavier, der „Mein Kampf ins Jiddische“ übersetz… | |
Wie können Sie als Sohn von Holocaust-Überlebenden eigentlich so | |
sarkastisch über den Holocaust und über heute lebende Juden schreiben? | |
Wahrscheinlich weil meine Mutter selbst immer sehr trocken über den | |
Holocaust geredet hat. Sie war in Westerbork, Theresienstadt, Auschwitz und | |
anderen KZs, und sie hat immer gesagt: Da gab es auch nette Leute. Sie | |
bekam zum Beispiel oft Komplimente von den Nazis. Einmal sagte sie: „Ich | |
war sehr schön im KZ. Das hat mir das Leben gerettet.“ Und wenn meine | |
Schwester und ich nicht gehorchten, schimpfte sie: „In Auschwitz war ich | |
glücklicher als bei euch.“ Sie hat das offenbar wirklich so erlebt. Dass | |
ihre eigenen Eltern ermordet wurden, wusste sie noch nicht, als sie im KZ | |
war. Das hat sie erst nach dem Krieg erfahren. Trotzdem hat sie später so | |
was gesagt. Sie sehen: Der Sinn fürs Groteske liegt bei uns in der Familie. | |
Ich musste das gar nicht erfinden. Es war einfach da. Insofern bin ich auch | |
nie mit einem besonderen Deutschenhass aufgewachsen. Bloß Österreicher | |
konnten meine Eltern nicht leiden. Sie sagten immer: „Die wirklichen Nazis, | |
die kommen alle aus Österreich.“ Es ist natürlich unmöglich, so etwas zu | |
behaupten, aber meine Eltern haben das eben getan. | |
Haben Sie, während Sie den Roman geschrieben haben, oft gelacht? Oder war | |
das Schreiben für Sie auch ein schmerzhafter Prozess? | |
Es gab natürlich sehr schmerzhafte Momente. Besonders nahe ist mir die | |
Geschichte von Xaviers Mutter gegangen, deren Vater ja KZ-Aufseher war und | |
die sich später nach und nach selbst massakriert. Sie ist eine wirklich | |
sehr tragische Figur. Und auch das Ende des Romans ist natürlich ganz und | |
gar nicht lustig. Aber manchmal habe ich beim Schreiben auch sehr lachen | |
müssen. | |
Kann und darf so einen sarkastischen Roman über den Umgang mit dem | |
Holocaust nur ein Jude schreiben? | |
Oh nein! Jeder darf sarkastisch sein, aber man darf die Dinge nicht | |
verharmlosen. Ironie gibt es übrigens immer wieder in der | |
Holocaustliteratur. Denken Sie zum Beispiel an die Bücher von Tadeusz | |
Borowski, Primo Levi oder Imre Kertész. Über Massenvernichtung kann man | |
einfach nicht mit gutem Geschmack schreiben. | |
12 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Katharina Borchardt | |
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