# taz.de -- Biografie über Sebastian Kurz: Ein Schlingel | |
> Ein Buch über Kanzlerkandidat Sebastian Kurz, das am Mittwoch erscheint, | |
> sorgt in den österreichischen sozialen Netzwerken für Häme. | |
Bild: „Die kleine, spitze Nase, die aus seinem Gesicht hervorlachte“, steht… | |
„Soll ich noch hochkommen … deine Balkanroute schließen?“ Wer vergangene | |
Woche auf den Twitter-Hashtag #50shadesofkurz geklickt hat, ist auf | |
zahlreiche solcher Tweets gestoßen. Würde man sie zusammenstückeln, dann | |
erhielte man einen klassischen Groschenroman. Außergewöhnlich ist, dass der | |
Groschenroman vom [1][österreichischen Ex-Kanzler und Kanzlerkandidaten | |
Sebastian Kurz] handeln würde. Und dass er gerade in Echtzeit von vielen | |
Menschen im Netz als eine Art Kollektiv-Mosaik verfasst wird. | |
„Er bat mich in sein Arbeitszimmer, jedoch müsse er mir davor noch etwas | |
zeigen“, [2][schreibt eine Nutzerin]. „Er ging zu seinem Schreibtisch, | |
öffnete die 3. Lade und holte etwas heraus. Was erwartet mich jetzt? ‚Ich | |
habe ein spezielles Verlangen‘, sagte er und zeigte mir sein Wahlprogramm.“ | |
Eine devote Frau, ein heldenhafter Mann, erotische Spannung, verstärkt | |
durch kreative Bezeichnungen für sexuelle Handlungen. Diese an billige | |
Romantikbüchlein angelegten Fan-Fictions entstehen als Reaktion der | |
Netzgemeinde auf eine neue Biografie über den 33-jährigen ÖVPler. | |
„Sebastian Kurz. Die offizielle Biografie“ erscheint am Mittwoch, | |
geschrieben hat sie die Wiener Journalistin Judith Grohmann. Schon seit | |
einer Woche kursieren Ausschnitte des Werks auf Twitter. | |
Vor allem im Prolog und im ersten Kapitel spart die Autorin nicht an | |
blumigen Beschreibungen und platten Phrasen. Grohmann sei auf Kurz | |
zugekommen und habe angeboten, eine Biografie zu schreiben, erklärt sie im | |
Buch. | |
## „Baby auf der Überholspur“ | |
Auf Seite 12 erzählt sie von der ersten Begegnung mit Kurz während seiner | |
Zeit als Außenminister, ein Amt, das er von 2013 bis 2017 innehatte: | |
„Zunächst erblickte ich nur eine Silhouette. ‚Ist er es wirklich?‘, dach… | |
ich mir. Ich sah lediglich einen Teil eines Kopfes, doch der kam mir | |
bekannt vor. Diese dunkelbraunen Haare, die streng nach hinten gekämmt | |
waren, und die kleine, spitze Nase, die aus seinem Gesicht hervorlachte.“ | |
Was anfangs leicht mit dem Erotikroman „Fifty Shades of Grey“ verwechselt | |
werden könnte, entpuppt sich bald als jugendfreie Heldensaga. Grohmann | |
beschreibt Kurz als „Baby, das auf der Überholspur fuhr“, später | |
authentisch, höflich und respektvoll. „Ein Politiker, der sich bei den | |
Gästen einer Veranstaltung für ihre Euphorie bedankt, ist nur sehr selten | |
anzutreffen.“ Und wie reagierte Kurz, nachdem ein Misstrauensvotum des | |
Nationalrats seiner Koalition mit der rechten FPÖ Ende Mai nach nur 526 | |
Tagen im Amt ein Ende setzte? „Fürs Aufgeben hatte er jetzt keine Zeit.“ | |
Ihr Resümee: „Politik ist für ihn kein Job, sondern eine Berufung.“ | |
Fünfhundertundsiebzig Seiten: So viel muss lesen, wer sich knapp drei | |
Wochen vor den Nationalratswahlen noch schnell durch die drei bis dato | |
erschienenen Kurz-Biografien arbeiten will. Man könnte so weit gehen, zu | |
sagen: Für einen vergleichsweise jungen Politiker wird Kurz erstaunlich | |
häufig biografiert. Die beiden Falter-Journalistinnen Nina Horaczek und | |
Barbara Tóth analysierten schon 2017 in „Sebastian Kurz. Österreichs neues | |
Wunderkind?“, wie Kurz der Aufstieg innerhalb seiner Partei, der | |
konservativen ÖVP, gelang. | |
Von 2009 bis 2017 war Kurz Bundesobmann der Jungen Volkspartei, der nach | |
eigenen Angaben 100.000 Mitglieder starken Jugendorganisation der Partei. | |
Damals baute sich Kurz ein landesweites Netzwerk sowie einen kleinen Kreis | |
an loyalen Mitstreitern auf, bis heute die Basis seines Erfolgs. Kurz | |
selbst sprach nicht mit den beiden Journalistinnen. | |
## Das Internet vergisst nicht | |
Wenige Wochen später, Anfang 2018, erschien „Sebastian Kurz. Die | |
Biografie“, in dem Bild-Journalist Paul Ronzheimer Interviews mit Kurz und | |
dessen Eltern führte. Ronzheimer zeichnet ein positiveres Bild von | |
Österreichs Ex-Integrationsstaatssekretär und -Außenminister. Dazu stellt | |
Ronzheimer Passagen, in denen er seine Erlebnisse als Reporter während der | |
Flüchtlingskrise beschreibt. Für seine Migrationspolitik kritisiert ihn | |
Ronzheimer. Kurz war am Schließen der sogenannten Balkanroute maßgeblich | |
beteiligt. Ansonsten lässt er die Eltern erzählen, dass der junge Kurz | |
nachts nach Hause gejoggt sei, weil er kein Geld für ein Taxi hatte. | |
Wer Schnurren aus dem Leben des Sebastian Kurz lesen will, ist also mit | |
hinreichend Material versorgt. In Grohmanns 250 Seiten erfährt man zudem | |
wenig Neues. Dass die österreichischen Zeitungen sowie Zeit, Welt und | |
Spiegel berichten, hat also weniger mit dem Buch selbst, sondern vielmehr | |
damit zu tun, was rundherum geschah. Einmal mehr zeigt sich, dass das | |
Internet nicht vergisst – vor allem in einem kleinen Land wie Österreich. | |
Rund 160.000 Twitter-User gibt es in Österreich. Gemessen an der | |
Einwohnerzahl von 8 Millionen ist das eine winzige Nische im Internet – | |
aber eine einflussreiche. Hier tummeln sich Journalisten und Politiker, | |
Wissenschaftler und Pressesprecher. Man kennt sich oft auch offline. Es sei | |
eine Blase, wird bisweilen beklagt, manche Themen hätten wenig mit den | |
„echten Sorgen“ der Menschen zu tun. Trotzdem: Was hier diskutiert wird, | |
schafft es oft in die Nachrichten. | |
Wenig überraschend also, dass Austrotwitter quasi als Investigativmedium | |
funktioniert, wenn es um Überschneidungen zwischen Medien und Politik geht. | |
So geschah es auch jetzt, in Vorbereitung zum Erscheinungstermin der | |
Kurz-Biografie. Im Buch erfährt man nämlich wenig über die Autorin Grohmann | |
selbst; sie gab lediglich der Tageszeitung Kurier ein Interview, in dem sie | |
Sebastian Kurz als „liebenswürdigen Schlingel“ bezeichnet. | |
## Schlampig obendrein | |
Auf Twitter arbeiteten die User derweil fleißig daran, alte Konversationen | |
von Grohmann auszugraben, etwa mit den Wiener Linien, in der sie sich | |
beschwert, dass das Social-Media-Team der Verkehrsbetriebe mit ihr „per Du“ | |
sei. Die 53-jährige Autorin gibt auf ihrer Homepage an, beim | |
österreichischen Nachrichtenmagazin Profil Chefin vom Dienst und bei der | |
Tageszeitung Presse als Leiterin des Wirtschaftsressorts tätig gewesen zu | |
sein. Beides dementieren die jeweiligen Chefredakteure. | |
Zudem finden sich im Buch zwei Schlampigkeitsfehler: Einmal wird ein Wiener | |
Bezirk falsch bezeichnet, einmal Ex-ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel | |
fälschlicherweise als Wahlsieger im Jahr 2000 bezeichnet. Bleibt die Frage: | |
Ist das der ÖVP, die die Biografie autorisierte, nicht aufgefallen? | |
Vielleicht verhält es sich ja wie bei Groschenromanen: Hauptsache, es | |
knistert. Egal, warum. | |
11 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlkampf-in-Oesterreich/!5610232 | |
[2] https://twitter.com/DieRaffa/status/1169515843333570560 | |
## AUTOREN | |
Anna Goldenberg | |
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