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# taz.de -- Burg Hohnstein im Elbsandsteingebirge: Auf den Wegen des Widerstands
> Sozialdemokraten und Kommunisten, die bedrohten Menschen zur Flucht
> verhalfen, Sabotageakte organisierten – eine Wanderung zur KZ-Burg.
Bild: Über dem Ort Hohnstein erscheint die Burg Hohnstein
Wie Heidlind Girschik dort steht, kurz vor der tschechischen Grenze auf
einem Waldparkplatz, da ahnt man schon, dass sie Wanderführerin ist. Mit
Trekkinghose und grünem Shirt, mit guten Schuhen und dunkler Sonnenbrille
empfängt die Mittfünfzigerin ihre heutige Gruppe. Gleich führt sie sie über
die Wege der Sächsischen Schweiz in die Wolfsschlucht, durch den
Schindergraben, am Bärenzwinger vorbei.
Aber dass Girschik, bevor die zehn Leute, die heute um sie versammelt sind,
mit ihr losgehen, erst einmal diesen Satz vorträgt, das ist doch etwas sehr
Besonderes: „Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache. Wie
man aber später von uns denken wird, ist so wichtig wie, dass man an uns
denken wird. Ein Deutschland, das an uns denkt, wird ein besseres
Deutschland sein.“ Nach einer kurzen Pause sagt sie: „Ich möchte, dass ihr
wisst, dass es das ist, was mich motiviert.“ Es war ein Satz, den Carl von
Ossietzky einem Mithäftling gesagt hat, als er im KZ Esterwegen gefangen
war.
Das Ziel von Girschiks Wandergruppe ist ein KZ, das Schutzhaftlager Burg
Hohnstein, in dem die Nazis ab März 1933 Regimegegner inhaftiert hatten.
Organisiert wird die Tour von dem Verein AKuBiZ, ausgeschrieben:
Alternatives Kultur- und Bildungszentrum e. V. im sächsischen Pirna. Seit
2008 bietet AKuBiZ geführte Wanderungen an. „Widerständige Wege“ heißt d…
Konzept. So soll an die Geschichte des antifaschistischen Widerstands
erinnert werden: und zwar genau dort, wo er in den Dreißigerjahren
stattfand.
„Seit 2001 gibt es AKuBiZ“, sagt Steffen Richter, der Vorsitzende des
Vereins. „Am Anfang sind wir mit Gruppen nach Griechenland, Spanien und
Italien gereist. Wir haben Zeltlager veranstaltet, Holocaust-Überlebende
und frühere Partisanen getroffen.“ Politische Bildung vor Ort, das ist das
Konzept. „Einmal hat uns in Spanien ein Zeitzeuge gefragt: Wir war das denn
bei euch?“ Erst da fing AKuBiZ an, sich mit der eigenen Gegend zu
beschäftigen.
Und sie wurden fündig. Es gab hier, südlich von Dresden, eine breite
Widerstandsbewegung: Sozialdemokraten und Kommunisten, die bedrohten
Menschen zur Flucht verhalfen, die Sabotageakte organisierten oder
Flugblätter ins Dritte Reich schmuggelten. Die heutige Wandergruppe, die
sich auf historische Spurensuche begeben möchte, besteht vor allem aus
Studenten, die aus Leipzig und Dresden angefahren kommen.
„Es gibt keine typischen Teilnehmer“, sagt Girschik. „Mal sind es ältere
Menschen, mal sind es Jugendgruppen und Schulklassen.“ Steffen Richter
ergänzt: „Es kommen Fußballfaninitiativen, Motorradclubs und
Pfadfindergruppen, Gruppen der Gewerkschaftsjugend, ganz viele.“ Auch vom
Alter her sei es sehr heterogen: mal Achtklässler, mal Rentner, und am
heutigen Samstag eben überwiegend Studenten. Sie gehen durch die
Wolfsschlucht. Das ist ein Weg zwischen zwei riesigen Felsen. Grau,
bedrohlich und sehr schmal führt der Steig mal runter, meist hoch. Etliche
Eisenstufen sind zwischen den Brocken, oft kann man sich den Kopf stoßen.
## Eine grandiose Aussicht
Plötzlich ist eine Felskuppe erreicht: Hell ist es, und die Aussicht
grandios. Gegenüber ein grüner Wald am Hang, oben liegt Hohnstein, die Burg
und der Ort. Es ist heiß, 31 Grad, jeder trinkt etwas, und Heidlind
Girschik erklärt derweil. Auch andere Wanderer bleiben stehen und hören
sich die Erläuterungen an: dass Burg Hohnstein im 12. Jahrhundert nicht als
Burg für Grafen oder Fürsten oder Ritter erbaut wurde, sondern als
Gefängnis. In seiner Geschichte war es auch manchmal Herrschersitz, aber
meist diente es dem Zwang: mal „Männerkorrektionsanstalt“, mal
Jugendgefängnis.
Nun geht es erst hinab und dann durch ein grünes, fruchtbares und sehr
enges Tal, den Schindergraben, wieder hinauf – nach Hohnstein. Hier wurde
im 16. Jahrhundert totes und krankes Vieh entsorgt. Oben im Ort angekommen
steht man vor renovierten Fassaden, auf gepflasterten Straßen.
Herausgeputzt sieht Hohnstein aus. Der Bürgermeister, der für die
Unabhängigen Wähler antrat, bekam 97,4 Prozent, er ist SPD-Mitglied. Aber
bei der jüngsten Stadtratswahl holte die AfD doppelt so viel Stimmen wie
die Grünen, dreimal so viel wie die Linken, und die SPD als Partei trat gar
nicht an. Im Rathaus findet sich eine Ausstellung. Heidlind Girschik sucht
jemand, der den Schlüssel hat und aufsperrt.
In einem schmalen Flur vor den Bürotüren sind viele Informationstafeln
aufgehängt: Schüler aus Radebeul nahe Dresden haben sich in einem Projekt
mit der Geschichte von Burg Hohnstein beschäftigt. Ein Schüler wollte an
seinen Opa erinnern, der im Widerstand war. So kam die Idee auf, und AKuBiZ
war gerne Partner. „Viele Leute aus dem Ort, die ich fragte, kennen die
Ausstellung nicht“, sagt Heidlind Girschik. Dabei würden sie viel erfahren
von dem, was hier passiert ist, im Ort und in der Burg: Biografien von
Häftlingen, Berichte von Gerichtsprozessen. Schwarz-Weiß-Bilder, dazu
Texte.
Girschik führt ihre Gruppe weiter, es geht in die evangelische Kirche des
Ortes. Hier ist es kühl, und die Gruppe kann verweilen. Doch die Kirche ist
auch ein historischer Ort, wie alles in Hohnstein. In den Dreißigerjahren
las Pfarrer Kurt Schuhmann hier seine Messen. „Er war der Einzige, der sich
für die Häftlinge eingesetzt hat“, berichtet Girschik. „Später wurde er
suspendiert.“
Nun wieder hinaus, weiter zum Marktplatz. Die nächste Erkenntnis liegt
wieder auf dem Weg: dass es nur einen Zugang zur Burg gibt. Es ist ein Weg,
der über den Markt führt. Hier finden sich Cafés und Geschäfte,
mittelalterliche Wohnhäuser, hier ist das Leben. Die ganze Stadt sieht, wer
in die Burg geht und wer in sie getrieben wurde. Das war schon 1933 so.
Neben dem Burgtor packt Girschik Fototafeln aus und erzählt die jüngere
Geschichte des Baus. 1924 hatte hier nämlich ein neues Kapitel begonnen:
Eine internationale Begegnungsstätte mit 1.000 Betten war aus der
Zwangsanstalt geworden. Gäste aus Indien, aus Japan, aus Kanada reisten in
die „Jugendburg“, so der Name. Girschik zeigt ein Foto, das den indischen
Schriftsteller Rabindranath Tagore auf Hohnstein zeigt, den ersten
Nobelpreisträger aus Asien.
## Schutzhaftlager der Nazis
Möglich gemacht wurde die Weltoffenheit von Konrad Hahnewald, der die
Jugendburg ab 1924 leitete. Hahnewald stammte aus Dresden, war
Sozialdemokrat und kam aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Am 8.
März 1933 war die SS vor die Burg marschiert und verlangte die Übergabe.
Zwei Gruppen, eine aus Berlin und eine aus Griechenland, waren gerade da.
Sie verbarrikadierten sich, organisierten Nachtwachen, und Hahnewald
weigerte sich, der SA das Gebäude zu übergeben. Die Nazis stürmten die
Festung, nahmen ihn fest und errichteten ihr „Schutzhaftlager“. Es war
eines der ersten des Dritten Reiches. Und Hahnwald war der erste Häftling
des KZ Hohnstein.
Heute kostet es Eintritt, wenn man in die Burg will. Im Restaurant wird
eine Hochzeit gefeiert. Junge Männer in ihren Anzügen sind in den Hof
gegangen, um zu rauchen. Hinten sieht man Braut und Bräutigam, die sich zum
Foto aufstellen. „Turmverließ“ steht auf einer Tafel neben einer Tür. Dass
man durch sie in einen Raum gehen kann, erschließt sich nicht sofort. Wer
genau hinschaut, sieht vier Dübellöcher. Hier hing bis vor Kurzem ein
anderes Schild. Was die heutigen Burgbetreiber „Turmverließ“ nennen, war
ein Kerker. Davon berichtete das abgeschraubte Schild.
Sehr klein, vielleicht drei mal drei Meter, vielleicht ein klein bisschen
größer. Hier wurden weibliche Gefangene zur Strafe eingepfercht. Etwa zehn
Prozent der Hohnstein-Häftlinge waren weiblich. Für Disziplinarstrafen
wurden bis zu 40 Frauen in dieses Verließ gestellt, teils mehrere Tage. Von
außen sieht man keine Tafeln mehr, die auf diese Geschichte verweisen.
Da wo heute, an diesem sehr heißen Samstag, das frisch verheiratete Paar
seine Fotos machen lässt, findet sich eine Wiese, abgegrenzt mit Zäunen und
ein toller Ausblick auf die umliegende Felslandschaft. Die Gruppe lässt
sich auf Bänken nieder. Ein bisschen Schatten tut gut, Trinken ist wichtig.
Heidlind Girschik erklärt, dass hier bereits der Hohnstein-Kommandant Erich
Jähnichen seine Hochzeit gefeiert hat. „Diese Tradition wurde damals
begründet“, sagt Girschik. Und Heinrich Benecke, ein SA-Mann aus dem
zuständigen Ministerium, hat regelmäßig die KZs abgefahren und ließ jedes
Mal Häftlinge vorführen und misshandeln – „zu seiner und seiner Frau
Erbauung“, wie Girschik berichtet.
## Offiziell herrscht Schweigen
In dem Flyer, der heute die Burg Hohnstein bewirbt, findet sich von dieser
Geschichte nichts. „Bereits zur Zeit der Romantik, gelegen am Malerweg,
wurden Hohnstein und seine einzigartige Landschaft gerühmt“, steht da.
Steffen Richter holt Luft. „Offiziell gibt es so gut wie keine Resonanz auf
uns“, sagt der AKuBiZ-Vorsitzende. Mit dem Tourismusverband Sächsische
Schweiz hätten sie keinen Kontakt. „Immerhin, unsere Materialien liegen in
etlichen Tourismusbüros aus.“
Die Nachfrage nach den Widerständigen Wegen wächst. Anfangs, 2008, war es
eine offene Wanderung im Jahr für etwa 15 Menschen. Heute sind es zehn bis
15 Touren pro Jahr. Manchmal kommen 50, 60 Teilnehmer, meist geht es über
zwei Tage.Die Geschichte geht weiter.
Die Straße, die alle hinunterfahren, nachdem sich die Gruppe von Heidlind
Girschik verabschiedet hat, wurde 1939 als „Deutschlandring“ eröffnet.
Gebaut wurde die Rennstrecke von Zwangsarbeitern und Häftlingen des KZ
Hohnstein. Bis heute ist es eine beliebte Piste.
31 Aug 2019
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Sachsen
KZ
NS-Widerstand
Jüdisches Leben
Dorfleben
Schwerpunkt Landtagswahlen
Lesestück Recherche und Reportage
Sachsen
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