# taz.de -- Panter-Preis-Nominierte 2012: Alternative zu rechts | |
> Steffen Richter will in Pirna ein Jugendzentrum eröffnen, in dem man | |
> keinen Neonazis begegnet. Viele, die rechte Gewalt erlebt haben, ziehen | |
> weg – aber er bleibt. | |
Bild: Organisiert einen antirassistischen Fußballcup, hält Vorträge über re… | |
Steffen Richters Arme sind mit Tattoos übersät. „No frontiers“ steht auf | |
seinem linken Unterarm: keine Grenzen. Grenzen gibt es dort, wo er | |
herkommt, leider viel zu viele, vor allem in den Köpfen. | |
Die Sächsische Schweiz ist bekannt für ihre idyllische Landschaft im | |
Elbsandsteingebirge – und für ihre Nazis. Zwei so widersprüchliche Seiten | |
vereinen sich in Pirna und Umgebung: Die schöne, touristische Seite mit | |
Wanderwegen, hübsch renovierten Gaststätten, die auf hölzernen Schildern | |
Reisende willkommen heißen – und die hässliche, rechtsradikale Seite mit | |
der NPD im Stadtrat, mit Ausländerhass und Naziübergriffen. | |
„Rechte Gewalt war für mich immer sehr präsent“, sagt der 33-jährige | |
Steffen Richter. Er selbst wurde mehrmals angegriffen, seine Familie | |
bedroht. Viele, die so etwas erlebt haben, ziehen weg von hier. Steffen | |
Richter bleibt. Und kämpft. Seine Ziele: Mitbestimmung, ein | |
diskriminierungsfreies Leben, eine gesunde Streitkultur. „Und zwar für | |
alle“, sagt er, „für das geistig behinderte Kind, den Asylsuchenden und das | |
homosexuelle Pfarrerinnenpaar.“ | |
Das Politische begann bei Steffen Richter privat. Anfang der | |
Neunzigerjahre, als er 14 oder 15 war, freundete er sich mit ein paar | |
asylsuchenden Jugendlichen an. Sein Religionslehrer hatte sie zu einer | |
Diskussion eingeladen, nachdem Flüchtlingsheime von Nazis angegriffen | |
worden waren. Als er seine Freunde besuchte, sah Richter die üblen | |
Verhältnisse im Heim: Schimmel, Dreck, kaputte Einrichtung. Er schrieb | |
deswegen an den Landtag – und bekam Hausverbot. „Wir haben unsere Freunde | |
dann eben draußen vor der Tür getroffen“, sagt Richter. | |
Irgendwann wurde auch der Jugendclub geschlossen, in dem sie oft waren. „Es | |
gab keinen Ort mehr für uns Jugendliche“, sagt Richter. Es war die Zeit, in | |
der die „Skinheads Sächsische Schweiz“ noch nicht verboten waren: „Jedes | |
Stadtfest, jede Party, überall waren Rechtsextreme.“ Es war auch die Zeit, | |
in der Nazis sein Auto anzündeten, und später das Auto seines Bruders. | |
## Alternatives Jugendzentrum | |
Also gründete Steffen Richter 2001 mit Freunden Akubiz, das „Alternative | |
Kultur- und Bildungszentrum“. Das Ziel war, in Pirna ein alternatives | |
Jugendzentrum zu schaffen – alternativ vor allem zur rechten Szene. „Im | |
Prinzip haben wir das bis heute nicht geschafft“, sagt Richter. Dafür aber | |
ganz viel anderes: Der Verein organisiert Ausstellungen, Begegnungsfahrten, | |
Jugendaustauschprojekte, Konzerte, Vorträge und Seminare zur | |
Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus. | |
Steffen Richter ist bei Akubiz in vielen Rollen aktiv: Er ist Vorsitzender | |
des Vereinsvorstands, er hält Vorträge über rechte Symbolik, er schreibt | |
die Erinnerungen italienischer Partisanen auf, er führt Wanderungen zu | |
Stätten antifaschistischen Wirkens in der Zeit des Nationalsozialismus, er | |
organisiert einen antirassistischen Fußballcup. | |
Erst seit März hat der Verein ein eigenes Büro, mitten in der Altstadt von | |
Pirna, wo kleine, niedliche Häuser um einen Kirchplatz herum stehen. „Hier | |
in der Nähe gab es vor ein paar Jahren eine Drogerie mit diesem Hinweis“, | |
sagt Richter und zeigt ein Foto von einem handgeschriebenen Schild: | |
„Ausländer haben hier zu warten! Sie können Ihre Wünsche äußern. | |
Unmittelbar in das Geschäft nur noch mit Begleitperson.“ Richter schüttelt | |
den Kopf: „Das hing dort Monate, bis sich jemand beschwert hat.“ | |
So deutlich ist Rassismus nicht immer. Manchmal geht es auch schlicht | |
darum, dass Geschichten nicht vergessen werden. Gerade schreibt Steffen | |
Richter eine Broschüre über den Heilpädagogen und Widerstandskämpfer Martin | |
Kretschmer, der im KZ Sachsenhausen starb. Und er ist in der Arbeitsgruppe | |
Mockethal-Zatzschke, die die Erinnerung an ein Außenlager des KZ | |
Flossenbürg aufrecht erhält. | |
Richter ist kein deprimierter oder verängstigter Mensch. „So traurig die | |
Geschichten immer sind, die man hört, es kommt auch viel Positives zurück“, | |
sagt er. Die italienischen Widerstandskämpfer sagten ihm: „Was ihr tut, ist | |
jetzt genau das Richtige.“ So etwas ermutige ihn. Gerade diese alten Leute | |
hätten noch so viel Lebensfreude: „Auch wenn die den ganzen Tag | |
schreckliche Dinge erzählt haben – abends ist immer Party, sach ich ma, da | |
singen die alle.“ | |
## Demokratiepreis abgelehnt | |
Akubiz wurde Ende 2010 bundesweit bekannt, weil der Verein den mit 10.000 | |
Euro dotierten Sächsischen Förderpreis für Demokratie ablehnte. Akubiz | |
protestierte damit gegen die Extremismusklausel, die jeder Preisempfänger | |
unterschreiben muss, um die eigene Verfassungstreue und die aller | |
Projektpartner zu bestätigen. Die Klausel müssen hauptsächlich die | |
Empfänger von Geldern aus bestimmten Förderprogrammen unterschreiben, und | |
weil Akubiz auch dazu gehört, klagte der Verein gegen die Klausel. Mit | |
Erfolg: Das Verwaltungsgericht Dresden erklärte die Klausel im April dieses | |
Jahres für rechtswidrig. | |
Richter arbeitet als Heilerziehungspfleger in einer Einrichtung für Kinder | |
und Jugendliche mit Behinderung und ist dort Betriebsratvorsitzender, | |
zusätzlich studiert er Soziale Arbeit. Kann jemand wie er Beruf, Freizeit | |
und Engagement trennen? „Das findsch ’ne lustische Frage“, sagt Richter in | |
seinem Dialekt. Denn für ihn gehört alles zusammen. „Es geht letztlich bei | |
allem um die Frage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“ | |
Eines seiner Anliegen ist es, zu zeigen, dass es Rechtsradikale nicht nur | |
in formalen Zusammenschlüssen wie der NPD oder den „Skinheads Sächsische | |
Schweiz“ gibt, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft. „Viele haben | |
sich ja so darüber gewundert, als die Sache mit dem NSU aufkam“, sagt | |
Richter. Ihn hat es nicht gewundert. | |
## ■ Im Internet: | |
28 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
Margarete Stokowski | |
## TAGS | |
Sachsen | |
Verfassungsschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Burg Hohnstein im Elbsandsteingebirge: Auf den Wegen des Widerstands | |
Sozialdemokraten und Kommunisten, die bedrohten Menschen zur Flucht | |
verhalfen, Sabotageakte organisierten – eine Wanderung zur KZ-Burg. | |
Telefonhotline des VS: Nur einer stieg aus | |
Seit einem Jahr will der Verfassungsschutz Menschen aus der linken Szene | |
heraushelfen. Per Telefon. Der Bedarf am Aussteigerprogramm ist äußerst | |
gering. | |
Panter-Preisträger gekürt: Auf dieser Bühne sind alle richtig | |
Zum achten Mal wird der taz-Panterpreis im Deutschen Theater in Berlin | |
vergeben. Er ehrt die "HeldInnen des Alltags". | |
Panter-Preis-Nominierte 2012: Eine Frau für den Frieden | |
Heike Kammer engagiert sich in Krisengebieten für den Schutz der | |
Menschenrechte. Das große Ziel: eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung. | |
Panter-Preis-Nominierte 2012: Der Facharbeiter der Integration | |
Emiliano Chaimite hilft MigrantInnen, in Deutschland anzukommen und | |
engagiert sich für interkulturelle Kontakte. Seit 20 Jahren ist er nicht | |
mehr zur Ruhe gekommen. | |
Panter-Preis-Nominierte 2012: Liebe braucht keine Bandscheiben | |
Sandra Klatt-Olbrich will mehr Akzeptanz für Mütter mit Behinderungen. | |
Deshalb hat sie eine Gruppe für Austausch und Unterstützung gegründet. | |
Panter-Preis-Nominierte 2012: Menschen mobilisieren | |
Johannes Wolf will mit gebrauchten Fahrrädern aus Deutschland Menschen in | |
Sambia und Namibia helfen. Und auch selbst etwas von der Welt sehen. | |
Panter-Preis-Nominierte 2012: Gehaltene Versprechen | |
Antje Krajci hat einem afghanischen Mädchen, das in Erfurt medizinisch | |
behandelt wurde, eine Zeit lang ein Zuhause gegeben. Ihre Motivation: | |
Solidarität. |