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# taz.de -- Panter-Preis-Nominierte 2012: Gehaltene Versprechen
> Antje Krajci hat einem afghanischen Mädchen, das in Erfurt medizinisch
> behandelt wurde, eine Zeit lang ein Zuhause gegeben. Ihre Motivation:
> Solidarität.
Bild: Antje Krajci hat Sara – einem verletzten afghanischen Mädchen – ein …
Antje Krajci macht Urlaub am Gardasee, als es passiert. Als ein Lastwagen
in Faisabad ein kleines afghanisches Mädchen überrollt. „Großes Auto bumm
gemacht“, wird das Mädchen später erzählen.
Was genau sich an diesem Maitag vergangenen Jahres ereignete, weiß Antje
Krajci nicht. Aber es erwischte die heute achtjährige Sara übel: die Beine
zertrümmert, mehrfache Brüche, freie Knochen, die sich später entzündeten.
Doch war es wirklich ein Lastwagen? Brach ein Feuer aus? Wurde sie gegen
eine Hauswand geschleudert? Krajci hat den Aktenordner mit den
Informationen nie durchgesehen.
Was zählte, war Saras Zukunft. Die Entscheidung, sie bei sich und ihrer
Familie aufzunehmen, fällte die 38-Jährige einige Monate nach dem Unfall.
Spontan, nach kurzer Rücksprache mit ihrer Familie. Die Hilfsorganisation
Amyal hatte nach einer Gastfamilie gesucht, um dem Kind eine Behandlung im
Katholischen Krankenhaus in Erfurt zu ermöglichen.
Das örtliche Hospital in Afghanistan hatte Sara nicht helfen können, auch
nicht das Bundeswehrlazarett, in das sie ihr Vater, ein Lehrer in der
Provinzhauptstadt Faisabad, wohl noch brachte.
## Unterschenkel am seidenen Faden
Doch nun sollte es vorangehen. „Nur geradeaus“, sagt Krajci öfter, wenn sie
über das letzte halbe Jahr mit Sara nachdenkt. „Alles schien praktisch zu
sein bei uns“, erzählt Krajci. Ein großes Einfamilienhaus, zu großen Teilen
barrierefrei, ein Auto, das Krankenhaus in der Nähe. Dort arbeitet Krajci
in der Verwaltung, ihr Mann als Arzt.
Als Sara am 3. November 2011 am Flughafen ankommt, liegt sie in einer
Bundeswehrtrage. Laufen kann sie nicht. „Armes Mädchen“, kommentiert Krajci
ein Foto, das Sara am Flughafen zeigt. „Ich wurde ihr gleich als
Pflegemutti vorgestellt“, erzählt sie.
Die ersten vier Tage verbringt Krajci, die zwei Töchter hat, fast komplett
im Krankenhaus. Tag und Nacht. „Ich wollte, dass sie weiß, es ist immer
jemand für sie da.“ Ihr Ehemann vermutet, dass das Kind traumatisiert war.
„Sara hatte Schreiattacken bis zu zwei Stunden“, erzählt Krajci.
Am ersten Tag im Krankenhaus, als sie Saras nackte Beine sieht, wird ihr
schlecht. „Ich hatte Gänsehaut und musste mich anlehnen, weil mir die Knie
weich wurden“, erzählt sie. Sie bekommt Zweifel, ob das jemals etwas wird.
Wie sollte Sara mit diesen Beinen je wieder laufen können? „Der linke
Oberschenkel hing am seidenen Faden.“ Drei Zehen waren bereits in
Afghanistan amputiert worden. Offene Fleischwunden an beiden Beinen.
„Sara, langsam!“, ruft Krajci ihrer Pflegetochter zu, als sie das erzählt.
„Halt dich am Geländer fest und nimm das Eis in die andere Hand!“ Sara ist
vom Schwimmbad wiedergekommen und läuft die Treppe hoch. Ohne Krücken. Es
ist der letzte Tag vor ihrer Rückreise nach Afghanistan.
Nach einem halben Jahr in Erfurt, zuerst im Krankenhaus, später bei Familie
Krajci zu Hause, spricht Sara fließend Deutsch. Auch Antje Krajci hat ein
paar Worte Dari gelernt. „Primitivstes Dari“, meint sie. Für „essen“, …
„müde“ kennt sie die Worte. Auch nach Saras Schmerzen kann sie auf Dari
fragen. Interesse, die Sprache richtig zu lernen, hat sie aber nicht. Auch
nach Afghanistan will sie nicht, wenn, dann nur um Saras Eltern
kennenzulernen.
## Wenn da nicht die Fotos wären
Für Krajci war es ein Projekt. Ein Projekt, das nun zu Ende gegangen ist,
erfolgreich. „Wir haben alles erreicht, was wir erreichen wollten“, sagt
sie trocken. „Wir haben alles Mögliche gegeben, aber ich muss zugeben:
Unsere Kräfte sind erschöpft.“ Krajci freut sich, dass sie wieder mit ihrem
Mann und ihren Töchtern Anna und Marie unter sich sein kann. Dass das
Kinderbett in ihrem Schlafzimmer wieder weggeräumt werden kann.
Es klingt fast distanziert, wenn Krajci von ihrem Projekt erzählt. Wenn da
nicht die Fotos wären, von Krajci und ihrer Pflegetochter, mal mit anderen
Kindern, mal mit Pferden, mal mit geschminktem Gesicht. Wenn da nicht Sara
wäre, die in Krajcis Armen liegt, die mit funkelnden Augen vom Urlaub auf
dem Reiterhof erzählt.
Aber Krajci ist sich auch sicher: „Die Gefahr ist groß, dass sie sich zu
sehr einlebt, dass sie zu deutsch wird.“ Eine Mutter wollte Krajci nicht
sein für das Mädchen. „Am Anfang hat Sara es mal mit ,Moda' probiert, aber
ich hab ihr gesagt: ,Deine Mama ist in Afghanistan, ich bin hier die
Antje.'“
Dass das Projekt gelang, dass Sara alle großen Operationen überstand und
wieder laufen und lachen kann, ist vielen Menschen zu verdanken. Dem
Chefarzt, der sie nicht mit zwei Beinen ein- und einem wieder ausreisen
lassen wollte. Den Schwestern im Krankenhaus und den „Schlaf-Omis“,
Patientinnen, die sich nachts das Zimmer mit Sara teilten, damit sie nicht
allein schlafen musste. Dass Sara aber eine Familie fand, das ist Antje
Krajcis Verdienst.
Ihre Motivation? Vielleicht, überlegt Krajci, ist es Solidarität unter
Frauen. Denn sie hat einen Grundsatz: „Mädchen und Frauen sollte man
helfen.“ Einen Jungen hätte sie nicht aufgenommen, sagt sie. Aber wenn sie
es recht bedenkt, hat sie es einfach gemacht. Ohne viel nachzudenken.
„Manches ist einfach so, und dann macht man es.“
Genauso spontan wie die Entscheidung, Sara aufzunehmen, teilte die
Hilfsorganisation Krajci mit, dass Sara bald abreisen würde. Als sie Sara
sagte, dass sie nun bald wieder zurückgehe, richtete Krajci einen Wunsch an
das Mädchen: Sie wollte den Eltern in Afghanistan ein laufendes Kind
übergeben. „Ich wollte, dass Sara ihren Eltern am Flughafen entgegenläuft.�…
Sara hat es ihrer Pflegemutter versprochen.
21 Jun 2012
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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