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# taz.de -- Der Mann und sein Dorf: Hummelflug im Kopf
> Schmilka, ein kleiner Ort in der Sächsischen Schweiz, droht zu sterben.
> Sven-Erik Hitzer, dem das halbe Dorf gehört, versucht, das zu verhindern.
Bild: Hat Schmilka die Seele zurückgegeben, sagen die Einwohner über Sven-Eri…
Groß, dunkle Haare, direkter Blick: so sieht der Seelenbringer aus.
Kraftvoll drückt er die Hand der Gäste, sagt „Sven-Erik Hitzer“, sagt
„Willkommen in Schmilka“. Schmilka, das ist der Name des kleinen Ortes ganz
hinten an der Elbe in Sachsen, in der Sächsischen Schweiz, direkt an der
Grenze zu Tschechien.
Hitzer gehört das halbe Dorf. Ist er in Fahrt, sagt er schon mal, dass ihm
das ganze gehöre. Nicht nur Häuser, auch öffentliche Flächen, das
Glasfaser-, das Kabel- und Wärmenetz. Wie beim Monopoly. Und es ist ja so,
dass Hitzer gern spielt. Die Spielregeln allerdings passt er den Umständen
an. Was er tut, irritiert. Auf der einen Seite der Mann, der ein Dorf
kauft. Auf der anderen Seite die Leute aus dem Ort, die Sätze über ihn
sagen wie diesen: „Er hat Schmilka die Seele zurückgegeben.“
Hartmut Ehrlich ist der Ortsvorsteher. Auf die Frage, was genau die Seele
sei, die das Dorf wieder hat, meint er, dass es lebt, dass es einen
Widerhall hat, nicht wie ausgestorben daliegt. Gleich im Anschluss daran
sagt er: „In ein paar Jahren ist das Dorf tot.“ Da die Seele. Dort der Tod.
Gestorben werde Schmilka sein, wenn alle Schmilkaer weg oder weggezogen
seien, sagt der in Schmilka geborene Ehrlich. Der Großteil der noch 73
Einwohner und Einwohnerinnen seien Rentner. Nur eine Dreijährige lebe im
Dorf. Und zwei Jugendliche. Früher wohnten so um die 200 Menschen im Ort.
Im 16. Jahrhundert wurde er gegründet als Holzfällersiedlung.
Andrea Bigge, eine Historikerin, die seit 18 Jahren in Schmilka lebt und
deren Haus bei [1][Elbehochwassern] schon mehrmals vollgelaufen ist, sagt
den Satz mit der Seele auch. Für sie sind das die vielen Leute, die ins
Dorf kommen, um von hier aus in den Bergen zu wandern, zu klettern, und die
dem Ort nun etwas Urbanes geben, fremde Sprachen, freundliche Neugier.
Für Hitzer selbst sind die Betriebe, denen er neues Leben eingehaucht hat,
die Seele des Dorfes. Er hat die Mühle, die hundert Jahre lang außer
Betrieb war, wieder in Gang gesetzt. Wo aber eine Mühle ist, wo Mehl
gemahlen wird, kann auch ein Bäcker sein, eine Konditorei. Eine Brauerei
dazu. Hitzer hat das nach und nach alles neu aufgebaut.
„Nennen Sie mir ein Dorf mit weniger als 80 Einwohnern, wo es eine Bäckerei
gibt, die an sieben Tagen in der Woche arbeitet, wo es zwei Restaurants
gibt, zwei Cafés, eine Brauerei“, sagt er. Für wen die backen, brauen,
kochen, kellnern? Für die Touristen, die von Schmilka aus die Sächsische
Schweiz besuchen, und für Übernachtungsgäste, denen er Unterkunft in den
neun Häusern bietet, die ihm gehören. Mit 160 Gästebetten. Fast alle sind
schon baubiologisch saniert, elektrosmogfrei, Betten ohne Metall, Farbe
ohne Formaldehyd, Holz ohne Gift. Die Häuser standen leer, manche waren
aufgegeben worden nach Hochwassern. Er hat sie gekauft, als niemand sie
wollte.
Auch für die Einheimischen in Schmilka tue Hitzer all das. Sie bekommen
Rabatt auf das, was hier produziert wird. Die meisten fahren doch weiter zu
Aldi fürs Brot. Auch Ehrlich, der Ortsvorsteher, wohl aber geht er ab und
zu in die Brauerei. „Das Bier schmeckt mir.“
Was Hitzer geritten hat, nach und nach das halbe Dorf zu kaufen, geht im
Erzählen unter. Der Mann ist voller Geschichten. Das erste Haus hatte er
nach der Wende erworben, als Ferienhaus für sich, „weil die Sächsische
Schweiz mein Alaska war“, sagt er. Hitzer ist 1962 in Cottbus geboren.
„Aber mit 15 hab ich mich selbstständig gemacht.“
„Unabhängig“ trifft es eher, er hat ja noch zu Hause gewohnt, wenn er nicht
unterwegs war. Schon als Teenager aber sei er fast jedes Wochenende
klettern gewesen in der Gegend. „Wir hatten groß nichts anderes.“ Wir, das
sind die Leute in der DDR. Oft hat er auf seinen Touren in den
Sandsteinhöhlen „gebooft“ – übernachtet. Als er 19 war, lernte er seine
Frau kennen. Mit 20 ist er Vater.
Auf jeden Fall sollen ihm, schon als er noch Jugendlicher war, ein Haufen
nützliche Ideen durch den Kopf gegangen sein. Und umgesetzt habe er sie
auch. Mal habe er Altmetall gesammelt, dann wieder eine Narzissenzucht
angelegt und die Blumen verkauft oder er habe Weihnachtsbouquets entworfen,
sie minutiös gezeichnet, eine Art Katalog gebastelt und den im Lehrerzimmer
ausgelegt. Das Geschäft soll floriert haben. „Ich hatte immer Geld.“ Erst
Ideen, dann die Umsetzung. Für ihn ist das Teil des Spiels.
Hitzer hat eine Sammlung historischer Spielautomaten. Das passt dazu. Von
denen hängen einige in der Mühlenstube in Schmilka, einem Café. Seinem.
Bajazzo heißt einer der hölzernen Automaten. Eine Kugel fällt von oben
herab und wird durch Stäbe abgelenkt. Der Spieler soll sie mit dem Hut
eines Clowns, der hin und her bewegt werden kann, auffangen. Gelingt es,
wird mit Pfennigen belohnt. Ein Spiel, das nach dem Prinzip Chaos
funktioniere, meint Hitzer. Das Chaos dabei fasziniere ihn besonders.
„Man kann den Weg der Kugel nicht vorhersagen.“ Es gebe unendliche
Möglichkeiten. Es sei wie bei ihm.
Das mit den Ideen, die nie aufhören, sei ihm eigen. „Bei mir ist immer
Hummelflug im Kopf.“ Manchmal träume er Konzepte, entwickle sie träumend
weiter, weiß, dass es super Ideen sind, und wenn er aufwacht, könne er sich
nicht mehr an sie erinnern. „Dann weiß ich nur noch, dass es perfekt war.“
## Träumend planen
Seine Eltern, Architekten beide, hätten ihm viel Freiheit gelassen, die DDR
allerdings nicht so. Er wollte Landschaftsarchitektur studieren wie einer
seiner Onkel. Weil er nicht durfte, wurde er Gärtner und Drachenflieger.
Später, kurz vor der Wende, bekam er doch noch einen Studienplatz in
Spieledesign in Halle auf der Burg Giebichenstein. Das hat er abgebrochen,
um europaweit Mittelaltermärkte zu organisieren. Geschichte interessiert
ihn. Er will wissen, wie es früher wo aussah, wie die Leute damals lebten.
In Schmilka hat er – bevor er dachte, er müsse was tun – nur gesehen, dass
der Ort verkommt. Als die Treuhand die Mühle des Ortes loswerden wollte,
hat er sie gekauft, sich alte Fotos angeschaut und sie restauriert. Und als
er das Forsthaus hinter der Mühle haben kann, kauft er auch das. Der Hof
zwischen den Gebäuden soll zugestellt gewesen sein mit verrosteten
Maschinen, altem Baumaterial, Dreck- und Schrottbergen, „unvorstellbar“,
wehrt Hitzer ab.
Heute ist es der zentrale Platz. Hier können die Leute am Feuer sitzen, in
alten Badezubern ein Bierbad nehmen, Glühwein trinken oder Kaffee.
Manchmal spielt auch jemand Musik. Geheizt wird das Badewasser teils mit
der Abwärme der Produktionsbetriebe. 40 Prozent des Stroms generiert
Hitzer in Schmilka selbst, der Rest ist Ökostrom. Überhaupt sei alles bio,
regional und nachhaltig. Mehrere zuliefernde Landwirte habe er animiert,
auf Biolandbau umzustellen. Bio, das sei die Idee seiner Frau gewesen.
Pläne für Schmilka hat Hitzer noch mehr. „Das Dorf ist für mich ein
einziger Spielplatz.“ Ein Dorfkino, eine Fleischerei, ein Bürgerkraftwerk,
das nur mit Ökostrom arbeitet, ein Hostel, das in einer Villa, die ihm
schon gehört, entsteht. Die Ideen sprudeln. Und der Spielautomat wirft Geld
aus. „Das investiert er wieder“, sagt Hitzers Betriebsleiter, der Glühwein
verkauft auf dem Platz hinter der Mühle. Klar, das war jetzt nicht aufs
Spielgeld bezogen.
## Bäume umarmen
Dann sagt Hitzer etwas, was vordergründig nicht zu seiner Energie passt:
„Ich bin ein vorsichtiger Mensch. Ich höre auf mein Bauchgefühl.“
Entscheidungen bespricht er mit anderen. Und manchmal tausche er in
Sitzungen die Plätze. Dann lässt er die, die seine Vorhaben anders sehen,
auf seinem Platz sitzen, und er setzt sich auf ihren, wie um eine neue
Perspektive zu bekommen. Sein Energielevel könne er eben nur halten, wenn
er auch Energie bekomme. Er bekomme sie durch Menschen. Und von der Natur.
„Glauben Sie mir, ich umarme auch Bäume.“
60 Angestellte hat Hitzer in Schmilka, und weil der Ort nicht sein einziges
Projekt ist, sondern ihm auch die Gastronomie auf der Festung Königstein
gehört, die Leuchtenburg, die er in eine Stiftung umgewandelt hat, das
Schloss in Thürmsdorf, das ein Schokoladenmuseum werden soll, sind es am
Ende 300 Leute, die für ihn arbeiten. Er ist jemand in der Region. Ein
Macher. Eine Ideenmaschine.
Und er ist einer, der sich fürs Gemeinwesen interessiert. Mittlerweile
sitzt er im Vorstand des Tourismusverbands der Sächsischen Schweiz, im
Vorstand des Verbands der Biohotels. Und bei der Schifferfastnacht, im
einzigen Verein, der in Schmilka noch lebt, wird er auch mitmachen dieses
Jahr.
Die entscheidende Frage sei aber, sagt er: „Wie gehe ich mit meinem
Personal um?“ Geben. Nehmen. Gerade werde daran gearbeitet, dass, obwohl
die Region nicht schneesicher ist, der Tourismus in der Sächsischen Schweiz
auch im Winter funktioniert, damit die Leute von Oktober bis Ostern nicht
zum Arbeitsamt müssen.
Über Löhne spricht Hitzer nicht, wohl jedoch darüber, dass seine
Angestellten kostenlos Bioessen bekommen in Schmilka und in der
Naturheilpraxis in seinem Hotel kostenlose Gesundheitsvorsorge. Leute, die
für ihn arbeiten, der Bierbrauer, der Geschäftsführer, das Zimmermädchen
aus Tschechien, reden voll Begeisterung von der Arbeit. Als hätte Hitzer
sie angesteckt.
## Ein Mann der Mitte
Politisch sei er ein Mann der Mitte. Eine CDU, die soziale Politik macht,
dagegen hat er nichts. Und dann macht er noch einen Einwand, der nicht
irrelevant ist. Er greife gestaltend in die Struktur des Dorfes ein, „was
aber, wenn es eine feindliche Übernahme gibt“, wenn Banken nicht mehr
mitspielen? „Ich hätte schon x-mal verkaufen können.“
Auf dem Papier gehört halb Schmilka ihm, aber vieles werde mit geliehenem
Geld finanziert, sagt er. Er überlegt jetzt, wie er seinen Besitz im Dorf
in eine Stiftung umwandeln kann, damit nicht jemand kommt, dem nur Profit
wichtig ist. Und dann zeigt er noch, wie einer der Spielautomaten
funktioniert. Mit viel Gefühl stößt er mit einem Hebel die 10-Pfennig-Münze
an, die er eingeworfen hat, und mit etwas Glück fällt sie in einen Schlitz,
aus dem zwei 10-Pfennig-Münzen rauskommen.
Später, auf der Fähre, mit der man zum Bahnhof über die Elbe übersetzen
muss, sagt ein Einheimischer, dass er 50 Prozent von dem, was Hitzer mache,
gut finde. Was denn gut sei, was schlecht? Er antwortet nicht, zuckt nur
mit den Schultern.
10 Jan 2020
## LINKS
[1] /Hochwasser-in-Deutschland/!5066084/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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