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# taz.de -- Kleinstadtleben in Deutschland: Letzte Ausfahrt vor Polen
> Eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern kämpft um ihre Schule und um
> ihr Bestehen. Soll man Orte wie Penkun fördern oder aufgeben?
Bild: Rund 1.700 Menschen wohnen in Penkun, vor der Wende waren es fast doppelt…
Penkun taz | In der Stadt Penkun ist es so: Es sind nicht mehr so viele da,
aber weitergehen muss es trotzdem. Das Schloss braucht einen neuen
Investor, die Alten den kleinen Laden am Marktplatz, den sie hier immer
noch Konsum nennen. Und was wäre eine Stadt ohne Schule?
Nix. Ohne Schule wär der Ort tot, sagt Bernd Netzel. Schließe die Schule,
dann gehe „der Rest auch hopp“. Zuerst die Familien, dann der Konsum, der
Bäcker und schließlich die Vereine. Netzel schaut aus dem Fenster seines
Büros. Drüben steht ein brauner Klotz, mit grauem Dach und ein paar
Bäumchen im Hof. Das ist die Regionalschule, 5. bis 10. Klasse. Netzels
Sorgenkind.
29 Jahre war Bernd Netzel Bürgermeister (FDP) von Penkun, ehrenamtlich,
seit der Wende bis hinein in den letzten Sommer. Jahre, in denen Netzels
Bürstenhaarschnitt grau wurde und die Stadt sich leerte. In denen er sich
für den Erhalt der Schule abmühte. Vielleicht vergeblich.
Rund 100 Schüler besuchen die sieben Klassen der Regionalschule, eigentlich
zu wenig. Seit Jahren erteilt das Land immer wieder Ausnahmeregelungen,
damit hier der Unterricht stattfinden kann. Das Dach ist undicht, die
Fenster ebenso. Die Klassenzimmer tragen die Patina der 1960er Jahre. Es
riecht nach alten Gardinen. Neu sind hier nur die neonfarbenen Turnschuhe
der Kinder.
Eine Sanierung würde mehrere Millionen Euro kosten. Geld, das die Stadt
nicht hat. Geld, das vom Land und vom Bund kommen müsste. Mehrere
Millionen für die Rettung einer Schule und einer Stadt im Nirgendwo. Lohnt
das?
## Man nennt sie „abgehängte Region“
Die letzte Ausfahrt vor Polen, das ist Penkun. Aus der Ferne erinnert die
Stadt an eine einsame Insel, die es irgendwie in den äußersten Osten
Mecklenburg-Vorpommerns verschlagen hat. Drei Seen, in der Mitte eine
Kleinstadt. Rund 1.700 Menschen leben hier, zählt man die vier nahen Dörfer
dazu; früher waren es mal fast doppelt so viele. Vor der Wende. In 30
Minuten ist man mit dem Auto in Stettin. Nach Schwerin, der
Landeshauptstadt, sind es knapp drei Stunden. Der nächste Bahnhof ist zehn
Kilometer entfernt. Alles scheint hier weit weg zu sein, versteckt hinter
braunen Winterfeldern und Nadelwald.
In Studien zur ländlichen Raumentwicklung tauchen Orte wie Penkun oft dort
auf, wo es um abgehängte Regionen geht. Meist liegen diese im Osten von
Deutschland, irgendwo abseits der Autobahn. Gemeinsam ist ihnen nicht nur
die Örtlichkeit, sondern auch die Umgebung. Plattes Land, viel Platz. Und
die Gesamtlage: Strukturschwach ist ein Wort, das diesen Regionen anheftet
wie ein unliebsames Etikett, das man auch nach viel Rubbeln nicht loswird.
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat berechnet, dass bis
2035 vermutlich nur noch 1,4 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern
leben werden. Rund 500.000 weniger als zu Wendezeiten.
Eine weitere Studie der Forscher zeigt: Wo Menschen verschwinden, da gerät
die Grundversorgung ins Rutschen. Wo niemand lebt, investiert auch keiner.
Zurück bleibt die Randlage. Schon heute sind die Menschen in diesen
Regionen rund drei Jahre älter als in den Städten. Die Einkommen niedriger,
die Busse fahren seltener bis gar nicht. Die Schulwege sind weiter und die
Menschen öfter ohne Job. Was also tun mit diesen Orten?
Unwirtschaftliche Regionen müsse man finanziell aufgeben, riet jüngst eine
Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, und dort
investieren, wo es sich lohnt: in den Zentren, den Städten. Schwerin, nicht
Penkun.
Gleichwertige Lebensverhältnisse
„Die Politik und die Öffentlichkeit müssen akzeptieren, dass es gerade die
Städte in Ostdeutschland sind, die die wirtschaftliche Konvergenz
Ostdeutschlands voranbringen können“, schreiben die Forscher.
Die Bundesregierung hält dagegen. „Unser Ziel sind gleichwertige
Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum in ganz Deutschland.“ So
steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Bis 2021 sollen 12
Milliarden Euro fließen. Geplant ist der Ausbau von Breitband und die
Schließung von Funklöchern mit 5G. Mehr Busse und Bahnen, auch abseits der
Zentren, und die Förderung von Bildung, Tourismus, Wirtschaft und Ehrenamt.
Heimatminister Horst Seehofer tourte im letzten Jahr durch Deutschland.
„Ich möchte nicht nur mit Geld, sondern auch mit Strukturen unterstützen,
um die Regionen Deutschlands noch stärker zusammenbringen. Deshalb bin ich
auf Deutschlandreise.“ So steht es auf der Seite des Ministeriums. Im
Januar initiierte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine neue
Kampagne für ein besseres Leben auf dem Land. Der Titel: #Dorfkinder.
Mittelpunkt sind Fotos von Kindern, die in blühenden Getreidefeldern
stehen. Sie lächeln. Von abgehängten Regionen ist wenig zu sehen.
Was also tun mit diesen Orten? Aufgeben oder fördern? Was braucht ein Ort
zum Überleben? 5G, eine Bushaltestelle oder mehr Touristen? Oder, wie in
Penkun: einfach eine Schule?
## „Das kriegen wir hin“
Fragt man Bernd Netzel nach seinem Lieblingsort in Penkun, sagt er:
„Irgendwo draußen, mit dem Hund.“ Nach Feierabend geht er oft ein Ründchen
um den See. Das passt irgendwie. Netzel ist keiner, der gerne die Füße
stillhält.
An diesem Januarmorgen sitzt er in seinem Büro, im zweiten Stock eines
neuen Klinkerbaus. Die Straße runter geht es zur Kirche und zum Markt, auf
dem ein paar alte Linden dem Winter trotzen. Viele Fassaden sind hier bunt,
mehrere Läden stehen leer. Die ehemalige Fleischerei, ein Blumenladen. Nur
die Apotheke ist voll. Der durchschnittliche Penkuner ist zwischen 55 und
65 Jahre alt.
Netzel hat keinen Kaffee mehr und bringt stattdessen Früchtetee. Das Büro
hat der 63-Jährige noch aus Zeiten seines Amtes. Früher lenkte er hier die
Geschicke der Stadt. In einer hellen Holzvitrine, im unteren Fach, liegt
noch der Schlüssel der Stadt Penkun. Ein goldenes Unding, so lang wie ein
Unterarm.
Heute leitet Netzel hier einen Fahrservice mit 14 Autos, die in Penkun den
öffentlichen Nahverkehr ersetzen. Die Stadt ist nicht gerade ein
Verkehrsknoten. Der Bus kommt etwa einmal die Stunde. Wer zwischendurch zum
Arzt muss, der ruft bei Bernd Netzel an. „Netzel“, meldet er sich knapp zur
Begrüßung und schiebt ein „Das kriegen wir hin“ hinterher. 29 Jahre als
Bürgermeister sind nicht einfach vorbei, die klingen nach.
Schaut man sich Netzels Bilanz an, dann könnte man sagen, er war ganz
erfolgreich in den letzten Jahrzehnten. Er hielt Büttenreden im
Karnevalsverein und überreichte Blumen zum runden Geburtstag. Ließ eine
Kanalisation bauen, eine neue Grundschule und ein Gewerbegebiet. Er öffnete
die Stadt für junge Familien aus dem nahen Polen und feierte Erfolge mit
dem Penkuner Fußballverein. Landesliga, 2003.
Kurz, er hielt Penkun fern vom Niedergang, trotz ständiger Löcher im
Haushalt, der Jungen, die es in die Städte zog, und der Randlage. „Mir ging
es immer um die Stadt, um die Menschen“, sagt Bernd Netzel jetzt. „Auch
wenn es nicht immer einfach war.“
## Wenn keiner hilft
Er weiß: Stadtentwicklung ist auch der Kampf um Standortvorteile, um
Zuzügler und Steuereinnahmen, um eine belebte Stadt. Und den droht Penkun
gerade zu verlieren. Die Stadt hat rund 4 Millionen Euro Schulden. In den
letzten fünf Jahren wachte ein Sparbeauftragter des Landes über den
Haushalt. Der setzte ein Ultimatum: Entweder man spare Gelder ein, oder die
Regionalschule müsse schließen. „Eine Katastrophe“, sagt Netzel. Denn ohne
diese Schule, sagt Netzel, könne der Ort einpacken.
Die Grundschule von Penkun geht nur bis zur 4. Klasse, danach ist Schluss.
Netzel befürchtet, dass Eltern woanders hinziehen, wenn die weiterführende
Schule dichtmacht.
Das Problem mit der Regionalschule ist nicht neu. Bereits seit 2002 läuft
die Schule nur noch mit Ausnahmegenehmigung. In den letzten 20 Jahren hat
sich die Zahl der Kinder hier halbiert. Die Klassen sind eigentlich zu
klein, um die Kosten für Lehrer, Strom und Wasser zu rechtfertigen.
Trotzdem gelang es Netzel immer wieder, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es
gab Zeiten, da klapperte er mit einem Kleinbus die benachbarten Dörfer im
nahen Brandenburg ab, um die Schüler zum Unterricht zu bringen. „Wenn dir
keiner hilft, hilf dir selbst“, sagt Netzel. Es klingt nicht trotzig, wie
er das sagt, eher stolz. Das könnte jetzt nicht mehr reichen.
Denn wer schickt sein Kind schon auf Dauer auf eine Schule, in die es
hineinregnet?
Von außen ist der Verfall nicht zu sehen. Groß und grau steht die Schule
da, auf dem Hof stehen Jugendliche zusammen. Manche sprechen polnisch. Erst
wenn man richtig hinschaut, sieht man den „Sanierungsstau“, wie Netzel es
ausdrückt. Löcher in den Fenstern, eine Aula, die noch Original 1950er
Jahre ist, und ein undichtes Dach.
## Der Plan: Zusammenlegung
Um die Schule zu retten, hat die Stadt einen Plan gefasst: die
Zusammenlegung von Grund- und Regionalschule. 100.000 Euro für Strom und
Unterhalt sollen so jährlich eingespart werden. Das Problem ist, eine
Zusammenlegung würde 7 bis 9 Millionen Euro kosten, das hat eine
Machbarkeitsstudie ergeben. Geld, das Penkun nicht hat, aber irgendwie
aufbringen muss. Geld, das nur fließt, wenn sichergestellt ist, dass die
Schule auch in ein paar Jahren noch besteht. Nur: diese Bestandsgarantie
gibt es nicht.
Bis 2022 sei die Schule gesichert, danach werde erneut geprüft, heißt es
aus dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern. Der ernüchternde
Zwischenstand: Weder ist klar, ob die Schule nach 2022 weiterbestehen wird,
noch, wer den gewünschten Umbau finanzieren soll.
Dazu kommt: Die Regionalschule in Penkun ist nicht nur schlecht ausgelastet
und hat ein undichtes Dach, sie hat Konkurrenz bekommen.
Rund 30 Kilometer nördlich von Penkun, in der Stadt Löcknitz, 3.300
Einwohner, entsteht in diesen Tagen ein neuer Schulcampus. In den nächsten
Jahren sollen 17 Millionen Euro in das Projekt fließen. Das Geld kommt aus
Töpfen von Land, Bund und EU. Eine neue Schule für 1.000 Kinder. Löcknitz
wächst, vor allem durch den Zuzug von polnischen Familien, die vor den
hohen Mietpreisen in Stettin in deutsches Randgebiet flüchten.
Warum also in Penkun investieren? In eine Schule für 122 Kinder, deren
Schülerzahlen seit Jahren stagnieren? In eine Stadt, die noch nicht mal
eine Eisdiele hat?
## Der andere Plan: Umbau
Erklären will das Eckart Rothe, Penkuner, Tischlermeister und seit elf
Jahren Mitglied im Stadtrat. Er ist neben Bernd Netzel einer der größten
Unterstützer der Regionalschule in Penkun. Am Telefon schlägt er vor, sich
auf einen Kaffee am Marktplatz zu treffen. Das Café ist nicht zu verfehlen,
es ist das einzige in der Stadt. Zwei ältere Damen servieren in weißen
Kittelschürzen Mittagstisch und warme Getränke. „Kremtorte und Kaffe“ drei
Euro.
Durch eine Schiebetür betritt man einen Gastraum, der hier Kaffeestube
heißt, und gerät in eine Welt aus Stickdecken und alten
Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Stadt. An einem kleinen Tisch sitzt Rothe,
nebenan ein paar Damen, die die Krankheiten von Freunden und Bekannten
durchgehen. Rothe, ein schmaler Typ um die 50, hat ein dünnes Heft dabei.
Darin verzeichnet sind die Pläne für den Umbau der Regionalschule. Rothe
blättert durch die Seiten, zeigt Fachräume für Musik und Kunst, eine Mensa
und das neue Gebäude für die Grundschüler.
Spricht Rothe über das Bauprojekt, scheint es, als wäre der erste
Spatenstich bereits beschlossene Sache. „Das Projekt ist meine private
Obsession“, sagt er. Und weil er die gerne teilt, schlägt er vor, die
Schule doch mal anzuschauen. „Das Gebäude ist einzigartig im Osten.“
Auf dem Weg zum Auto läuft er an einem hellen Eckhaus vorbei, an der
Außenwand hängt ein Praxisschild. Eine junge Frau, die aus Polen kommt und
in Penkun als Allgemeinärztin praktiziert. „Weil es hier so schön ist“,
sagt Rothe. Das Haus gehört ihm. Er hat es vor Kurzem sanieren lassen, auch
die Praxis. „Damit die Ärztin bleibt.“ Er hofft, dass sein Plan aufgeht.
## Deutschlandweit machen Schulen dicht
In der Schule angekommen, geht Rothe direkt auf die alte Wendeltreppe zu,
die die beiden Stockwerke verbindet. Er schaut nach oben. Sein Blick ist
fast verträumt. „Ist das nicht schön?“ Abbauen könne man immer, sagt Rot…
Aber eine Schule wiederaufbauen? Das sei schwierig.
Er klettert die Stufen hoch, durch die Fenster kann man die Hühner im
Nachbargarten sehen, läuft durch lange Flure, die in grellen Orangetönen
gestrichen sind. An den Wänden hängen Bilder der ehemaligen Schüler,
Klassen, deren Stärke man an einer Hand abzählen kann, grinsen in die
Kamera.
Nicht nur Netzel, Rothe und Penkun kämpfen um eine Schule. Deutschlandweit
machen Schulen dicht. Besonders betroffen ist der Osten des Landes, die
deutschen Randlagen. Zwischen 2004 und 2016 schlossen hier 31 Prozent der
öffentlichen Schulen. Das zeigt eine Studie des Thünen-Instituts in
Braunschweig. Nicht immer muss das Ende einer Schule automatisch das Ende
einer ganzen Stadt bedeuten. Trotzdem gehe etwas verloren. Zu diesem
Schluss kommen Wissenschaftler des Berlin-Instituts in einer Studie. „Die
Schule gehört wie der Kaufladen, die Kneipe, die Post oder das Amt zu den
Basisdiensten des Gemeinschaftslebens.“ Und warnen: „Alle anderen Probleme
des Bevölkerungsschwundes verschärfen sich mit der Schließung einer
Schule.“
Irgendwo an den orangenen Wänden ist auch Rothe verewigt. In einem Wandbild
seiner damaligen Kunstklasse. Er ist hier zur Schule gegangen, seine
Tochter ebenso. Die Regionalschule ist für ihn nicht nur ein Kostenfaktor,
sie ist vor allem ein Stück Erinnerung. Ein neue Ausstattung, hofft Rothe,
locke nicht nur junge Lehrer, sondern auch Familien in die Stadt.
## Rückkehr aus der Großstadt
Eine, die ihre Kinder in die Regionalschule schickt, ist Mandy Netzel.
Blond, Anfang 40 und Tochter von Ex-Bürgermeister Bernd Netzel. Nach
Feierabend sitzt sie bei ihrem Vater im Büro, ihre jüngste Tochter hockt
bei Opa auf dem Schoß. Sie machen Quatsch. Er und der „Sonnenschein“, wie
Netzel seine Enkelin nennt. Weil Mandy Netzel nach ihrer Ausbildung zur
Steuerfachgehilfin keinen Ausbildungsplatz fand, verließ sie Penkun. Sie
landete in Starnberg, in Bayern. Schön sei es da gewesen, sagt Netzel. Aber
auch weit weg. 2006 kam sie mit ihrem ersten Kind zurück. Heute arbeitet
sie in dem Steuerbüro, in dem sie ihre Ausbildung machte.
Touristisches Zentrum mit Alpenpanorama gegen Penkun, die Stadt ohne
Eiscafé, in der von den 20 Läden vor der Wende noch eine Handvoll
übriggeblieben sind. Der größte ist ein neuer Penny am Ortseingang. War die
Rückkehr die richtige Entscheidung, Frau Netzel?
„Das hier ist mein Zuhause.“ Mittlerweile hat sie zwei weitere Kinder, hat
zwei Häuser in Penkun gebaut und kann sich nicht mehr vorstellen, noch mal
woanders zu wohnen. Berlin? Niemals, sagt Mandy Netzel. Da sei es ihr zu
dreckig und die ganzen Menschen erst. „Da fahr ich nur zum Shoppen hin.“
Und mit einem Mal kommt es einem so vor, als sei hier das Zentrum, nicht
dort draußen, hinter den Winterfeldern.
Auch ihre beiden Geschwister ziehe es wieder in die Region, erzählt Mandy
Netzel. „Die sind damals auch weg“, sagt Bernd Netzel. „Die haben keine
Lust mehr auf Großstadt.“ Er wirkt ganz zufrieden damit.
Ab und zu fehle ihr schon was, gibt Mandy Netzel zu. Es sind Kleinigkeiten.
„Ein nettes Café.“ Und für jede Kugel Eis in den nächsten Ort zu fahren …
anstrengend. „Die Fahrerei nervt.“
Stunden im Auto, befürchtet sie, die mit einer Schließung der
Regionalschule noch mehr werden könnten. Mit dem Auto brauche man 30
Minuten zum neuen Schulcampus nach Löcknitz, erzählt Mandy Netzel. Mit dem
Schulbus vermutlich länger. Fahrzeit, die Mandy Netzel ihren Kindern gerne
ersparen würde.
## Kein Eiscafé, aber eine Schule
Stunden im Bus, das ist für viele Kinder in den deutschen Randlagen Alltag.
Wenn Schulen schließen, werden auch die Fahrzeiten für Kinder länger. In
Mecklenburg-Vorpommern gelten 60 Minuten für ältere Schüler als „zumutbar�…
So steht es in einem Gesetz, das den komplizierten Namen
Schulentwicklungsplanverordnung trägt. Nur: wer länger in die Schule
braucht, der ist auch unkonzentrierter. Das haben Studien herausgefunden.
Müde Kinder aus den Randlagen gegen gut konzentrierte aus den Zentren. Ist
das fair?
Wir müssen uns für Bildung einsetzen, sagt Bernd Netzel. Was er meint:
Penkun braucht vielleicht kein Eiscafé, aber eine Schule schon. Trotzdem
sind Vater und Tochter gegen eine Zusammenlegung der Schulen.
Sie wegen der Kinder: „Die Großen zusammen mit den Kleinen, das ist keine
gute Idee.“ Er wegen der Kosten. „Wir können uns noch nicht mal den
Eigenanteil leisten“, sagt Netzel senior. Und wenn es eine Förderung gäbe,
dann würde der Umbau mehrere Jahre dauern. Zu lange, fürchtet Bernd Netzel:
„Dann ziehen die Familien woandershin.“ Wenn es nach ihm ginge, würde die
Regionalschule einfach ein neues Dach bekommen, eine neue Ausstattung und
fertig.
Anders sieht das Antje Zibell, Netzels Nachfolgerin im Amt. Sie empfängt in
einem Sitzungsraum neben Netzels Büro. „Ich hab hier im Haus ein kleines
Kabuff, aber bin eh immer unterwegs“, kommentiert sie den Mangel eines
Büros. Bernd Netzel hat nicht nur den goldenen Schlüssel behalten.
## Was fehlt, ist Geld
Zibell trägt die braunen Haare kurz, ist energisch, redet schnell und
eindringlich, das Amt der Bürgermeisterin (CDU) passt gut zu ihr. „An das
neue Konzept für die Regionalschule lasse ich keine Luft“, sagt sie. Über
die Möglichkeit, dass die Stadt das Geld für die Zusammenlegung nicht
bekommt, will sie gar nicht erst reden.
Lieber spricht sie von der Zukunft Penkuns als Speckgürtel Stettins. Sie
hofft auf das Wachstum der anderen, um selber zu wachsen. Von der Randlage
zurück ins Zentrum. „Wir planen neues Bauland.“ Für junge Familien, die
nach Penkun ziehen.
Zibell hofft auf Zuzug, nicht nur wegen der Schule, auch wegen der Finanzen
der Stadt. Kommunen erhalten Gelder aus dem Länderfinanzausgleich. Der
Betrag richtet sich nach den Einwohnern, und wo weniger leben, fließt auch
weniger Geld.
„Ich hätte gerne mehr Geld, um die Stadt zu unterstützen“, sagt Zibell. D…
Stadt und ihre Bewohner, die einspringen, wo der Staat fehlt. Denn auch das
ist Penkun: nicht nur ein Beispiel für Engagement, sondern auch für
Menschen, die ehrenamtlich Aufgaben bewältigen, die der Staat erledigen
sollte.
20 Vereine gibt es in Penkun. Darunter sechs Angelvereine, einen Club für
Hühnerzüchter und einen sehr erfolgreichen Sportverein. Eine Bürgergruppe
verabredet sich regelmäßig, um den Spielplatz zu verschönern oder die
Wanderwege zu ordnen. Es gibt einen Jugendtreff, der seit den 1990ern von
freiwilligen Helfern betreut wird.
## Alle für Alle
Auch die kleine Stadtbücherei lebt vor allem von der Liebe zum Buch, nicht
von Fördergeldern. Die zwei Räume voller Bücher liegen direkt neben Netzels
Büro. Eine ältere Frau räumt Bücherstapel in Regale. Zweimal in der Woche
steht sie hier. Von 9 bis 16 Uhr. „Wir haben noch 30 Leser.“ Manchmal kommt
keiner, sie ist trotzdem immer da. Typisch Penkun eben. Wenn es kein
anderer macht, macht man es selber.
Spricht man mit der Landesregierung über die Regionalschule von Penkun,
kommt viel Positives. „Eine wunderschöne Stadt“, sagt Patrick Dahlemann am
Telefon. Er ist parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und
zuständig dafür, die Randlagen wieder ins Zentrum zu holen. Die Schule in
Penkun nennt er „existenziell wichtig“ für die Stadt. Die Millionen wären
gut investiert, sagt er. Konkreter wird er allerdings nicht. Penkuns
Zukunft bleibt ungewiss.
Im März wird das Café am Markt schließen. „Der Konsum wackelt auch“, sagt
Bernd Netzel. Er hat aber schon einen Plan: Er will einen Pendelservice
einrichten, vom Marktplatz zum Penny-Supermarkt. Vielleicht einmal die
Woche. „Wir sind da dran“, sagt Netzel. Es muss ja schließlich weitergehen.
12 Feb 2020
## AUTOREN
Gesa Steeger
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