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# taz.de -- Ai Weiwei über sein Exil in Deutschland: „Deutschland hat sich a…
> Der Künstler Ai Weiwei möchte sein Berliner Exil verlassen. Ein Gespräch
> über unfreundliche Taxi-Fahrer, die Arroganz von VW und einen Schatten
> auf der „deutschen Seele“.
Bild: Der Künstler Ai Weiwei fühlte sich in Deutschland glorifiziert. Das hat…
taz am wochenende: Ni hao.
Ai Weiwei: Ni hao.
Herr Ai, es heißt, Sie mögen den europäischen Brauch des Händeschüttelns
nicht?
Als ich gerade in Deutschland angekommen war, haben mir die Leute manchmal
die Hand gedrückt, bis die Knochen knackten. Inzwischen komme ich damit
klar.
Nach Ihrer Ankunft in Deutschland 2015 haben Sie gesagt, dass Sie
Deutschland lieben. Jetzt wollen Sie Deutschland den Rücken kehren. Was ist
passiert?
Über Deutschland zu sprechen, ist wirklich eine komplizierte Angelegenheit.
Für mich ist Deutschland immer noch die stärkste Stimme auf der richtigen
Seite der Geschichte, um Barack Obama zu zitieren. Auch im Umgang mit den
Flüchtlingen. Angela Merkel balanciert vieles aus. Sie hat keine Angst vor
den Donald Trumps dieser Welt. Das ist die eine Seite, die oberflächliche
Seite. Die andere Seite ist, dass [1][Angela Merkel elfmal in China] war.
Kein Staatsoberhaupt der Welt hat das je getan. Sie mag ja von der
chinesischen Kultur fasziniert sein, aber ganz wahrscheinlich geht es ihr
doch eher um das Überleben Deutschlands. Sie braucht einen starken Partner.
Und China ist zweifellos der begehrenswerteste Partner, den man heute haben
kann.
Trotz der Unruhen in Hongkong?
Die jungen Leute dort sind mutig und klug. Aber ich fürchte, sie haben
keine Chance. China wird früher oder später gewaltsam eingreifen. Und die
Leute im übrigen Teil des Landes interessieren sich kaum für sie. Es heißt
in China immer, dass zuerst der Wohlstand kommen muss. Aber niemand weiß,
was danach kommen soll. Besonders die [2][junge Generation] ist vollkommen
herzlos. Sie ist verloren. Sie interessiert sich nur noch für Autos.
Wo wir auch bei der deutschen Autoindustrie wären, der es nicht so gut
geht, wie man hört. Sie braucht den chinesischen Markt.
Exakt. Volkswagen verkauft 40 Prozent der Autos nach China. Gerade hat
Volkswagen eine neue Fabrik in Xinjiang gebaut.
In Xinjiang, wo gerade bis zu drei Millionen Menschen in
Internierungslagern eingesperrt sind – angeblich, weil sich dort der
Islamismus breit macht?
Ja, genau. Die Situation wird schlimmer und schlimmer. Mein Vater Ai Qing,
der Dichter, wurde Anfang der 1950er Jahre nach Xinjiang zwangsverschickt.
Das war während der Anti-rechts-Kampagne. Wir haben dort fünf Jahre lang in
einem Erdloch gelebt. Er musste täglich die Latrinen für 200 Menschen
leeren. Im Sommer war der Gestank unerträglich. Im Winter konnte die
Temperatur auf 40 Grad unter null sinken. Die Scheiße gefror zu riesigen
Pagoden. Jeder in China weiß, dass Xinjiang kein guter Ort ist, um
Geschäfte zu machen. Aber Volkswagen wollte der chinesischen Regierung
einen Gefallen tun. Der Konzern möchte dort Arbeitsplätze schaffen. Ich
kann nur sagen: Sie feiern da oben wirklich eine gute Party!
Haben Sie auch deshalb Volkswagen verklagt?
Ich habe in Kopenhagen eine Installation mit Schwimmwesten gezeigt, die auf
der Insel Lesbos nach der Rettung von Flüchtlingen am Strand liegen
geblieben waren. Volkswagen hat ein Auto in leuchtendem Orange im Programm,
sie parkten es vor der Installation und ließen es dort für eine
Werbeanzeige fotografieren. Das war taktlos. Als ich Volkswagen darauf
ansprach, reagierte man arrogant. Es hieß: „Wer kennt schon dieses
Kunstwerk?“ Wirklich verrückt.
Aber Volkswagen ist nicht Deutschland. Deutschland hat sich um Sie bemüht,
als sich Ihre Lage in China zuspitzte, als Sie 2011 ins Gefängnis kamen,
als Sie bis kurz vor Ihrer Ausreise nach Deutschland keinen Pass hatten.
Oder nicht?
Der damalige deutsche Botschafter, Michael Clauß, hat mich tatsächlich
jeden Monat einmal in meinem Pekinger Studio besucht. Keiner der 150
Botschafter in China hat das getan. Es hat mich sehr beeindruckt. Clauß hat
mir geholfen, aus China rauszukommen. Deutschland hat sich wirklich
angestrengt. Allerdings kann ich nicht klar erkennen, warum. Ich habe den
Eindruck, es ist für beide Seiten nur ein Spiel. Es ist ein Fake. Eine Art
Dekoration. Eigentlich geht es um Geschäfte.
Man hat Sie mit Ihrer Familie oft spazieren gehen sehen im Berliner
Stadtteil Prenzlauer Berg, wo Sie leben und arbeiten.
Ich war hier glücklich.
Sprechen Sie ein wenig Deutsch?
Leider nein. Allerdings ist mein Englisch auch nicht so gut. Und mein
Chinesisch auch nicht.
Also ist Ihr Alltag, sind die unfreundlichen Taxifahrer, die Sie anderswo
erwähnten, gar nicht der Grund für Ihren Entschluss, Deutschland zu
verlassen?
Ich weiß sehr wohl, dass diese Taxifahrer zur Folklore gehören. Ich weiß
ebenfalls, wie man ihnen begegnet. Das ist nicht der Punkt, auch wenn die
Presse das nach meiner Äußerung so dargestellt hat. Es gab eine Kolumne des
Chefkommentators der Welt, die wenige Tage nach besagtem Interview
erschien, in der er sich über mich lustig machte. In derselben Ausgabe der
Zeitung ist eine ganzseitige Werbeanzeige von Xinhua erschienen.
Von der Nachrichtenagentur der chinesischen Regierung?
Genau. Wissen Sie: Mein damals sechsjähriger Sohn war dabei, als wir zum
ersten Mal von insgesamt drei Malen aus einem Taxi geworfen wurden. Ich
wollte nicht, dass er sieht, wie aggressiv ich werden kann. Es geht hier
überhaupt nicht um mich selbst. Es geht ums Prinzip. Ich habe mich bei der
Antidiskriminierungsstelle beschwert. Ich mag es, durch das System zu
gehen. Ich habe auch in China viele Briefe an chinesische Behörden
geschrieben, obwohl ich natürlich weiß, dass das zu nichts führt. Ich habe
trotzdem meine Fragen gestellt. Ich besitze über 200 Antwortschreiben der
chinesischen Regierung. In allen steht, dass sie meine Fragen nicht
beantworten werden. Wunderschön. Ich stelle all diese Briefe gerade in den
Vereinigten Staaten aus. Ein New Yorker Journalist hat mich gefragt, warum
ich das immer wieder gemacht habe, obwohl ich doch weiß, dass dabei nichts
herauskommt.
Was haben Sie ihm gesagt?
Man muss immer wieder das Gute prüfen, genauso wie das Böse. Ich bin im
Exil groß geworden. Denken Sie, ich bin naiv? Jede Generation hat ihren
Job. Ich bin stolz darauf, dass ich meinen mache.
Wie hat die deutsche Diskriminierungsstelle denn auf Ihren Brief reagiert?
Sie hat geantwortet, dass sie nichts mehr für mich tun kann, weil ich mich
spätestens zwei Monate nach dem Vorfall hätte melden müssen. Meine Antwort
lautete: Diskriminierung hat keine Deadline. Unsere Erinnerung hat keine
Deadline.
Sie haben gesagt, dass Deutschland keine offene Gesellschaft sei. Was genau
meinen Sie damit?
Als ich in China war, hat die deutsche Presse über mich berichtet wie über
einen Helden des Antikommunismus. Als sei ich die einzige kritische Stimme
im Land. Seit ich raus bin und mich künstlerisch vor allem mit der
Situation der Flüchtlinge beschäftige, hat das Interesse nachgelassen.
Dabei sind Sie selbst ein Flüchtling, nicht wahr?
Ja.
Im Jahr 2009 haben Sie die Fassade des Hauses der Kunst in München mit
9.000 Rucksäcken bestückt. Sie wollten an die Schulkinder erinnern, die
2008 beim Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan unter den Trümmern
ihrer maroden Schulen gestorben sind. Die Aktion wurde von der Kritik viel
gelobt. 2016 hüllten Sie die Säulen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in
die Schwimmwesten der Flüchtlinge, die Sie später in Kopenhagen noch einmal
benutzten. Das kam weniger gut an. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich verstehe das nicht, bis heute nicht.
Verstehen Sie die Kritik an dem Foto, auf dem Sie versuchten, das Foto des
ertrunkenen syrischen Jungen Aylan Kurdi nachzustellen, das 2015 um die
Welt ging?
Das Foto war eine Kritik. Wir haben bei unseren Recherchen auf Lesbos jeden
Tag tote Menschen gesehen. Aylans Bruder wurde 50 Meter weiter gefunden,
ebenfalls ertrunken. Aber von ihm gab es kein Foto. Aylan wurde eine
universelle Obsession. Vielleicht, weil er auf dem Foto wie ein weißer
Junge aussieht. Vielleicht, weil er Kleider in den Farben von Pepsi trug:
rot und blau. Oder auch nur, weil er aussieht, als schliefe er. Die
Menschen brauchten einen Grund zu weinen.
Verstehen Sie nicht, dass das auf viele pietätlos wirkte?
Ich finde, Künstler dürfen alles. Die Kunst ist frei.
Warum ist Ihr Dokumentarfilm „Human Flow“ über die Flüchtlinge nicht so g…
aufgenommen worden?
Ich habe für diesen Film 40 Flüchtlingslager in 23 Ländern besucht und mehr
als 360 Interviews geführt. Und ich habe so gut wie keine Interviewanfrage
aus Deutschland erhalten, als der Film fertig war. Dabei sind die deutschen
Medien die kritischsten der Welt. Selbst in China haben mich alle großen
Medien um ein Interview gebeten, als es um die Kinder in Sichuan ging.
Selbst in China!
Und wie hat das Publikum den Film aufgenommen?
Der Film hatte in Deutschland im Vergleich mit allen anderen europäischen
Ländern, in denen er lief, die schlechtesten Zuschauerzahlen.
Kann es sein, dass der Film mit 200 Minuten einfach zu lang war? Das ist ja
nicht gerade gute Unterhaltung für den entspannten Feierabend.
Ich möchte da nicht so in die Tiefe gehen, aber ich glaube wirklich, dass
auf der deutschen Seele ein Schatten liegt. Und oft tun die Deutschen sehr
viel dafür, diesen Schatten nicht anzurühren. Das ist falsch. Jede
Gesellschaft kennt dunkle Flecken. Selbst Verbrechen sind menschlich. Wir
sollten uns mit diesen beschäftigen. Ich will Ihnen ein anderes Beispiel
nennen: Vor Kurzem habe ich eine Anfrage von einem deutschen Museum
bekommen, ob ich mich an einer Ausstellung über Elefanten beteiligen
möchte. Ich habe vorgeschlagen, mich mit der Asche toter Elefanten
auseinanderzusetzen. In Afrika wird ja immer wieder Elfenbein verbrannt,
wegen der Wilderei. Der Kurator, ein sehr kluger Intellektueller, wurde
plötzlich nervös. Er fand, man sollte keine Asche zur Sprache bringen. Das
könne die Leute zu sehr an den Zweiten Weltkrieg erinnern.
Sind wir nun bei der schwierigen Schuldfrage angelangt?
Diese Frage sollte Geschichte sein. Wir leben im 21. Jahrhundert! Ich
denke, wir sind moderne Menschen und haben die Möglichkeit, unsere
Positionen zu korrigieren. Wir strukturieren uns durch Wissen. Keiner wird
schlecht geboren.
Aber können Sie nicht ein wenig nachsichtig mit uns Deutschen sein?
Ich habe mich nach all diesen Erlebnissen immer öfter gefragt: Warum bin
ich hier? Ich bin 63. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich brauche einen
Ort, an dem ich mich frei ausdrücken kann. Und an dem meine Stimme gehört
wird. Warum bin ich wohl an all diese Orte gereist, nach Gaza, nach
Griechenland, in die Türkei, nach Bangladesch? Ich will Kommunikation. Ich
will nicht als Held wahrgenommen werden, sondern als Kämpfer.
Warum liebten Sie die Deutschen so, als Sie noch in China waren?
Die Deutschen lieben Helden.
Kann es sein, dass Sie für die Deutschen eine Art Projektionsfläche waren?
Sie meinen, dass sie mich nutzen konnten, um sich wie die größten
Verteidiger der Menschenrechte zu fühlen?
Ja.
Das ist möglich. Die Deutschen verstehen nicht, dass ich nach wie vor für
die Menschenrechte und die menschliche Würde kämpfe, wenn ich mich mit
Flüchtlingen beschäftige. Sie verstehen nicht, dass mein Thema die
Ungerechtigkeit ist, ganz egal, wo sie geschieht. Dass ich eben einfach so
ein Mensch bin.
Was sind Sie denn für ein Mensch?
Ich kann einfach nicht anders. Die Welt dreht sich weiter und ich werde sie
nicht aufhalten. Ich bin nur einer von vielen. Ich bin nicht immer sehr
umgänglich. Ich mache ein bisschen Lärm. Na und? Wundert es Sie wirklich so
sehr, dass ich keine Lust habe zu jubeln und immer wieder zu betonen, wie
dankbar ich doch bin, in so einer tollen, liberalen und multikulturellen
Stadt voller Kultur zu leben, die wir alle sehr lieben?
Das ist wirklich nicht verwunderlich. Aber welche Pläne haben Sie denn
jetzt?
Ich bin dumm. Ich habe angekündigt, Deutschland zu verlassen, aber ich habe
noch gar keinen Plan! Mein Sohn wird künftig in Cambridge zur Schule gehen.
Ich werde ihn dort hinbringen, aber nicht bleiben. England hat weitaus
größere Probleme als Deutschland. Ich werde mein Studio in Berlin behalten,
aber die Stadt verlassen und wieder ein Reisender zwischen den Welten sein.
Hatten Sie nie Sehnsucht nach einer Art Heimat?
Ich weiß gar nicht, was das ist. Stattdessen bin ich gut dafür gerüstet,
ein Staatsfeind zu sein. Machen Sie sich keine Sorgen um mich.
3 Sep 2019
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## AUTOREN
Susanne Messmer
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