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# taz.de -- Doku über Ai Weiweis Oper: Alles ist Kunst – und Politik
> Der Künstler Ai Weiwei mag keine Opern und hat doch eine inszeniert. Der
> Dokumentarfilm „Ai Weiweis Turandot“ erzählt von den widrigen Umständen.
Bild: Herrschende und Unterdrückte: eine Szene aus Ai Weiweis „Turandot“-I…
Obwohl sein Titel anderes vermuten lässt, hat dieser Film nur am Rand mit
Musik zu tun. Das liegt nicht nur an seinem zentralen Protagonisten, der
gleich zu Beginn verkündet, er möge Opern nicht und höre auch fast nie
Musik. Etwas weniger überspitzt äußert Ai Weiwei sich beim Zusammentreffen
mit dem Ensemble des Teatro dell’Opera di Roma, an dem er [1][Giacomo
Puccinis „Turandot“] inszenieren soll: „Ich mag es, Dinge zu tun, in denen
ich nicht gut bin“.
Eigentlich ist er in vielen Dingen gut, die bei einer Opernproduktion
gebraucht werden, und um das, was er nicht kann, kümmern sich ja die
anderen. Zu diesen gehört die Choreografin Chiang Ching, eine Freundin von
Ais Familie, die schon seinen Vater, den regierungskritischen Dichter Ai
Qing, gut kannte. Ein jahrzehntealtes Foto wird eingeblendet: Junge
Menschen sitzen um einen Tisch, ein Baby ist dabei, das muss wohl der
kleine Weiwei sein.
[2][Der große Weiwei], auch daran erinnert der Film, legte sich später
ernsthaft mit der chinesischen Führung an, als er nach dem verheerenden
Erdbeben in Sichuan von 2008 die Namen von Toten sammelte, die die
Regierung nicht veröffentlichen wollte – Abertausende von Kindern waren
gestorben, weil Schulgebäude nicht erdbebensicher gebaut worden waren –,
und ein großes internationales Kunstprojekt daraus machte. 2011 wurde Ai
verhaftet und saß fast drei Monate im Gefängnis, auch daraus wurde später
Kunst.
Chiang Ching zuliebe habe er der römischen Oper zugesagt, sagt Ai, aber zum
Teil auch wegen des Stoffes; denn 33 Jahre zuvor hat er als Statist in
[3][Franco Zeffirellis] „Turandot“ an der New Yorker Met mitgewirkt. Auch
damals gehörte Chiang Ching als Choreografin zum Team.
Nun, 33 Jahre später in Rom, schreibt man das Jahr 2020, und in den
Probenbetrieb platzt die Hiobsbotschaft, dass das Theater coronabedingt
schließen muss. Das sei in den 140 Jahren seines Bestehens noch nie
passiert, sagt, um Gelassenheit bemüht, der Direktor, sogar während der
Spanischen Grippe sei gespielt worden. Ai Weiwei sagt, als Künstler nicht
arbeiten zu können, fühle sich so an, als würde einem das Haus über dem
Kopf abgerissen. Der Film blendet über zu Szenen vom Abriss seines
einstigen Ateliers in Peking.
## Überfall Russlands auf die Ukraine
Regisseur Maxim Derevianko, der damit seinen ersten Langfilm vorlegt, wird
zu Beginn des Projekts andere Vorstellungen über thematische Schwerpunkte
gehabt haben als am Ende herausgekommen ist. Während der Arbeit an der
Opernproduktion schlug das Weltschicksal gleich zweimal zu; denn kurz
nachdem die Proben endlich wieder aufgenommen werden konnten, überfiel
Russland die Ukraine.
Dirigentin Oksana Lyniv, beinahe zu Tränen bewegt nach einer Chorprobe,
während der die SängerInnen mit großem Abstand zueinander im Probensaal
saßen, erzählt, dass ihre Eltern nicht zur Premiere kommen könnten wegen
des Krieges. Als es so weit ist, tritt sie mit blaugelber Schärpe um die
Taille auf.
Ai Weiwei hat als Bühnenbild eine 3D-Weltkarte geschaffen, auf der die
Herrschenden oben und die Unterdrückten unten platziert sind. Um das
Verhärtete der Situation zu verbildlichen (Turandot ist die, die all ihre
Freier zu köpfen pflegt), lässt er die Singenden statuarisch auf der Bühne
stehen, während ein chinesischer Operndarsteller die Emotionen der Figuren
in Bewegung übersetzt. Videoprojektionen von politischen und menschlichen
Katastrophen der letzten Jahrzehnte laufen im Hintergrund.
Von Ais Konzept vermittelt der Film eine gute Vorstellung, von der
Inszenierung werden nur kurze Schnipsel gezeigt. Das geht in Ordnung, denn
durch die Lage der Dinge ist es weniger ein Film über eine politisch
interpretierte „Turandot“ geworden als vielmehr eine Dokumentation über die
Herausforderungen künstlerischer Arbeit in politisch sehr prekären Zeiten.
Ein echtes Zeitdokument eben.
20 Oct 2025
## LINKS
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[3] /Zum-Tod-von-Franco-Zeffirelli/!5603119
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Dokumentarfilm
Oper
Ai Weiwei
Schwerpunkt Coronavirus
Musiktheater
Ai Weiwei
Benito Mussolini
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