# taz.de -- Zum Tod von Franco Zeffirelli: Die erlösende Kraft des Stars | |
> Barocke Kulissen, gefährliche Nostalgie: Opern- und Filmregisseur Franco | |
> Zeffirelli ist tot. Er galt als letzter Bewahrer hemmungsloser | |
> Kunstwerke. | |
Bild: Franco Zeffirelli 2004 | |
Man stelle sich vor, man habe als international gefeierter Regisseur die | |
Möglichkeit, einen Spielfilm über die eigene Jugend, die man als | |
unehelicher Sohn im faschistischen Florenz der 1930er Jahre verbrachte, zu | |
drehen. Wen würde man in einem solchen Werk, das von aufflammendem | |
Rassismus, Brutalität und rücksichtsloser Kulturzerstörung erzählt, in den | |
Hauptrollen besetzen? | |
Franco Zeffirelli lässt in „Tee mit Mussolini“ ausgerechnet Lilly Tomlin, | |
Maggie Smith, Judy Dench, Joan Plowright und Cher gegen den Duce zu Felde | |
ziehen. Ja, nur echte Diven können filmisch über Kulturfaschismus siegen | |
und lassen die Zeitgeschichte dabei blass aussehen. | |
Zeffirelli glaubte an die erlösende Kraft des Stars, an Elizabeth Taylor | |
und Richard Burton in der Shakespeare-Adaption „Der Widerspenstigen | |
Zähmung“, an Charlotte Gainsbourg in „Jane Eyre“ oder Jon Voight in „T… | |
Champ“. Das konsequente Verklären eines Stars, ihm zuweilen naive Momente | |
des puren Erscheinens zu schenken, lässt einen echten Zeffirelli-Film | |
zumeist in Kitsch kippen. Entfesselt zugleich aber auch einen | |
darstellerischen Furor wie in seiner Adaption von „Romeo und Julia“. | |
Die Unterordnung unter einen Star rückt Zeffirelli zugleich in die | |
Tradition Giuseppe Verdis, der seinen Operngestalten auch verklärende | |
Finali schenkte. Mit Verdi und Puccini feierte Zeffirelli, nachdem er von | |
Luchino Visconti als Regieassistent für „Die Erde bebt“ 1948 entdeckt und | |
danach gefördert wurde, an den großen Opernhäusern enorme Erfolge, mit | |
überragenden Gestalten wie Maria Callas oder Joan Sutherland. Seine | |
Inszenierung von „La Bohème“ steht seit 1962 auf dem Spielplan der Wiener | |
Staatsoper. | |
## Leidenschaft für Gewissenlosigkeiten | |
Und wehe dem Intendanten, der eine Zeffirelli-Inszenierung aus dem Programm | |
nehmen will, den erwartet der Zorn des Publikums, so geschehen in der Met | |
in New York. Der Beifall braust zumeist beim Anblick der überbordenden | |
Kulissen auf. Zeffirellis üppige Bühnenbilder sind Frachtkähne der | |
Operngeschichte, die er auch auf die Kinoleinwände zu steuern wusste, | |
scheinbar mit voller Kraft zurück. Allein in dem Klang seines Namens liegt | |
das Versprechen auf etwas Flirrendes, auf eine betörende Beschwörung alter | |
Zeiten. | |
„Tee mit Mussolini“ ist voll naiver, nahezu gefährlicher Nostalgie. In der | |
durch die Augen der britischen Damen gesehenen und verklärten toskanischen | |
Landschaft wirken die Schwarzhemden wie Eindringlinge, nicht wie deren | |
Produkt. | |
In „Il giovane Toscanini“ gelingt es einer alternden Operndiva (Liz | |
Taylor), die Sklaverei in Brasilien allein über Verdis „Aida“ zu | |
skandalisieren. Zeffirellis Leidenschaft für Gewissenlosigkeiten ließ ihn, | |
der sich gern als Luxus liebenden Schwulen präsentierte, gegen die | |
schwingenden Hüften der Schwulenbewegung wettern und in die Partei | |
Berlusconis eintreten, für die er sogar im Parlament saß. | |
Seinem Nachruhm als letzter Bewahrer hemmungsloser Kunstwerke wird dies | |
keinen Abbruch tun. Dass der Regisseur ein Nachfahre Leonardo da Vincis | |
war, festigte das Bild, ein bewahrungswürdiges Relikt aus einer Zeit zu | |
sein, als Italien ein Schönheitsmonopol für sich in Anspruch nehmen konnte. | |
Franco Zeffirelli verstarb am Samstag mit 96 Jahren nach langer Krankheit, | |
eine Woche bevor seine Neuinszenierung von „La traviata“ die populäre | |
Opernsaison in der Arena von Verona eröffnen wird. | |
16 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Stephan Ahrens | |
## TAGS | |
Benito Mussolini | |
Oper | |
Film | |
Daniel Barenboim | |
Berliner Volksbühne | |
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