# taz.de -- „Staatsoper für alle“: Ein scharfer Nachgeschmack | |
> Gratiskonzerte im Freien: Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der | |
> Staatsoper, bekam gerade seinen Vertrag bis 2027 verlängert. Muss das | |
> sein? | |
Bild: Daniel Barenboim und die Staatskapelle bei der „Staatsoper für alle“… | |
Hier in Berlin verlängert sich erst einmal alles. Das Warten auf die | |
Eröffnung des Flughafens Schönefeld sowieso, desgleichen jetzt das Warten | |
auf die Eröffnung des Humboldt Forums. Daneben verlängert sich an der | |
Volksbühne, in Teilen zumindest, die Ära Castorf durch den jüngst ernannten | |
Intendanten René Pollesch. Und an der Staatsoper verlängert sich der | |
Vertrag für dessen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim bis 2027. | |
Seit dem Jahr 2000 schon ist der 76-Jährige bei der in der Oper | |
residierenden Staatskapelle Dirigent auf Lebenszeit. Wenn sein Vertrag | |
schließlich ausläuft, wird er 35 Jahre an der Spitze des Hauses verbracht | |
haben, das an diesem Wochenende wieder mit der [1][„Staatsoper für alle“] | |
zu Gratiskonzerten unter freiem, wenngleich womöglich nicht wolkenfreiem | |
Himmel lädt. | |
Barenboim ist einer der bemerkenswertesten Künstler, die in Berlin wirken. | |
Dessen ist er sich durchaus bewusst. Dass er zu den alten weißen Männern | |
gerechnet werden muss, ändert wenig an seiner Bedeutung. | |
Vielmehr könnte man sogar sagen, dass es sich bei guten Dirigenten ein | |
bisschen verhält wie bei guten Rotweinen. Sie werden über die Jahre eher | |
noch besser. Das mag, bei den Dirigenten, mit dem Umbau des Gehirns im | |
Alter zu tun haben, durch den man zunehmend in der Lage ist, komplexe | |
Strukturen zu bewältigen. Und so ein Orchester und die Partitur, nach der | |
es zu spielen hat, sind hochkomplexe Angelegenheiten, die unter anderem | |
eine Art Multitasking beim Hören erfordern. | |
## Verständigung im Nahostkonflikt | |
Barenboim ist für diese Aufgaben zweifellos geeignet. Man könnte den Rest | |
des Artikels zum Beleg locker mit seinen diversen Preisen vollschreiben, | |
doch das wäre keine besonders ergiebige Lektüre. Dass er 2015 in den Orden | |
„Pour le Mérite“ aufgenommen wurde, wäre immerhin eine der aktuellsten | |
Auszeichnungen. Vor wenigen Tagen haben ihn die Berliner Philharmoniker | |
zudem zu ihrem ersten Ehrendirigenten ernannt. | |
Neben seinen Verdiensten um die Musik hat er sich wiederholt und bis heute | |
um Verständigung im Nahostkonflikt bemüht. Das 1999 mit dem | |
palästinensischen Intellektuellen Edward Said gegründete West-Eastern Divan | |
Orchestra ist ein Resultat dieses Engagements, ebenso die 2015 gegründete | |
Barenboim-Said-Akademie. | |
Ein scharfer Nachgeschmack bleibt dennoch, und zwar von den Vorwürfen, die | |
frühere Musiker der Staatskapelle im Frühjahr gegen Barenboim und seinen | |
Führungsstil erhoben hatten. Das in den Medien darauf entstandene Bild ließ | |
an ein beständiges Klima der Angst und Demütigung unter Barenboims | |
Taktstock denken. Es mag zwar ein bisschen Aussage (kritisch: ehemalige | |
Orchestermitglieder) gegen Aussage (positiv: Orchestervorstand) stehen. | |
Hinter alledem bloß eine Schmutzkampagne zu vermuten, wie Barenboim die | |
Kritik charakterisierte, fällt bei der Vielzahl der Stimmen jedoch schwer. | |
Dass Künstler mitunter schwierige Persönlichkeiten sind, ist dabei keine | |
Neuigkeit. Wie schwierig sie sein dürfen, wenn sie Untergebene zu | |
befehligen haben, wäre aber eine zu führende Debatte. Zumal die Ära der | |
autoritären Führungspersönlichkeiten allmählich an ihr Ende gelangt ist. | |
## Kleine Ironie am Rand | |
Der Erfolg, auch der finanzielle, den Barenboim seinem Orchester ermöglicht | |
und jetzt noch weitere acht Jahre lang bescheren kann, hat, so lässt sich | |
womöglich zusammenfassen, anscheinend seinen Preis. Dass ausgerechnet | |
Kultursenator Klaus Lederer von der Linken diese kostspielige Kontinuität | |
perpetuiert hat – seit 2001 bezieht das Orchester etwa eine von Gerhard | |
Schröder bewilligte „Kanzlerzulage“ –, ist eine kleine Ironie am Rand. A… | |
eines der ältesten Orchester der Welt hat man halt seine Ansprüche. | |
Irgendwann, irgendwann wird es selbstverständlich eine Zeit nach Barenboim | |
an der Staatsoper geben. Manches wird für das Haus dann vielleicht | |
schwieriger. Insbesondere, wenn sich niemand gefunden haben sollte, der | |
Barenboim als internationales Aushängeschild ersetzen kann. Bis der Tag | |
gekommen ist, dürfen alle erst einmal feiern. | |
15 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.staatsoper-berlin.de/de/spielplan/staatsoper-fuer-alle/ | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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