# taz.de -- Premiere in der Berliner Staatsoper: Die Verschwörung in den Noten | |
> Shakespeare im Reihenhaus: David Bösch hat „Die lustigen Weiber von | |
> Windsor“ von Otto Nicolai an der Staatsoper in Berlin neu inszeniert. | |
Bild: Große Opernkunst: René Pape mit hängendem Theaterwanst ist Falstaff, M… | |
BERLIN taz | Vor nunmehr 170 Jahren schien Otto Nicolai am Ziel seiner | |
Wünsche zu sein. Er dirigierte Unter den Linden in Berlin die erste | |
vollständige Aufführung seiner Oper, die er in Wien zu schreiben begonnen | |
hatte. Als Dirigent von Beethovens Symphonien war er dort hoch angesehen. | |
Man verzieh ihm dafür sogar seine offenkundige Liebe zum verpönten | |
italienischen Belcanto, aber Nicolais eigene neue Oper wollte der Intendant | |
der Wiener Hofoper nun doch nicht haben. Nicolai kündigte umgehend als | |
Kapellmeister und kehrte nach Berlin zurück. | |
Die Märzrevolution von 1848 hatte zwar auch hier um sich gegriffen, aber | |
der kunstsinnige Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. wollte den Musiker | |
unbedingt an seiner Hofoper haben. 1849 war die alte Ordnung wieder so weit | |
hergestellt, dass die Uraufführung einer deutschen Komödie nach der Vorlage | |
von Shakespeares „The Merry Wives of Windsor“ stattfinden konnte. | |
Sie war ein Erfolg. Zwei Monate danach erlitt Nicolai einen Schlaganfall | |
und verstarb. Er ist nur 39 Jahre alt geworden und überlebt hat ihn nur | |
dieses eine Werk, das er „komisch-phantastische Oper“ nannte. | |
## Rache der Hausfrauen | |
Am Donnerstag, 3. Oktober, hat ihm in Berlin die Staatsoper, wie der Ort | |
der Uraufführung heute heißt, ein Denkmal gesetzt. Das ist dringend nötig. | |
Allgemein bekannt sind Nicolais „Lustige Weiber“ zwar dem Namen nach, | |
Aufführungen jedoch sind selten. Daniel Barenboim und David Bösch haben den | |
Staub weggefegt und stellen ein absolutes Meisterwerk vor, dem das Alter | |
nichts anhaben kann. Nicolai übersetzt Shakespeare so vollendet in seine | |
musikalische Sprache, dass die Komödie um den einsamen Säufer Falstaff und | |
die Rache der Hausfrauen ihre ganze, melancholische Tiefe entfalten kann. | |
Es beginnt schon mit der Ouvertüre – Barenboim lässt seine Staatskapelle | |
sanft hineingleiten in eine Zauberwelt musikalischer Vielfalt. Traditionen | |
verschränken sich, Haydn, Beethoven klingen nach, Bellini auch, mal | |
verträumt, dann dramatisch. Alles glaubt man schon gehört zu haben, nur | |
noch nie so und noch nie so elegant und leicht. | |
Verdienter Applaus im Saal, der Vorhang geht hoch und jetzt ist wirklich | |
alles genau so, wie wir es bis zum Überdruss kennen. Zwei einstöckige | |
Fertighäuser aus dem billigsten Baumarkt stehen auf der Bühne, | |
Wäschespinnen und Grillrost im Vorgarten. Mandy Fredrich (aus Rädigke im | |
Fläming) hat im Morgenmantel die Post aus dem Briefkasten geholt: ein | |
Liebesbrief von [1][Sir John Falstaff] an Frau Fluth. Sie singt ihn vor, | |
auf einem einzigen Ton. | |
Dann legt sie los, singendes Schauspiel einer ganz gewöhnlichen Hausfrau in | |
der Vorstadt, der es jetzt einfach mal reicht mit diesen Männern, den | |
eigenen eingeschlossen. Michaela Schuster (aus Fürth), die Nachbarin, hat | |
auch einen Brief bekommen. Von Sir John Falstaff an Frau Reich. Sie steckt | |
sich eine Zigarette an. Nicolai hat Shakespeares Verschwörung den beiden | |
so lebendig und realistisch in die Noten geschrieben, dass sie mit ihrer | |
ganzen Kunst nicht nur singen, sondern auch herzlich lachend spielen | |
können. | |
## Plumps in den Plastikpool | |
Damit ist schon alles gewonnen. Zum Glück hat Bösch darauf verzichtet, die | |
drastische Aktualisierung seines Bühnenbildners Patrick Bannwart mit | |
Didaktik zu überfrachten. Er hat zwar die gesprochenen Passagen | |
umgeschrieben, aber nur, um alltagstaugliche Zitate unterzubringen. | |
Grönemeyers „Männer“ zum Beispiel. Gemeint ist René Pape mit langem | |
Rockerhaar und überhängendem Theaterwanst. Sein Falstaff kommt aus der | |
Suffkneipe nebenan und landet hinter den Reihenhäusern im vermüllten | |
Plastikpool. Bei Shakespeare war es die Themse. | |
Nicolai hat ihm ein Strophenlied über das Trinken geschenkt – wenn Pape es | |
singt, wird es zur Klage über ein gescheitertes Leben. Nicht ergreifend, | |
aber glaubwürdig wie immer bei Pape. Dann kommt auch noch Michael Volle | |
dazu, der Herr Fluth, ein mordlustiger Wutbürger, der vor Eifersucht rast. | |
Auch an der Staatsoper hat Volle letztes Jahr den Falstaff von Verdi | |
gesungen. Er könnte mit Pape die Rollen tauschen und so wird Nicolais Duett | |
der beiden Männer, die einander betrügen, zum Inbegriff all dessen, was man | |
„große Oper“ nennen möchte. Das ist sie wirklich und vielleicht sogar nä… | |
bei Shakespeare als in der Version von Arrigo Boito, die Verdi vertont | |
hat. Verdi liebte den Fettsack als Rebellen, Nicolai nicht. Die Frauen sind | |
es, die das Stück zu Ende bringen. | |
## Auflösung ins Unwirkliche | |
Sie locken den Falstaff zu ihrem dritten Streich in den Wald. Die | |
Fertighäuser weichen zur Seite für das teleskopische Bild des Mondes, der | |
riesengroß mit seinen Kratern und Wüsten in die schwarze Nacht aufsteigt. | |
Hier, im Anblick des Weltraums, finden vor allem Fenton und Anna, | |
Shakespeares junges Paar, endlich zueinander. Pavol Breslik und Anna | |
Prohaska hatten zuvor Mühe, mit Luftgitarre und Drogenbesteck ihre zum | |
Klischee reduzierten Rollen zu füllen. Jetzt aber löst sich alles auf ins | |
Überirdische und Unwirkliche. Alle tragen Masken. Ein Elfenchor singt die | |
Sage eines mythischen Jägers. | |
Im Orchester flirrende und zirpende, auf der Bühne tanzende Mücken und | |
Wespen piesacken den Falstaff, der hier gar nicht sein darf. Dann ist der | |
Spuk vorbei, die Reihenhäuser kehren zurück. Aber auch sie sind keine | |
Heimat mehr, jetzt sind sie nur noch trostlos. Die Frauen verzeihen den | |
Männern, der Kampf gegen sie lohnt sich nicht mehr. Pape sitzt alleine auf | |
dem Rand des Pools im Hinterhof. Es ist traurig. Es ist Shakespeare. Und | |
es ist Otto Nicolai. Wer hätte das gedacht? Die große Oper eines Meisters, | |
der viel zu früh gestorben ist. | |
5 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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