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# taz.de -- Saisonstart an der Komischen Oper: Die Männer und die Geschlechter
> Vladimir Jurowski dirigiert „The Bassarids“, während Barrie Kosky das
> Licht im Saal brennen lässt. Wirklich überzeugen kann das nicht.
Bild: Szene aus Hans Werner Henzes „Die Bassariden“ in der Komischen Oper
Mit maximaler Größe wollte die Komische Oper in die neue Spielzeit
aufbrechen, und „The Bassarids“ von Hans Werner Henze sind dafür eine
wirklich gute Idee. Allein die Streicher, das Schlagzeug und die Harfen
füllen den Orchestergraben bis zum Rand, die Blech- und Holzbläser müssen
auf der linken und rechten Seite der Bühne Platz nehmen. Dazwischen steht
in antiker Erhabenheit ein Chor, der gar nicht groß genug sein kann.
Viel Platz, um Theater zu spielen, ist da allerdings nicht mehr, und der
Text von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman, dem literarischen
Liebespaar, das Henze in Italien kennengelernt hatte, gibt auch nicht viel
Anlass dazu. Die britisch-amerikanischen Librettisten, die zuvor schon für
Strawinsky „The Rake’s Progress“ geschrieben hatten, griffen auf „Die
Backchen“ zurück, die letzte Tragödie von Euripides.
Sie verhandelt die Frage, wie die attische Herrschaft mit dem um sich
greifenden asiatischen Kult des Dionysos umgehen solle, dem „Rufer“, wie
das Wort „Bakchos“ zu übersetzen ist, der zu Volksfesten des Rausches und
der Lust verführt. Pentheus, der junge König von Theben, will sie strikt
verbieten, sein Großvater Kadmos warnt davor, gerade diesen Gott zur Rache
zu reizen.
## Der Kampf von Männern mit ihrem Geschlecht
Vergeblich bei Euripides: König Pentheus wird von seiner eigenen Mutter im
Rausch zerfleischt, Dionysos höchstpersönlich lässt den Königspalast
niederbrennen. So auch bei Auden und Kallman, aber bei ihnen zerfließt der
damals wie heute brandaktuelle politische Diskurs der Tragöde zu einem
metaphorisch aufgeladenen, epischen Gedicht über den Kampf von Männern mit
ihrem Geschlecht. Dionysos verführt den Mann Pentheus wie eine Frau, beide
zusammen tragen mit langwierigen Dialogen die Botschaft vor, dass wir immer
beides seien, Rausch und Vernunft, Mann und Frau.
Das mag wirklich so sein, nur ist es kein Drama, bei den alten Griechen
schon gar nicht, die es damit nie so genau nahmen. Das kann man bei Plato
nachlesen und auch bei Euripides, wo der blinde Seher Teiresias auftritt,
der alle paar Jahre sein Geschlecht wechselt. Henze jedoch macht aus den
jetzt verinnerlichten Triebschicksalen des ehemaligen Dramas pure Musik.
Keine Oper, sondern eine riesige Symphonie in vier Sätzen, zweieinhalb
Stunden lang und ohne Pause zu spielen, weil er sich ausströmen und seiner
Sehnsucht nach Schönheit nachgeben will.
Dafür hat Barrie Kosky den Dirigenten Vladimir Jurowski engagiert, mit dem
er vor vier Jahren Schönbergs „Moses und Aron“ produziert hatte, eine
Inszenierung, die Maßstäbe an Intensität und Aktualität gesetzt hat.
Jurowski macht es auch jetzt wieder sehr gut. Er hält den riesigen Apparat
aus Instrumenten und Stimmen sicher zusammen und so ist ganz ohne Zweifel
genau das zu hören, was sich Henze vorgestellt hat.
## Henzes Ölbad aus fetten Harmonien
Es ist Musik, die wie eine Tapete mit sehr viel Kleister auf die handelnden
Figuren geklebt ist, satt vor Farbe, fugenlos und fest. Jens Larsen als
Kadmos, Günter Papendell als Pentheus und der indische Gasttenor Sean
Panikkar als Dionysos können sich gelegentlich daraus befreien und ihren
Rollen Gestalt geben. Aber das sind kurze Momente, bevor sie wieder
untergehen in Henzes Ölbad aus fetten Harmonien und melodisch kurzatmigen
Deklamationen.
1992 war dem inzwischen 66 Jahre alten Henze seine Erstfassung von 1964
selbst zu viel geworden. Er hat sie gekürzt, eingedampft, und das
ursprünglich in den dritten Satz eingefügte Satyrspiel „Das Urteil der
Kalliope“ gleich ganz gestrichen. Daran hat sich Jurowski zum Glück nicht
gehalten. Das 20 Minuten lange, tatsächlich komische Maskentheater bringt
frische, fast schon mozartische Luft in den übrigen Dunst des Triebstaus.
Vor allem die Sängerinnen Tanja Ariane Baumgarten und Vera-Lotte Boecker
leben auf, fröhlich unterstützt von Ivan Turšic und Tom Erik Lie.
Aber auch diese Erholung währt nicht lange. Wo bleibt Kosky? Bekanntlich
ist er selbst ein guter Musiker. Er hört einfach nur zu. Euripides wäre ein
Fest für jeden Regisseur, aber das hier ist eine Symphonie für leidende
Männer. Was soll er tun? Jens Larsen könnte wahrscheinlich auch den
Fahrplan der U-Bahn zur großen Szene machen. Hier rollt er verzweifelt die
Freitreppe herunter, mit der die Bühnenbildnerin Katrin Lea Tag eine antike
Kulisse imitiert.
## Es kann jetzt nur noch besser werden
Meistens stehen dort die Sängerinnen und Sänger der preisgekrönten
Chorsolisten so dicht gedrängt, dass sie nur die Hände in die Höhe
strecken, klatschen und auf der Stelle hüpfen können. Mit zehn Tänzerinnen
und Tänzern hat Otto Pichler ein paar weitere Turnübungen einstudiert, aber
das hilft auch nicht gegen die stetig anwachsende Langweile.
Damit wenigstens das Licht antik aussieht, lässt Kosky die Saalbeleuchtung
eingeschaltet. Die altgriechische Sonne ist das jedoch nicht, die da auf
die menschlichen Leidenschaften herabbrennt, um unsere Seelen zu reinigen.
Man sieht nur, dass die Saaldecke repariert werden muss. Das Publikum der
Premiere hat trotzdem artig applaudiert, wahrscheinlich in der nicht ganz
unbegründeten Hoffnung, dass es jetzt nur noch besser werden kann.
14 Oct 2019
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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