# taz.de -- Kuba fürchtet neue Wirtschaftskrise: Zwischen Trump und Venezuela | |
> In Kuba ist der Mangel zurück. Verantwortlich dafür sind die | |
> Strangulierungspolitik der USA, die Krise in Venezuela und interne | |
> Reformblockaden. | |
Bild: In den Straßen von Havanna: Lebensmittelverkauf aus dem Auto heraus | |
HAVANNA taz | Ein Mittagessen ohne Reis ist in Kuba keine vollwertige | |
Mahlzeit. „Mitte des Monats war er bei uns aufgebraucht. Ich musste | |
schließen, obwohl hungrige Gäste draußen saßen“, stöhnt Mauricio Perdomo. | |
Der Mann von Anfang vierzig ist Koch in einem Paladar, einem | |
Privatrestaurant in Kuba. | |
Bei ihm in Havannas Stadtviertel Vedado kehren allerdings kaum Touristen | |
ein, sondern Kubaner, die günstig essen wollen. Sein Chef verlangt etwa 50 | |
Peso Nacional, umgerechnet 2 US-Dollar, für eine reichhaltige Mahlzeit. | |
Reis ist dabei unersetzlich und war bislang stets verfügbar. | |
Dass hier und da Grundnahrungsmittel fehlen, ist normal in Kuba. Im | |
vergangenen Dezember war Mehl über Wochen knapp. Im März standen die | |
Menschen überall für Speiseöl an. Derzeit klaffen auf vielen Regalen in den | |
Supermärkten der Regierung große Lücken. | |
„Wir fahnden permanent nach den Zutaten für unsere Gerichte, manchmal | |
müssen wir auch etwas von der Karte nehmen“, gibt Perdomo schulterzuckend | |
zu. Es ist ein wiederkehrendes Thema auf der Insel der langen | |
Warteschlangen. Derzeit winden sie sich vor Supermärkten oder den Bodegas, | |
wo rationierte Lebensmittel zu subventionierten Preisen auf die Libreta, | |
das Bezugsheft, abgegeben werden, schon mal um zwei, drei Häuserblocks. | |
## Bittere Nachrichten für Kubas Tourismussektor | |
An den Tankstellen ist das nicht anders. „No hay“ – gibt es nicht – ist | |
immer öfter zu hören. „Der Regierung fehlen die Devisen, um auf dem | |
Weltmarkt alles Nötige einzukaufen“, so der kubanische | |
Sozialwissenschaftler Ricardo Torres von der Universität Havanna. | |
Dafür sind laut Torres drei Faktoren ausschlaggebend. „Im September 2017 | |
hat US-Präsident Donald Trump [1][Sanktionen] verhängt, seit Mai 2019 hat | |
er sie verschärft, und die Strafmaßnahmen stellen alles vorher Gewesene in | |
den Schatten.“ In zwei Schritten wurde der US-Tourismus nach Kuba | |
abgewürgt. Im April wurden neuerliche Reisebeschränkungen für US-Amerikaner | |
eingeführt, Anfang Juni erfolgte dann auch das Aus für Reisen von Gruppen | |
sowie für Kreuzfahrten – für Kubas Tourismussektor eine bittere Nachricht. | |
„Nach den Kanadiern waren die USA mit rund 600.000 Besuchern der wichtigste | |
Markt“, sagt Torres. | |
Besonders spürbar ist das rund um den Hafen von Havanna: Restaurants ohne | |
Gäste, Souvenirhändler ohne Kunden und Taxifahrer in bonbonfarbenen | |
Cabriolets aus den 1950er-Jahren, die auf die nun verwaisten | |
Festungsanlagen am Hafeneingang blicken. | |
Doch noch empfindlicher treffen die Insel derzeit die Sanktionen gegen | |
Reedereien, die Öl und andere Güter nach Kuba verschiffen, sowie gegen | |
Banken, die Geschäfte mit Kuba abwickeln. Nachdem im November 2018 deshalb | |
eine Strafe von 1,3 Milliarden US-Dollar gegen die französische Bank | |
Société Générale verhängt wurde, haben andere Banken kubanischen Kunden die | |
Konten gekündigt – darunter die spanische Banco Sabadell oder die Multibank | |
Panamá. | |
## Enteignete können wieder Ansprüche stellen | |
„De facto wird es für die kubanische Regierung schwieriger und deutlich | |
teurer, Transaktionen mit Geschäftspartnern abzuwickeln“, erklärt Torres. | |
Das sorgt für Lücken im Angebot und für tiefe Löcher in den Kassen der | |
Regierung. Etliche Lieferanten, darunter auch deutsche, die zum Beispiel | |
Rohstoffe für die pharmazeutische Industrie nach Kuba liefern, erhalten ihr | |
Geld gar nicht oder mit erheblicher Verzögerung. | |
Mit mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar soll Kubas Regierung bei ihnen in | |
der Kreide stehen, ist aus Diplomatenkreisen in Havanna zu hören. Die | |
Zeichen stehen schlecht, dass sich daran etwas ändert. Ein Grund ist, dass | |
die Regierung Trump auch die Geldsendungen aus den USA an Verwandte auf der | |
Insel auf 1.000 US-Dollar pro Vierteljahr gedeckelt hat. | |
Aber noch wichtiger ist: Seit Anfang Mai dürfen in den 1960er-Jahren | |
zwangsenteignete US-Unternehmen oder Privatpersonen internationale | |
Unternehmen verklagen, die heute auf Kuba deren Grundstücke oder Gebäude | |
nutzen. Dabei hatte die kubanische Regierung in den Jahren nach der | |
Revolution Kompensationszahlungen angeboten – nicht nur US-amerikanischen, | |
sondern auch kanadischen oder französischen Alteigentümern. Während die | |
einen akzeptierten und entschädigt wurden, lehnten die anderen ab. | |
Nun haben die US-Gerichte das Wort, die Ansprüche von Klägern in den USA | |
gegen internationale Unternehmen durchsetzen sollen, die dort Vermögen | |
haben. Für die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, ist die | |
„extraterritoriale Anwendung einseitiger restriktiver Maßnahmen | |
völkerrechtswidrig“. Sie hat den USA mit Gegenmaßnahmen und dem Gang vor | |
die Welthandelsorganisation gedroht. | |
## Venezuela liefert weniger | |
Passiert ist bisher aber nichts, obwohl die ersten Klagen eingegangen sind. | |
So muss sich die spanische Hotelkette Melià verantworten, weil sie ein | |
Hotel in Cienfuegos betreibt, das einst enteignet wurde. Auch der | |
US-Kreuzfahrtkonzern Carnival Cruise sieht sich Ansprüchen exilkubanischer | |
Familien gegenüber, die Teile des Hafens von Santiago de Cuba für sich | |
reklamieren. Exxon hat zwei staatliche kubanische Unternehmen in Washington | |
D.C. vor Gericht gebracht, die eine Raffinerie im Hafen von Havanna nutzen. | |
Ansprüche werden auch auf den Flughafen von Havanna erhoben. „Wir müssen | |
abwarten, was die Gerichte entscheiden, aber für potenzielle Investoren hat | |
das einen abschreckenden Effekt“, meint Torres. | |
Dabei ist der Investitionsbedarf auf der Insel an allen Ecken und Enden | |
sichtbar. Positive Nachrichten wie der Einsatz neuer russischer Züge auf | |
der Bahnstrecke von Havanna nach Santiago de Cuba sind selten. Auch Diesel | |
und Erdöl für die Kraftwerke sind knapp. Dafür ist die beispiellose | |
ökonomische Talfahrt im Bruderland Venezuela verantwortlich. „Fünfzig | |
Prozent oder weniger Erdöl als ursprünglich einmal vereinbart erhalten wir | |
heute noch. Die dadurch ausgelöste Energiekrise ist heute spürbar – stärker | |
als noch 2016“, sagt Torres über den zweiten wichtigen Faktor, der die | |
Krise auf der Insel hat handfest werden lassen. | |
Um zwei Drittel ist der Handelsaustausch mit dem in einer [2][tiefen | |
politischen Krise] steckenden „Bruderstaat“ Venezuela seit 2014 | |
zurückgegangen. Es ist erklärtes Ziel der USA, Kuba zum Abzug seiner | |
Hilfsleistungen aus Venezuela zu zwingen. Noch sind 20.000 kubanische Ärzte | |
dort beschäftigt. | |
Weitere Maßnahmen, um „für die kubanische Regierung den Zugang zu US-Dollar | |
zu beschränken“, hat John Bolton, Sicherheitsberater Trumps, angekündigt. | |
Für Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel stellt die Strategie Trumps eine | |
„Strangulierungspolitik“ dar, der er entgegenzusteuern versucht. Etliche | |
Produkte des täglichen Bedarfs werden seit Mai des Jahres rationiert, um | |
„allen den Zugang zu garantieren“, so heißt es in Havanna. | |
## Jahrelange Debatten, keine Entscheidungen | |
Zum 1. August wurden die Löhne im Staatssektor in vielen Berufen spürbar | |
erhöht. Bis zu 60 Prozent mehr kubanische Pesos landen in den Lohntüten. | |
Der kubanische Durchschnittslohn ist auf 1.000 Peso, umgerechnet rund 40 | |
US-Dollar, gestiegen. | |
Solche Maßnahmen begrüßt der Dolmetscher Jesús Irsula genauso wie die erste | |
Preisdeckelung für Bier und andere Produkte. „Das sorgt dafür, dass der | |
Lohnanstieg auch ankommt. Ich habe von Mitarbeitern von staatlichen | |
Unternehmen gehört, die an ihre Arbeitsplätze zurückkehren“, meint der | |
62-Jährige. | |
„Kurzfristig wird das funktionieren“, schätzt Ricardo Torres, dem das | |
„positive Signal in einer Zeit der schlechten Nachrichten“ durchaus | |
gefällt. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wie die steigende Nachfrage | |
nach Lebensmitteln und Konsumartikeln mittelfristig gedeckt werden soll – | |
angesichts leerer Kassen und chronisch niedriger Produktivität. | |
„Es droht steigende Inflation“, so Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte | |
an der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali. Er hofft, dass die | |
Regierung bei den Ende Juni angekündigten Reformen, die Dezentralisierung | |
und Exportförderung begünstigen sollen, auch den Genossenschaften und | |
Privatunternehmern mehr Autonomie zubilligt. Darüber ist in Kuba über Jahre | |
diskutiert worden, ohne sich zu Entscheidungen durchzuringen. Interne | |
Reformblockaden sind für Torres wie Vidal der dritte Faktor für die sich | |
verschärfenden Wirtschaftskrise. | |
Ein Beispiel: Seit Jahren warten Genossenschaften wie der Stadtgarten von | |
Alamar, wo großflächig Gemüse angebaut wird, darauf, Bewässerungstechnik | |
direkt importieren zu können. „Wir wissen, was wir wollen, sind aber | |
abhängig davon, was der Staat einkauft. Das ist selten das Richtige“, so | |
Miguel Salcines, Vorsitzender der Genossenschaft, schulterzuckend. | |
Ob sich daran etwas ändern wird, ist noch unklar. Details der angekündigten | |
Reformen sind noch nicht bekannt. Auf der Insel geht derweil die Angst um, | |
dass der Mangel der „Periodo Especial“ zu Beginn der 1990er-Jahre | |
wiederkehren könnte. Eine vergleichbare Krise schließt Torres zwar aus, | |
aber nicht nur für dieses Jahr erwartet er rote Zahlen. „Wir stecken in | |
einem Teufelskreis.“ | |
23 Aug 2019 | |
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