| # taz.de -- Kriminalroman aus Kuba: Überlebenskampf in Havanna | |
| > In seinem neuen Krimi lässt Leonardo Padura einen Ex-Polizisten in | |
| > Havanna ermitteln. Dabei treten die sozialen Gegensätze Kubas offen zu | |
| > Tage. | |
| Bild: Padura stellt die Widersprüche innerhalb der kubanischen Gesellschaft in… | |
| Für seine Visite in San Miguel del Padrón hat sich Mario Conde gewappnet. | |
| Drei Freunde, der Hasenzahn, Candito und Yoyi El Palomo, sind als | |
| Bodyguards mit von der Partie, als er in dem Armenviertel am Stadtrand von | |
| Havanna recherchieren will. Dort trauen sich nicht einmal Kubas Polizisten | |
| hin. | |
| „Llega y Pon“, so viel wie „Komm und bleib“, heißen diese durch | |
| Landbesetzung entstehenden Stadtviertel, die sich um die Hauptstadt | |
| Havanna, Cárdenas oder auch Cienfuegos wie ein Gürtel gelegt haben. Dort | |
| stranden diejenigen, die aus Mangel an Perspektive aus dem Osten der Insel | |
| in den Westen flüchten. „Palestinos“ werden sie in Kuba genannt und San | |
| Miguel del Padrón ist eines dieser Viertel. | |
| Öffentliche Dienstleistungen wie Wasser und Stromleitungen, aber auch | |
| Schulen sind dort in aller Regel nicht zu finden. Illegal über Nacht aus | |
| Holz, Plastik und Pappkarton hochgezogen sind die meisten der windschiefen | |
| Behausungen. | |
| An denen vorbei quält sich der klapprige Studebaker, mit dem der ehemalige | |
| Polizist Mario Conde und seine Begleiter in Leonardo Paduras Roman „Die | |
| Durchlässigkeit der Zeit“ unterwegs sind, über Schlaglöcher und an | |
| stinkenden Abwasserrinnen vorbei. Bis der Oldtimer am einzigen aus | |
| Ziegelsteinen gebauten und auf einer Anhöhe liegenden Haus angelangt ist – | |
| dem von Ramiro, genannt der „Rochen“. | |
| ## Alles dreht sich um die schwarze Madonna | |
| Der stammt wie viele seiner Nachbarn aus Santiago de Cuba und ist ein | |
| kleiner krimineller Hehler. Ihn verdächtigt Mario Conde nicht nur den | |
| gesamten Hausrat, sondern auch die schwarze Madonna seines Freundes und | |
| ehemaligen Mitschülers Bobby Roque geklaut zu haben und nun verscherbeln zu | |
| wollen. Roque hat den alten Schulkumpel beauftragt sich auf die Suche nach | |
| der Familienheiligen zu machen und ihm eine – für kubanische Verhältnisse | |
| fürstliche Prämie – angeboten. | |
| Um die schwarze Heilige, die anders als die in jedem zweiten kubanischen | |
| Wohnzimmer stehende Jungfrau von Regla nicht aus Porzellan, sondern aus | |
| dunklem Edelholz ist, dreht sich alles im neuesten Fall von Mario Conde. | |
| Den in die Jahre gekommenen Expolizisten mit dem Hang zu gutem Rum und | |
| guter Literatur hat Kubas international erfolgreichster Schriftsteller, | |
| Leonardo Padura, mal wieder auf Ermittlungstour geschickt. | |
| Dieses Mal im Havanna des Jahres 2014. Padura hat die Widersprüche | |
| innerhalb der kubanischen Gesellschaft in den Fokus seines Kriminalromans | |
| gestellt. „Ich wollte die Entwicklung ab 2008, als [1][Raúl Castro als | |
| Staatspräsident] vereidigt wurde, bis 2014 nachzeichnen“, sagt er im | |
| Gespräch mit der taz am Mittagstisch in seinem Elternhaus in Havannas | |
| Stadtteil Mantilla. | |
| „Da hat sich die kubanische Gesellschaft weiter ausdifferenziert“, führt | |
| Padura weiter aus, „und diese sogenannten Palestinos und deren | |
| Lebensbedingungen sind dafür nur ein Beispiel.“ | |
| ## Von wegen Freunde | |
| So ist er auf die Idee zu seinem jetzigen Kriminalroman gekommen. Die | |
| aktuelle Erzählung hat er mit reichlich historischen Hintergründen | |
| garniert. Denn die schwarze Madonna, um die sich Kubas Kunsthehler in dem | |
| Kriminalroman balgen, ist alt und sehr viel wert. Sie stammt aus der Epoche | |
| der Kreuzritter, hat lange in einer abgelegenen Kapelle in einem Dorf im | |
| Hinterland Kataloniens gestanden, bevor sie während des spanischen | |
| Bürgerkriegs den Weg nach Kuba fand. | |
| Im Kohlensack eines Bauernjungen, der vor dem Krieg als blinder Passagier | |
| nach Kuba flüchtete, kam sie in Paduras Story auf die Insel. Der Autor | |
| lässt besagten Bauernjungen einen der Vorfahren von Bobby Roque sein. | |
| Lange hatte seine Familie die Reliquie unter Verschluss gehalten. Bis Roque | |
| unter Freunden mit dem Wert der hölzernen Heiligenfigur prahlte. Doch von | |
| wegen Freunde: wenig später wurde sie ihm gleich von Raydel, seinem | |
| früheren jugendlichen Liebhaber aus dem kubanischen Osten, zusammen mit dem | |
| halben Hausrat geklaut. | |
| Damit beginnt eine wilde Jagd nach der schwarzen Madonna, in die nicht nur | |
| eine Handvoll kubanische Kunstdealer verwickelt sind, sondern auch ein | |
| katalonischer Kunsthändler. Die bilden den Gegenpol zu den bettelarmen | |
| „Palestinos“ aus Kubas Osten. | |
| ## Wenig angetan vom Wandel auf der Insel | |
| Während die einen es sich im Havanna der Edelrestaurants, der Paladares, | |
| der restaurierten Oldtimer und des boomenden Schwarzmarkts gut gehen | |
| lassen, kämpfen die anderen ums nackte Überleben. Sie verschachern illegal | |
| geschlachtetes Rindfleisch, Pornografie und alles was nicht niet- und | |
| nagelfest ist, während die Profis Werke alter Meister genauso wie junger | |
| Nachwuchskünstler außer Landes schaffen. | |
| Nicht nur nach Miami, der Drehscheibe der exilkubanischen Exilgemeinde, | |
| sondern auch nach Europa über Madrid und Barcelona. In diesem Umfeld | |
| recherchiert Mario Conde. Er muss mit seinem alten Polizeikollegen Manuel | |
| Palacios zwei Morde aufklären, wird selbst angeschossen und ist dabei alles | |
| in allem wenig angetan vom Wandel auf der Insel. | |
| Der findet auch ohne die Protagonisten seiner Generation statt, die sich | |
| mit Ende fünfzig und Anfang sechzig durch den kubanischen Alltag quälen. | |
| Dafür steht nicht nur der alternde Mario Conde selbst, der dem Sound der | |
| neuen Generation, dem Reggaetón, wenig abgewinnen kann, sondern auch der | |
| alte Obdachlose, dem er seine Schuhe schenkt. Ein spannender Krimi am Puls | |
| des Kubas des Jahres 2014. | |
| 5 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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