# taz.de -- Corona verschärft Kubas Krise: Am Rande des Kollapses | |
> Dem Inselstaat Kuba ging es bereits vor der Pandemie schlecht. Jetzt gibt | |
> es nicht mal Hilfskredite – und die USA blockieren Geldtransfers. | |
Bild: Markt in Havanna | |
BERLIN taz | Schlange stehen für Lebensmittel gehört zum Alltag in Kuba, | |
denn fast alles wird importiert. Das rächt sich in der [1][Coronakrise] | |
und die [2][US-Sanktionen erschweren der Insel das Überleben]. Reformen | |
sind angekündigt, doch wie sie aussehen werden, weiß noch niemand. | |
Mariposa und Martica hießen die beiden Kühe von Fernando Funes Monzote. | |
Beide hatten wenige Tage vorher gekalbt. Doch das interessierte die Diebe | |
nicht, sie stahlen die Wiederkäuer am 17. Mai von dem kleinen Biohof nahe | |
der Kleinstadt Caimito, schlachteten und verkauften sie, so Monzote in | |
einem Post auf Facebook. Caimito liegt nahe Havanna und dort stehen die | |
Menschen stundenlang Schlange für Produkte des täglichen Bedarfs. | |
„Alles ist knapp. Vom Hühnerfleisch über Speiseöl und Tomatenpüree bis zur | |
Seife“, sagt Ricardo Torres, Sozialwissenschaftler der Universität Havanna. | |
„Seit 2019 sinkt das Niveau der Lebensmittelimporte – es ist schlicht immer | |
weniger Geld vorhanden“, sagt Torres am Telefon zur taz. Mit den massiven | |
Verschärfungen des US-Embargos, den seit Jahren sinkenden Exporten und der | |
Stagnation bei den Wirtschaftsreformen nennt Torres drei zentrale Faktoren | |
für die Rezession, die sich bereits vor der Pandemie abzeichnete. | |
Schon im November 2019 konnte die Regierung in Havanna fällige | |
Verbindlichkeiten beim Pariser Club, dem informellen Zusammenschluss | |
staatlicher Gläubiger, nicht bedienen und bat um einen Zahlungsaufschub um | |
einige Monate. Längst Makulatur. „Nun geht es um einen Zahlungsaufschub bis | |
2022“, sagt Torres. | |
## Insel voll erwischt | |
Für den Aufschub haben die kubanischen Unterhändler gute Argumente, denn | |
die ökonomischen Folgen der Coronakrise haben die Insel voll erwischt. | |
Während die Pandemie mit 2.446 Infektionen und weniger als einer Handvoll | |
Ansteckungen pro Tag unter Kontrolle scheint, zeichnet sich die schwerste | |
ökonomische Krise seit rund 30 Jahren ab. 235.000 private Selbstständige | |
haben ihre Lizenz für die „Arbeit auf eigene Rechnung“, wie die | |
selbstständige Arbeit genannt wird, ausgesetzt – rund 40 Prozent der Ende | |
2019 offiziell registrierten Kleinunternehmer*innen. | |
Noch alarmierender für Torres ist jedoch die Vollbremsung beim Tourismus, | |
der seit Jahren sinkende Export und der drohenden Einbruch bei den | |
Geldtransfers von Familienangehörigen auf die Insel. Die belaufen sich | |
Schätzung zufolge auf 3 bis 6 Milliarden US-Dollar pro Jahr. | |
Düstere Szenarien für die Inselökonomie, die obendrein keine | |
Überbrückungskredite wie Chile oder Peru bei der Weltbank oder dem | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen kann. „Wir sind weder | |
Mitglied noch gilt Kuba als vertrauenswürdiger Schuldner. Uns bleibt nur | |
die Hoffnung auf bilaterale Kredite aus China oder Russland“, schildert | |
Torres die prekäre Lage. Zu der tragen die USA mit ihren ökonomischen | |
„Strangulierungsstrategie“ bei, wie Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel die | |
Verschärfung des US-Embargos nennt. | |
## Im Sanktionsvisier der USA | |
Die USA haben Handelspartner genauso wie Investoren auf der Insel ins | |
Sanktionsvisier genommen. Bereits im Februar musste die chronisch klamme | |
Regierung in Havanna einen Tanker kaufen, um an das an Bord befindliche | |
Benzin zu kommen. Seit Anfang Juni führen die Sanktionen aus Washington | |
dazu, dass Geldtransfers über Western Union nach Kuba kaum mehr möglich | |
sind. Fincimex, Partner von Western Union, landete auf einer schwarzen | |
Liste des Weißen Hauses. | |
Die neuen Sanktionen treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Sie ist beim | |
ökonomischen Re-Start auf Devisen angewiesen. Bestes Beispiel ist die vor | |
wenigen Tagen eröffneten Supermarktkette, wo Lebensmittel nur gegen Devisen | |
verkauft werden. Die soziale Schere gehe immer weiter auseinander, monieren | |
Kritiker auch auf der regierungsnahen Homepage Cubadebate. | |
Ein Problem, das auch Wirtschaftsminister Alejandro Gil sieht, der eine | |
„tiefgreifende Transformation“ der Wirtschaft ankündigte. Konkrete Reformen | |
fehlen noch, aber klar ist, dass die lokale Lebensmittelproduktion | |
angekurbelt werden soll. Überfällig angesichts der Tatsache, dass rund 85 | |
Prozent der in Kuba konsumierten Kalorien importiert werden. Deshalb raten | |
kubanische Ökonomen wie Torres oder sein Kollege Pavel Vidal zu mehr | |
Pragmatismus, der Abkehr vom staatlichen Agrar-Ankaufssystem Acopio und | |
seinen fixen Preisen. Das wirke wie eine Bremse, kritisieren Bauern von der | |
Insel. | |
Ihnen solle man mehr Freiraum zubilligen, sie benötigte Produktionsmittel | |
direkt importieren zu lassen, regt Ricardo Torres an. „Bewässerungssysteme, | |
Saatgut oder auch einen Traktor könnte über staatliche Importgesellschaften | |
wie Cimex beschafft werden.“ Ein Vorschlag, der auch für Privatunternehmen | |
und Genossenschaften praktikabel wäre, um dringend benötigte | |
Produktionsmittel nach Kuba zu schaffen. Das könnte helfen, die Krise nicht | |
existenziell werden zu lassen. | |
23 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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