| # taz.de -- CDU Berlin: Projekt Wiederbelebung | |
| > Kai Wegner ist nicht bloß neuer CDU-Vorsitzender, sondern auch Landeschef | |
| > der DLRG. An diesem Donnerstag startet sein Rettungsversuch für die | |
| > Partei. | |
| Bild: Der neue CDU-Landeschef Kai Wegner im Gespräch mit dem Rabbiner Yehuda T… | |
| Drei Wochen war Kai Wegner wie abgetaucht. Er habe sich ganz rausgenommen, | |
| erzählt er, nur beim Motzstraßenfest und beim CSD trat er auf. Für ihn | |
| selbst hat es sich offenbar gelohnt. Sichtlich erholt und gebräunt steht | |
| der CDU-Landeschef in den ersten Tagen nach den Ferien auf dem Schulhof | |
| einer Köpenicker Grundschule, wo er sich gerade anschaut, wie es mit dem | |
| seit neuestem beitragsfreien Mensaessen läuft. | |
| Ob sich die sommerliche Pause auch für die CDU gelohnt hat, muss sich noch | |
| zeigen. Denn in Umfragen hat sich noch nicht positiv bemerkbar gemacht, | |
| dass Wegner vor fast genau drei Monaten Monika Grütters an der Spitze der | |
| Berliner Christdemokraten abgelöst hat: Die CDU stagniert bei jenen 17 | |
| Prozent, die Meinungsforscher ihr schon im April zuwiesen. | |
| Eins allerdings ist schon jetzt anders: dass Wegner überhaupt da ist bei so | |
| einem politisch nicht allzu brisanten Termin, bei dem auch der CDU-Mann | |
| nicht viel zu bemängeln hat, außer dass die gewünschte Mensa-Erweiterung | |
| nicht erst 2024 fertig wird, wenn überhaupt. Bildungssenatorin Sandra | |
| Scheeres von der SPD hat er schon tags zuvor wegen fehlender Schulplätze | |
| zum Rücktritt aufgefordert, eine Wiederholung wirkt eher ermüdend. Ein | |
| solcher Termin von Grütters aber ist aus den vergangenen Jahren nicht | |
| bekannt. Nicht weil Grütters, im Hauptjob Kulturstaatsministerin im | |
| Bundeskanzleramt, keine Lust gehabt hätte, aus den Höhen der | |
| Kulturförderung ins Kleinklein der Landespolitik hinabzusteigen, wie es ihr | |
| viele Kritiker vorwarfen. Nein – Grütters hätte dazu schlicht keine Zeit | |
| gehabt. | |
| Wegner hingegen kann in diesen Wochen über seine Zeit frei verfügen. „Mitte | |
| September“, sagt er lächelnd auf die Frage, wann für ihn als Abgeordneten | |
| die ersten Bundestagssitzungen nach den Ferien anstehen. Da ist im | |
| Parlament gerade also nicht übermäßig viel für ihn zu tun, auch nicht in | |
| seiner Funktion als baupolitischer Sprecher und Arbeitskreisleiter der | |
| CDU-/CSU-Bundestagsfraktion. | |
| Viel Zeit also, um als Berliner CDU-Vorsitzender rumzutouren. Mit | |
| Bezirkstouren hat er gleich nach Ferienende begonnen, zuerst in | |
| Reinickendorf, dann in Lichtenberg. Für die stärkere Einbindung | |
| Ehrenamtlicher macht er sich stark, des Technischen Hilfswerks etwa, das | |
| die Feuerwehr entlasten könnte. Außer der CDU sitzt Wegner seit Mai 2017 ja | |
| auch noch dem Landesverband der DLRG vor, der Deutschen | |
| Lebens-Rettungs-Gesellschaft. | |
| ## Er will präsenter sein | |
| Als Wegner im Frühjahr ankündigte, Grütters ablösen zu wollen, bekam er zu | |
| hören, er sei doch jetzt schon als stellvertretender Parteichef in der | |
| Landesspitze – es hindere ihn doch niemand daran, selbst präsenter zu sein | |
| und die CDU landesweit zu vertreten. „Wenn ich als Vize-Parteichef irgendwo | |
| hingehe, nimmt das doch kaum einer wahr“, entgegnete Wegner damals. Aus | |
| seiner Sicht brauchte es für die mediale Präsenz den Chefposten. Nimmt man | |
| die Resonanz auf den Mensa-Termin in Köpenick als Maßstab, hat Wegner recht | |
| behalten. Der RBB ist mit einem Fernsehteam gekommen, ein Radiosender, zwei | |
| Zeitungen sind auch vor Ort, die Deutsche Presse-Agentur hatte den Termin | |
| in ihrer für Medien nicht unwichtigen Tagesvorschau. | |
| Ein paar Stunden nach dem Mensa-Mittagessen – Wegner hat nicht nur | |
| gekostet, sondern seinen Teller mit den Kartoffeln und dem Gemüse | |
| tatsächlich geleert – sind noch mehr Journalisten dabei, als Wegner im | |
| Jüdischen Bildungszentrum in Wilmersdorf den Rabbiner Yehuda Teichtal | |
| trifft, der mehrere Tage zuvor bespuckt und beschimpft wurde. Man ist per | |
| Du seit einem Treffen im Frühjahr – Rabbiner Teichtal gehörte dem Vernehmen | |
| nach zu den Leuten, bei denen sich Wegner umhörte, bevor er seine | |
| Ambitionen auf den CDU-Landesvorsitz öffentlich machte. | |
| Noch mal drei Tage später wird der Tagesspiegel dem neuen CDU-Vorsitzenden | |
| einen Teil seiner ersten Lokal-Seite für einen Gastbeitrag freiräumen, in | |
| dem er noch mal ausführlich die für ihn verfehlte Bildungspolitik von | |
| Senatorin Scheeres und der SPD kritisieren darf. „Rot-Rot-Grün soll sich | |
| warm anziehen, ab heute wird es unbequemer“, hat Wegner bei seiner Wahl | |
| Mitte Mai angekündigt. | |
| Doch markige Worte helfen wenig, wenn die große Mehrheit in Berlin die CDU | |
| selbst bei einem extrem unbeliebten Senat nicht als Alternative für | |
| kommende Wahlen betrachtet. Über zwei Drittel der Berliner Wahlberechtigten | |
| sind zwar mit der Leistung der rot-rot-grünen Landesregierung unzufrieden – | |
| aber fast 60 Prozent würden, zusammengerechnet, dennoch für Grüne, | |
| Linkspartei und SPD stimmen. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 taten das | |
| nur rund 52,4 Prozent. | |
| ## Ein Reichweitenproblem | |
| CDUlern, führenden wie ganz normalen Parteimitgliedern, ist dieser | |
| Widerspruch natürlich bewusst, der ein klares Misstrauensvotum gegenüber | |
| ihrer Partei ist. Als unfähiger wahrgenommen zu werden als der so umfassend | |
| kritisierte rot-rot-grüne Senat, das muss man erst mal erklären können. | |
| Wegner und andere, die man dazu fragt, sprechen dann stets von | |
| verlorengegangenem Vertrauen – „das müssen wir wieder zurückgewinnen“. … | |
| dass man mit guter Sacharbeit überzeugen müsse. Aber man müsse eben erst | |
| mal die eigenen Botschaften an die Leute ranbringen. „Wir haben ein ganz | |
| klares Reichweitenproblem auf allen Kanälen“, ist in dieser Woche bei einem | |
| Pressegespräch von Fraktionschef Burkard Dregger zu hören. | |
| ## Eine „Denk-Werk-Stadt“ | |
| Wohin es mit der CDU geht und was da künftig besser vermittelt werden soll, | |
| will Wegner unter anderem bei zwei Parteikonferenzen klären. Für diesen | |
| Donnerstag hat er alle 12.000 Mitglieder nach Charlottenburg eingeladen, 14 | |
| Tage später soll es eine zweite Auflage in Neukölln geben. | |
| „Denk-Werk-Stadt“ nennt er das und knüpft damit an seine Rede vom | |
| Landesparteitag im Mai an: Er wolle die CDU-Mitglieder stärker in die | |
| Parteiarbeit einbinden und die Union zur „größten Denkwerkstatt Berlins“ | |
| machen, hat er da angekündigt. Das ist ein Bild, das schwer in Einklang zu | |
| bringen ist zum üblichen Ablauf etwa von Parteitagen, wo sich die | |
| Diskussionsbeiträge, wenn sie überhaupt kommen, in sehr überschaubarem Maß | |
| halten. | |
| Die jüngsten Irrungen und Wirrungen an der Spitze der Bundespartei parallel | |
| dazu wirkten sich zumindest nicht gerade motivationsfördernd aus. Während | |
| Wegners Urlaub übernahm die Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer | |
| das Verteidigungsministerium – und konterkarierte damit alle Ankündigungen, | |
| sich auf die Parteiarbeit konzentrieren zu wollen. Thorsten Schatz, enger | |
| Mitarbeiter Wegners und zugleich Vize-Fraktionschef im Spandauer | |
| Bezirksparlament, übte in einem Zeitungsinterview herbe Kritik daran und | |
| spiegelte das Unverständnis vieler CDU-Mitglieder. | |
| Wegner drückt es gegenüber der taz etwas gemäßigter aus: Das mit der | |
| Entscheidung, in die Bundesregierung zu gehen, sei schon richtig – „was | |
| vielleicht nicht so glücklich war, war die Kommunikation davor“. Wie wenig | |
| glücklich im Sinne der erhofften „Denkwerkstatt“, dürfte sich an diesem | |
| Donnerstagabend zeigen. | |
| 15 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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