# taz.de -- Führungswechsel bei der CDU: „Rache ist nicht meine Denkweise“ | |
> Nach seiner Kandidatur folgte die Kapitulation der Noch-CDU-Chefin | |
> Grütters: Kai Wegner geht als Gewinner in den CDU-Landesparteitag. Aber | |
> was will er eigentlich? | |
Bild: Kai Wegner will Samstag CDU-Landeschef werden, Noch-Chefin Monika Grütte… | |
taz: Herr Wegner, am Wochenende werden Sie voraussichtlich neuer | |
CDU-Landesvorsitzender – was soll ab Montag anders sein in Ihrer Partei? | |
Kai Wegner: Am Montag werde ich genauso aufstehen wie bisher, frühstücken – | |
und dann an die Arbeit gehen: Wir müssen die CDU noch stärker | |
zusammenführen und ein starkes Profil entwickeln, um spätestens Ende 2021 | |
in der Lage zu sein, diesen rot-rot-grünen Senat abzulösen, mit dem eine | |
Mehrheit in der Stadt unzufrieden ist … | |
… und dessen Parteien trotzdem eine Mehrheit erneut wählen würde. Das ist | |
doch alles nichts Neues, das haben auch schon die Nochvorsitzende Monika | |
Grütters oder der Fraktionschef Burkard Dregger gesagt. Was bieten Sie für | |
einen Mehrwert, wenn die 300 Delegierten Sie gewählt haben? | |
Ich habe vor meiner Kandidatur mit sehr vielen Menschen gesprochen und | |
immer wieder gehört, dass sie von der CDU mehr erwarten. Dem müssen wir | |
noch besser gerecht werden und verloren gegangenes Vertrauen | |
zurückgewinnen. Und ich bin überzeugt, dass wir das als Team gemeinsam | |
schaffen können. | |
Die CDU müsste lauter werden, haben Sie auch schon angekündigt. Das wird ja | |
kaum heißen, dass Sie mit dem Megafon durch die Straßen ziehen. | |
Notfalls mache ich auch das. Aber mit „lauter“ meine ich vor allem, dass | |
wir klar und deutlich aussprechen, wofür wir stehen. Wir haben ja viele | |
gute Ideen – denken Sie bloß mal an unseren Masterplan Wohnen, den wir im | |
Herbst beschlossen haben. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen gar | |
nicht wissen, dass wir so einen Masterplan haben. Das müssen wir besser | |
transportieren. Die Menschen müssen uns wirklich als Alternative sehen. | |
Michael Müller ist der unbeliebteste Ministerpräsident in Deutschland, aber | |
in den Umfragen profitiert die CDU davon bislang nicht. Das will ich | |
ändern. | |
Aber es war doch bislang nicht so, dass Partei und Fraktion die | |
rot-rot-grüne Koalition bloß mit leisen Zwischenrufen begleitet hätten. | |
Viele Äußerungen waren schon sehr offensiv. | |
Es geht mir nicht um bloße Lautstärke – die Menschen müssen spüren, dass | |
wir Lust am Gestalten haben und für Berlin brennen. Wir müssen Konzepte | |
entwickeln und damit Antworten geben auf die drängenden Fragen der | |
wachsenden Stadt. | |
Und das hat Monika Grütters, seit sie Ende 2016 Parteivorsitzende wurde, | |
nicht vermittelt? | |
Monika Grütters ist eine hervorragende Kulturstaatsministerin und leistet | |
für Berlin Großartiges in der Bundesregierung. Aber diese Arbeit schränkte | |
die Zeit ein, die sie der Partei widmen konnte. | |
Das waren aber doch schon die Rahmenbedingungen, als nach dem Rücktritt von | |
Frank Henkel im Herbst 2016 gefühlt jeder in der CDU nach ihr als neuer | |
Parteichefin rief. Das kann man ihr jetzt doch nicht vorhalten. | |
Es geht nicht um Vorhaltungen. Monika Grütters hat in einer schwierigen | |
Situation Verantwortung übernommen. Jetzt haben wir wieder eine andere | |
Lage. Alles hat seine Zeit. | |
Welche Rolle sehen Sie denn für die Nochchefin künftig? | |
Monika Grütters wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen und im Vorstand | |
der Berliner CDU mitarbeiten. | |
Ist es denkbar, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder wie seit | |
2005 die CDU-Kandidatenliste anführt? | |
Absolut! Ich werde sie, wenn es so weit ist, für Platz eins der Landesliste | |
vorschlagen. | |
Ihre Kampfkandidatur sollte wohl so rüberkommen, als ob Sie vor lauter | |
Sorge um Ihre Partei einschreiten, um diese zu retten – aber Sie waren doch | |
auch unter Grütters mit im Präsidium, als einer der stellvertretenden | |
Vorsitzenden. | |
Wer vorn steht, gibt den Takt an. Aber unsere Aufstellung als Team kann | |
noch besser werden. | |
Als Sie Ihre Kandidatur Mitte März offiziell machten, haben Sie erklärt, | |
das Konservative in der Berliner CDU wieder stärken zu wollen, aber ohne | |
die anderen Säulen – das Liberale und das Soziale – zu schwächen. Wie soll | |
das gehen? | |
Die CDU war immer am stärksten, wenn jede dieser drei Säulen stark und sie | |
als Volkspartei breit aufgestellt war. Jeder soll in dieser Stadt nach | |
seiner Fasson glücklich werden. Freiheit und Vielfalt brauchen zugleich ein | |
sicheres Fundament und starke soziale Leitplanken. Das alles geht nur mit | |
einem starken Staat, der das Recht durchsetzt, schützt und unterstützt. | |
Ist dieses Modell nicht überholt? Mit sechs Fraktionen im Abgeordnetenhaus | |
gibt es doch ein Spezialangebot für jede Richtung. Da braucht es doch | |
keinen Gemischtwarenladen. | |
Das sagen Sie. Ich wende mich gegen eine Zersplitterung und ein | |
Gegeneinanderausspielen von Gruppen, egal ob von Liberalen gegen | |
Konservative, Mietern gegen Vermieter, Autofahrern gegen Radfahrer. | |
Rot-Rot-Grün macht Klientelpolitik und spaltet – ich möchte zusammenführen. | |
Die CDU soll sich um alle Menschen kümmern. | |
Wie wollen Sie sich denn um alle Menschen gleichzeitig kümmern? | |
Das geht nur über unsere Mitglieder. Sie sind unser größter Schatz. Mit | |
ihren Lebensläufen haben sie einen unglaublichen Erfahrungsreichtum. Dieses | |
Potenzial müssen wir aktivieren, zum Beispiel in Regionalkonferenzen. Ich | |
möchte, dass die Berliner CDU die größte Denkfabrik der Stadt wird. | |
Sagt Ihnen Hildegard Bentele eigentlich noch Guten Tag? | |
Natürlich! Hildegard Bentele ist eine hervorragende Spitzenkandidatin für | |
die Europawahl und macht einen ausgezeichneten Wahlkampf. | |
Ihr dürfte es als Spitzenkandidatin aber, vorsichtig ausgedrückt, gar nicht | |
gefallen haben, dass der Personalstreit an der Parteispitze – den Wähler | |
nie gut finden – ausgerechnet in die Wochen vor die Europawahl gefallen | |
ist. Die Berliner CDU ist auf 17 Prozent abgesackt. | |
In den Umfragen haben wir schon längere Zeit deutlich Luft nach oben. Auch | |
deshalb stellen wir uns ja jetzt neu auf. Wenn wir zu alter Stärke und | |
Geschlossenheit zurückfinden und unsere Durchschlagskraft erhöhen, wird | |
auch die Zustimmung wieder steigen. | |
Immerhin 20 Prozent waren es noch im März – das wirkt sich doch | |
zwangsläufig auch auf die Europawahl aus. | |
Lassen Sie uns das doch mal abwarten. Und den Streit, von dem Sie sprechen, | |
hat es so nicht gegeben. Monika Grütters und ich haben uns getroffen, die | |
Sache besprochen und eine einvernehmliche Lösung gefunden. | |
… und am Ende hat Grütters, die anfangs kampfbereit war, gesagt, dass sie | |
nicht erneut als Landesvorsitzende antritt. Das klingt mehr nach einem | |
Sichfügen in die Einsicht, weniger Rückhalt als Sie zu haben. | |
Ich sehe uns auf einem guten Weg. Auch in Zukunft wird es mein Ziel sein, | |
Gräben zuzuschütten und die Partei zu versöhnen. Dazu gehört, dass sich | |
Monika Grütters mit ihrer Erfahrung und ihren Qualitäten einbringt. | |
Einigkeit macht uns stark. | |
Manche sagen Ihnen nach, dass Sie neben allen möglichen hehren Motiven mit | |
Ihrer Kandidatur auch eine zweieinhalb Jahre alte Rechnung mit Frau | |
Grütters beglichen haben. Denn die hatte Sie als Generalsekretär | |
rausgeworfen, als sie Ende 2016 Parteichefin wurde. | |
Rache ist nicht meine Denkweise. Mir geht es um die Berliner CDU und um | |
meine Heimatstadt Berlin. | |
Das klingt jetzt ein bisschen sehr pathetisch. | |
Meine Heimat ist mir wichtig. Berlin ist eine einzigartige Mischung aus | |
Kiez und Metropole. Vielfalt und Gegensätze machen für mich den Charme aus. | |
Da möchte ich das Bedürfnis nach Heimat und Zusammenhalt nicht | |
irgendwelchen Populisten überlassen. | |
Sie haben überraschenderweise angekündigt, dass Sie Stefan Evers, den | |
Grütters 2016 an Ihrer Stelle zum Generalsekretär machte, im Amt halten | |
wollen. Wie passt das zusammen? Ihre Kritik, dass die CDU zu wenig | |
durchdringt und Präsenz hat, trifft doch Evers genauso wie Frau Grütters. | |
Mein Personalvorschlag ist ein Signal der Geschlossenheit. Stefan Evers und | |
ich arbeiten gut zusammen. Wir ergänzen uns, weil wir unterschiedliche | |
Typen sind. Wir haben uns tief in die Augen geschaut und gesagt: Wir wollen | |
den gemeinsamen Erfolg. | |
Und wer soll Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 sein? Sie | |
fordern diese Rolle ja nicht für sich ein. | |
Natürlich kommt der Landesvorsitzende genau wie der Fraktionsvorsitzende | |
dafür infrage. Aber auch andere Persönlichkeiten sind denkbar. Das werden | |
wir zu gegebener Zeit klären … | |
… und wann ist das? | |
Sie können sicher sein, dass wir 2020 jemanden präsentieren, der – oder die | |
– für die Stadt brennt. | |
Nehmen wir mal an, das Unvorstellbare tritt ein und die CDU wächst von | |
jetzt 17 auf 25 Prozent oder sogar auf jene 30 Prozent, die Burkard | |
Dregger mal als Ziel ausgegeben hat – das reicht doch nicht zum Regieren. | |
Und von den Grünen, mit deren Realo-Flügel Sie vergangene Wahlperiode noch | |
regelmäßig in Kontakt waren, trennen Sie derzeit Welten. | |
Unser Anspruch muss es sein, stärkste politische Kraft in der Stadt zu | |
werden. Das ist nicht unvorstellbar. Die Grünen verändern sich in rot-roter | |
Umarmung nicht gerade zum Positiven. Aber den Gesprächsfaden habe ich | |
trotzdem nie abreißen lassen. Wenn es uns gelingt, die rot-rot-grüne | |
Mehrheit zu beenden, sehe ich durchaus Perspektiven für eine | |
Zusammenarbeit. | |
16 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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