# taz.de -- Kandidatur von Kai Wegner: Schluss mit Mythen über die CDU | |
> Rückt die CDU Berlin jetzt nach rechts? Wegners Kandidatur für den | |
> Landesvorsitz umranken einige Mythen – die taz räumt mit ihnen auf. | |
Bild: Inzwischen steht Kai Wegner nicht mehr hinter seiner CDU-Landesvorsitzend… | |
Die Opposition sei ein Totalausfall. Und dass man deren Arbeit selbst noch | |
mitmache, wenn man sich in der rot-rot-grünen Koalition streite. Meinte vor | |
einer Woche die Linksfraktion bei ihrer Klausurtagung. Gut möglich, dass | |
Kai Wegner, CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender | |
Landesvorsitzende der Berliner CDU, das als Provokation gelesen hat. In | |
einem Politthriller wäre es der letzte Motivationsschub gewesen, das zu | |
tun, was er in den folgenden Tagen tatsächlich realisierte: sich zum | |
Buhmann des linksbürgerlichen Lagers zu machen und die aktuelle | |
CDU-Vorsitzende Monika Grütters herauszufordern, seine eigene Parteichefin. | |
Jene Frau, die seit Ende 2016 die Berliner Christdemokraten führt. Die | |
äußerst beliebte und geschätzte Staatsministerin für Kultur. Ein noch nicht | |
erlebter Vorgang in der Partei. | |
Natürlich war die Kandidatur keine von der Linkspartei motivierte | |
Kurzschlusshandlung, sondern lange von Wegner geplant und in vielen | |
Gesprächen vorbereitet: Wegner, der Spandauer Bundestagsabgeordnete, will | |
Kalif werden anstelle der Kalifin, wenn die CDU voraussichtlich am 18. Mai | |
bei ihrem Parteitag ihren Vorstand neu wählt. Von einem drohenden | |
Rechtsruck der CDU ist nun die Rede. Und davon, dass die Konservativen | |
jetzt ihre letzten Chance verlören, in absehbarer Zeit im eher progressiven | |
Berlin mal wieder zu regieren. Grütters’ Sturz wäre ein schwerer | |
politischer Fehler, sie sei „ein Glücksfall für die Berliner CDU“. Das hat | |
Frank Steffel dem Tagesspiegel gesagt. | |
Ausgerechnet Frank Steffel. Der war mal CDU-Spitzenkandidat, Fraktionschef | |
im Abgeordnetenhaus, viele Jahre Kreisvorsitzender in Reinickendorf und ist | |
weiter Bundestagsabgeordneter – aber nirgendwo als Grütters-Fan | |
aufgefallen. Oft war gerade er es, über den sich Grütters wegen eines, nett | |
ausgedrückt, eher intransparenten Politikstils beklagte. Ausgerechnet er, | |
ein Meister dieses Fachs, kommentiert das jüngste Geschehen in der Berliner | |
CDU nun als „Hinterzimmerabsprache“. | |
Es war einer der skurrilen Momenten der vergangenen Woche, in der erst die | |
Kandidatur am Dienstag durchgesickert war, bevor Wegner sie am Freitag | |
offiziell in einer Pressekonferenz bestätigte. Das war kurz, aber lang | |
genug für Legendenbildung – die zumindest zu hinterfragen ist. | |
## Mythos 1: Ohne Grütters geht die Wahl 2021 verloren | |
Mit ihr aber auch: Als Grütters Ende 2016 Parteichefin wurde, hatten die | |
Berliner Christdemokraten in Umfragen 20 Prozent. Dort liegt sie nun auch, | |
weniger als zweieinhalb Prozentpunkte über ihrem desaströsen Ergebnis von | |
der Abgeordnetenhauswahl 2016. Auch die Entscheidung, im Juni 2018 Burkard | |
Dregger als kantigen Innenpolitiker zum Fraktionschef zu machen und damit | |
ein liberal-konservatives Spitzenduo zu bilden, brachte kaum Besserung. | |
Ratlos wirkte Grütters bei einem Pressegespräch im Januar, als sie gefragt | |
wurde, warum ihre CDU bei aller schlechten Performance, die sie beim | |
rot-rot-grünen Senat sah, dennoch nicht aus dem Umfragetief kommt. Antwort: | |
„Das fragen wir uns ja selber.“ | |
## Mythos 2: Liberale Grütters, Rechtsausleger Wegner. | |
Wegner will tatsächlich das konservative Element in der CDU stärken, die | |
traditionell auf den drei Säulen liberal, sozial und konservativ ruht – | |
angeblich ohne dabei Liberales und Soziales zu schwächen. „Wir müssen | |
wieder klare Kante zeigen bei Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit“, sagte er | |
am Freitag. Sicherheit sei das Fundament der Freiheit, wobei in Berlin | |
„jeder nach seiner Fasson“ selig werden solle. Viel anders würde das | |
Innensenator Andreas Geisel von der SPD auch nicht formulieren. | |
Interessant ist jedoch, dass es nicht Grütters, oft „liberales Feigenblatt | |
der CDU“ genannt, sondern Wegner war, der 2015 als damaliger | |
Generalsekretär in einer Fotoaktion prominenter Mitglieder offen für die | |
„Ehe für alle“ warb. Grütters hingegen mochte sich nicht festlegen. Über | |
viele Jahre warb Wegner zudem für Schwarz-Grün, wenn auch erkennbar nicht | |
aus großer Liebe zu grünen Inhalten, sondern aus strategischen Gründen. | |
## Mythos 3: Wegner führt die CDU an die AfD heran | |
Eine Zusammenarbeit mit der AfD hat Wegner schon 2016 ausgeschlossen. Das | |
gelte weiter, sagt sein Sprecher. Dass die CDU in seinem Heimatbezirk | |
Spandau, wo Wegner den Kreisverband der Partei führt, in der | |
Bezirksverordnetenversammlung auch mal für AfD-Anträge stimmt, liege am | |
sogenannten Spandauer Weg. Was heißen soll: sich allein am Ergebnis zu | |
orientieren. Das würden auch die anderen Parteien so machen. Wer auf die | |
Tagesordnung der jüngsten Sitzung schaut, findet da unter Punkt 6.3 | |
tatsächlich einen Antrag, auf dem als Unterstützer alle Fraktionen | |
nebeneinanderstehen, die Linksfraktion direkt neben der AfD. | |
## Mythos 4: Monika Grütters – everybody’s Darling | |
Beliebt ist Monika Grütters tatsächlich – aber mehr als Kulturministerin, | |
die sich für Provenienzforschung, kleine Kinos und das Humboldt-Forum | |
einsetzt, denn als Landesvorsitzende. In der Partei halten ihr viele die | |
Entlassung von Hubertus Knabe als Chef der Gedenkstätte Hohenschönhausen | |
vor. Manche werfen ihr eine gewisse Ferne zur Basis vor – was durchaus | |
seine Berechtigung hat. Bei der erwähnten Aktion für die „Ehe für alle“ | |
etwa ging die Initiative vom Landeschef der Lesben- und Schwulen Union | |
(LSU) innerhalb der Berliner CDU aus, Markus Klaer, der damals auch | |
Abgeordnetenhausmitglied war. Doch Grütters, damals Vize-Vorsitzende der | |
Partei, wusste bei einer taz-Anfrage zu der Aktion nichts mit dem Namen | |
Klaer anzufangen. | |
Das hat bei Grütters weniger mit Desinteresse als mit fehlender Zeit zu | |
tun. Sie ist in ihrem Hauptjob als Ministerin viel außerhalb Berlins | |
unterwegs, oft auch im Ausland. Doch auch ein enger Terminkalender reicht | |
nicht aus, um plausibel zu erklären, warum sie erstmals Ende Februar die | |
aktuelle Fraktion im Abgeordnetenhaus besuchte – 884 Tage nach der Wahl | |
2016. Viele vermissen auch, dass Grütters nicht längst klargemacht hat, | |
dass sie 2021 ins Rote Rathaus will und für die Spitzenkandidatur zur | |
Verfügung steht. „Sie brennt nicht dafür“, ist ein häufig gehörter Satz. | |
## Konservative Basisdemokratie | |
Regulär ist die Vorstandswahl für den Parteitag am 18. Mai vorgesehen, wie | |
bislang durch rund 300 Delegierte. Aber es könnte anders kommen: Alle rund | |
12.000 Mitglieder der Berliner CDU können möglicherweise erstmals in der | |
Geschichte des Landesverbands mitentscheiden, wer künftig an der Spitze | |
steht. Sie werde weiterhin Gespräche mit den Verantwortlichen in der Partei | |
und mit Wegner führen, um über das weitere Verfahren zu sprechen, sagte | |
Grütters, „eine Mitgliederbefragung bleibt bei mehreren Kandidaten | |
natürlich weiterhin eine Option“. | |
Einen verbindlichen Mitgliederentscheid gibt es in der CDU-Satzung zwar | |
nicht – das Parteiengesetz schreibt sogar ausdrücklich vor, dass ein | |
Parteitag den Vorstand wählt. Aber nichts verbietet den Christdemokraten, | |
dass sie ihre Mitglieder befragen und der Parteitag deren Votum bestätigt. | |
Unter Zeitdruck ist die CDU dabei ohnehin nicht: Bis Mitte September und | |
damit hinter die Europawahl am 26. Mai könnte sie laut Gesetz die | |
Vorstandswahl verschieben. Das haben führende Funktionäre aber offenbar | |
auch gar nicht im Sinn, weil das fast ein halbes Jahr lang inhaltliche | |
Arbeit in den Hintergrund stelle würde. | |
Nach überschlägiger Rechnung lässt auch der bisherige Parteitagstermin, der | |
18. Mai, Zeit für eine vorherige Mitgliederbefragung samt | |
Regionalkonferenzen. Grütters wie Wegner hätten nach einer direkten Wahl | |
durch 12.000 Mitglieder viel mehr Spielraum, die Partei nach ihren | |
Vorstellungen auszurichten – ein Vorwurf, sich lediglich eine Mehrheit | |
unter den nur 300 Delegierten zusammengebastelt zu haben, wäre dann nicht | |
möglich. | |
Wenn die CDU Wegner wählt, bekäme sie einen Vorsitzenden mit | |
Generalsekretärprofil. Keinen Parteipräsidenten mit bundespolitisch hohem | |
Ansehen, sondern einen in der Berliner CDU und der Landespolitik sehr | |
präsenten Angreifer. Was sie in ihm nicht hätte, ist ein | |
öffentlichkeitswirksamer Spitzenkandidat. Dafür würde er zwar zur Verfügung | |
stehen, kündigte Wegner am Freitag an. Doch klar scheint, dass diesen Job | |
jemand anders machen soll – Wegner selbst brachte Dregger ins Gespräch. | |
In einem sind sich Grütters und Wegner einig: Der rot-rot-grüne Senat sei | |
zum Wohle Berlins abzulösen. Die Berliner Wählerschaft aber sieht das | |
derzeit ganz anders und kann, offenbar genauso wenig wie die Linksfraktion, | |
eine richtige Opposition erkennen: Auch wenn eine große Mehrheit mit dem | |
Senat unzufrieden ist – wären jetzt schon Wahlen, würden laut Umfragen mehr | |
Menschen als 2016 die R2G-Parteien wählen. | |
26 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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