# taz.de -- Grüne geht zu Energieverband: Kerstin Andreae wechselt die Seiten | |
> Die Grünen-Politikerin wird Chefin des mächtigsten deutschen | |
> Energieverbands. Kritik kommt von Lobbycontrol, Lob von Jürgen Trittin. | |
Bild: Kerstin Andreae sieht ihren Wechsel als „Ausdruck einer gesellschaftlic… | |
BERLIN taz | Als [1][schwarz-grünes Signal] will die Grüne Kerstin Andreae | |
ihren Wechsel an die Spitze des mächtigsten Energieverbandes in Deutschland | |
nicht verstanden wissen. Grüne seien in allen gesellschaftlichen Bereichen | |
genauso gerne gesehen wie andere auch – und das Klimaschutzthema habe viele | |
Unternehmen erreicht, sagte Andreae. Insofern sei ihr Wechsel „einfach nur | |
Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung“. | |
Nun ist es also offiziell: Die Grüne Kerstin Andreae wird ab 1. November | |
die neue Hauptgeschäftsführerin des BDEW. Das hat der Vorstand des Verbands | |
am Dienstag mit großer Mehrheit beschlossen, nachdem das Präsidium den | |
Vorschlag bereits vor einer Woche unterbreitet hatte. | |
Der Wechsel ist bemerkenswert. Nicht nur, weil Andreae die erste Grüne | |
überhaupt in diesem Job ist, sondern auch, weil er Fragen aufwirft: Ist der | |
schnelle Wechsel in die Wirtschaft ein Beleg für die Biegsamkeit der | |
Grünen? Oder eher ein Beweis der Zukunftsfähigkeit eines Verbandes, der | |
sich lange an fossile Energien klammerte? | |
Andreae, 50, Volkswirtschaftlerin und Wirtschaftspolitikerin, übernimmt | |
eine anspruchsvolle Aufgabe. Der BDEW wurde früher von Atom- und | |
Kohlestrom-Unternehmen dominiert, von jenen also, gegen die die Grünen | |
kämpften. Doch der Verband hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Heute | |
vertritt er nicht mehr nur RWE oder Vattenfall, sondern auch hunderte | |
Firmen der Erneuerbaren Energien. Entsprechend aufgeschlossen steht er der | |
Energiewende gegenüber. | |
## „Die Zeichen der Zeit erkannt“ | |
Andreae betonte bei der Pressekonferenz in Berlin, es gehe bei der | |
[2][Energiewende] nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. „Die Energie- | |
und Wasserwirtschaft hat sich auf den Weg in eine CO2-arme Zukunft | |
gemacht.“ Mit ihr an der Spitze werde es im Verband keinen großen | |
Paradigmenwechsel geben. | |
Von 2008 bis 2016 wurde der BDEW von Hildegard Müller (CDU) geleitet, | |
ehemals Staatsministerin im Kanzleramt unter Angela Merkel. Danach saß der | |
FDPler Stefan Kapferer, früher Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, im | |
Chefsessel. Andreae will Ende Oktober ihr Bundestagsmandat niederlegen, um | |
dann zu übernehmen. | |
Bei den Grünen überwiegt die Freude über den Wechsel. Sie sei überzeugt, | |
„dass der BDEW die Zeichen der Zeit erkannt hat“, sagte Fraktionschefin | |
Katrin Göring-Eckardt am Dienstag der taz. „Die haben sich für Kerstin | |
entschieden, weil sie sich von ihr die richtige Zukunftsorientierung | |
versprechen.“ Der Verband sei „an vielen Stellen eine Hilfe gegen die | |
destruktive Politik der Bundesregierung in Sachen Energiewende“, sagte | |
Oliver Krischer, Energieexperte der Fraktion. Es sei gut, Kerstin Andreae | |
dort zu wissen. Auch Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin lobte die Personalie: | |
„Wenn nun die Geschäftsführung mit Kerstin Andreae ergrünt, ist das eine | |
gute Nachricht für die Energiewende in Deutschland.“ | |
Aber es gab auch kritische Stimmen. „Es sollte für alle Abgeordneten und | |
hohen Ämter eine Karenzzeit geben bevor man zu Organisationen wechselt, die | |
man vorher reguliert hat“, twitterte der grüne Europaabgeordnete Daniel | |
Freund. „Wir Grünen sollten da mit gutem Beispiel voran gehen.“ | |
## Karenzzeit-Regeln nur für Regierungsmitglieder | |
Auch der Verein Lobbycontrol sieht Probleme. „Solch ein Seitenwechsel | |
direkt aus dem Bundestag in einen Lobbyjob ist enttäuschend“, sagte | |
Sprecherin Christina Deckwirth. Die Grünen hätten sich bislang für mehr | |
Distanz zwischen Politik und Wirtschaft eingesetzt. „Bundestagsabgeordnete | |
sollten ihre Tätigkeit nicht als Sprungbrett für Lobbykarrieren nutzen.“ | |
In Deutschland gibt es Karenzzeit-Regelungen für Regierungsmitglieder. Sie | |
dürfen erst nach einer bestimmten Abklingzeit in die Wirtschaft wechseln. | |
Für Abgeordnete gelten solche Regeln allerdings nicht. | |
Als Super-Reala ihrer Partei war die aus Baden-Württemberg stammende | |
Andreae schon früh im engen Kontakt mit Wirtschaftsunternehmen nicht nur in | |
ihrer Heimat. Seit 2012 sitzt sie als eine von zwei Politikern im | |
Kuratorium der Baden-Badener Unternehmergespräche, einem der | |
einflussreichsten Netzwerke von Unternehmern und Managern in Deutschland. | |
Seit den 50er Jahren wurden hier über 3.500 Führungskräfte der deutscher | |
Spitzenunternehmen weiter gebildet. | |
Kern des Programms ist eine dreiwöchige Klausurtagung, wo die | |
Nachwuchsmanager abgeschieden von der Öffentlichkeit Zukunftsaufgaben der | |
Wirtschaft diskutieren. Auch Politiker von CDU, SPD, FDP und Grünen nehmen | |
an diesen Klausuren immer wieder teil. Darunter war vor einigen Jahren auch | |
Kerstin Andreae. Heute sitzt sie im Kuratorium der „Gespräche“ mit Leuten | |
wie Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche oder Oberpostler Frank Appel. Mitglieder | |
des Trägervereins der Baden-Badener Unternehmergespräche sind auch die | |
Energieversorger EnBW und Eon. | |
## Diverse Wechsel in die Wirtschaft | |
Andreaes Entscheidung dürfte auch eine private Komponente haben. Ihr Mann | |
Volker Ratzmann ist Leiter der Baden-Württembergischen Landesvertretung und | |
übernimmt seit dem Rückzug von Staatsminister Klaus-Peter Murawski auch | |
weitere Aufgaben für den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, | |
so etwa internationale Kontakte speziell nach Frankreich. Beide leben mit | |
drei Kindern in Berlin – und verlegen mit ihrem neuen Amt beide ihren | |
Lebensmittelpunkt dorthin. | |
Mit ihrem Seitenwechsel ist Andreae bei den Baden-Württembergischen Grünen | |
in kurzer Zeit die Dritte, die der Politik den Rücken kehrt. Nach einer | |
privaten Affäre und seinem Abgang aus der Politik 2016 wurde der ehemalige | |
baden-württembergische Umweltminister Alexander Bonde vor zwei Jahren zum | |
Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt berufen. | |
Dieter Salomon, Ex-Oberbürgermeister von Freiburg, heuerte nach seiner | |
Abwahl und einer einjährigen Auszeit als Generalsekretär bei der Industrie | |
und Handelskammer Südlicher Oberrhein an. Davor war er als Nachfolger | |
Kretschmanns gehandelt worden. | |
13 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Umweltpolitik-der-Konservativen/!5614748 | |
[2] /Klimapolitik-der-CDU/CSU/!5614776 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Benno Stieber | |
## TAGS | |
Kerstin Andreae | |
Energiewende | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Volker Ratzmann | |
Lobbyismus | |
Kerstin Andreae | |
Union | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Bundestagswahlkampf | |
Europawahl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grünen-Politiker Volker Ratzmann: Von grün zu gelb | |
Hat er Lust auf Neues oder nimmt er Rücksicht auf den Posten seiner Frau? | |
Der Grünen-Staatssekretär Volker Ratzmann wechselt zur Deutschen Post. | |
Von der Politik in die Wirtschaft: Zaghafte Lobby-Kontrolle | |
Niedersachsen will den Wechsel von MinisterInnen mit Karenzzeitgesetz | |
regeln. Grüner Opposition und Transparenzinitiativen ist das noch viel zu | |
lasch. | |
Grünen-Fraktionschefin über Lobbyismus: „Die Zeichen der Zeit erkannt“ | |
Schadet der Wechsel Kerstin Andreaes zu einem Energieverband den Grünen? Im | |
Gegenteil, findet Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. | |
Umweltpolitik der Konservativen: Grün ist das neue Schwarz | |
Mit Klimapolitik will die Union ihrem derzeit gefährlichsten Gegner, den | |
Grünen, Wähler*innen abspenstig machen. Kann das klappen? | |
Kolumne Die eine Frage: Mehr Sozialökologie wagen | |
Selbst in der Wirtschaft mehren sich Anzeichen für eine sozialökologische | |
Wende. Aber kann auch die CDU Klimapolitik? | |
Kommentar Grüne im Höhenflug: Das Konzept „Merkel“ | |
Radikale Klarheit? Von wegen. Diffuse Indifferenz ist ein Wesensmerkmal der | |
Grünen geworden. Jeder soll sich bei ihnen wohlfühlen. | |
Bas Eickhout über EU-Klimapolitik: „Warum lasst ihr euch das gefallen?“ | |
Bas Eickhout, Spitzenkandidat der EU-Grünen für die Europawahl, ist | |
verblüfft. In Brüssel werde von Merkel 1:1 das vertreten, was die | |
Autoindustrie will. |