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# taz.de -- 50 Jahre Mondlandung: Unser Freund im All
> Was Nazis und Pfadfinder mit der Mondlandung zu tun haben – und weshalb
> heute Spekulanten magisch vom Mond angezogen werden. Zehn Thesen.
Bild: So schön voll, so schön hell: der Mond
## 1. Früher war mehr Mond
Alles begann mit einer Apokalypse ohne Zeugen. Vor Ewigkeiten taumelte die
ungemütliche, heiße Urerde um die Sonne und kollidierte mit einem kleineren
Planeten. Der erfuhr nie, dass ihn die Menschheit 4,5 Milliarden Jahre
später „Theia“ taufen würde. Aus den Trümmern der Urerde jedenfalls
schälten sich zwei Kugeln heraus, die wir heute noch sehr schätzen: Erde
und Mond. Beiden haben Material der gleichen kosmischen Katastrophe intus.
Später kühlte die Erde aus, einschlagende Asteroiden aus dem All brachten
das Wasser auf den Wüstenplaneten. So zumindest lauten die gängigsten
Theorien.
An Vulkanschloten auf den Böden der Ozeane brodelte die Chemie: Elemente
klumpten, reagierten und zerstoben wieder. Bis im Jahr 4.000.234.768 vor
Christus, am 17. August um 5:37 Uhr morgens, exakter Zeitpunkt frei
geschätzt, ein großes Makromolekül etwas Neues lernte: sich kopieren. Das
Ding reproduzierte sich, mutierte, entwickelte sich, und sehr viel später
schreibt eine hoffentlich deutlich höher entwickelte Mutation dessen diesen
Text. Eine andere liest diesen Text. Und isst dabei vielleicht einen
anderen Abkömmling dieser Zeit. Einen Apfel oder ein Huhn. Und Neil
Armstrong, auch so ein Wesen, das sich hochselektiert hat, landete vor 50
Jahren auf dem Mond.
„Hätten wir in dieser Frühzeit schon gelebt, das wäre ein Spektakel
gewesen“, sagt Andreas Burkert. Er leitet den Lehrstuhl für theoretische
und numerische Astrophysik an der LMU München, das Gespräch findet am
Telefon statt, aber selbst durch das Rauschen der Freisprechanlage seines
Wagens klingt der Mann begeistert wie ein kleiner Junge. Der Mond prangte
in der Frühgeschichte der Erde wahrscheinlich zehnmal größer am Firmament,
so nahe war er seinem Mutterplaneten. „Heute übersieht man den Mond ja oft,
was sehr schade ist, weil er so schön ist. Damals war das schwer, es gab
mehrere Mondaufgänge am Tag“, sagt Burkert.
## 2. Ohne Mond wären wir Delfine
Der Mond hat die Wesen, die seine Schönheit erkennen, erst möglich gemacht.
„Wir könnten ohne den Mond nicht existieren“, sagt Burkert. Die frühe Erde
drehte sich zwei- bis dreimal so schnell um ihre eigene Achse wie heute.
Ein Tag hatte acht Stunden, die Winde müssen mit bis zu 500 km/h heftig
gewesen sein. „Strecken Sie bei der Geschwindigkeit mal Ihren Kopf aus dem
Auto“, sagt Burkert. Ohne Mond würde sich die Erde heute noch so kirre
drehen wie damals – kaum denkbar, dass da Menschen entstanden wären.
Der kleine Begleiter der Erde entfernte sich allmählich von ihr, wie auch
heute noch. Bei der Mondlandung vor 50 Jahren war er noch zwei Meter näher.
Ein Akt der Emanzipation; die Energie für seine Flucht zieht der Mond aus
der Erdrotation, die er dadurch bremst.
Vielleicht wäre auch ohne Mond intelligentes Leben wenigstens im Meer
entstanden. „So etwas wie Delfine, die ohnehin vielleicht sogar
intelligenter sind als wir Menschen“, sagt der Professor, der gerade seinen
Wagen in eine Tiefgarage steuert. Delfine haben aber, gibt er zu bedenken,
keine Hände. Sie können keine Werkzeuge benutzen, keine Technologien
entwickeln und nicht zum Mond fliegen. Falls sie das überhaupt wollen
würden.
## 3. Ohne Nazis keine Mondlandung
Das Bremsen der Erdrotation war nicht der einzige Liebesdienst des Mondes
an die Erde. Nebenbei stabilisiert unser pockennarbiger Begleiter – ein
Begriff des Lyrikers Durs Grünbein – auch die Achse der Erde, die sonst wie
ein Kreisel kurz vorm Umfallen um die Sonne taumeln würde. Mal wären die
Pole dort, wo sonst der Äquator ist, mal andersherum.
Das kam in der Erdgeschichte schon vor, aber wesentlich seltener als ohne
Mond. Für höhere Lebensformen wie FridaysforFuture-Aktivist*innen wäre
die Eiererde mit zu starken Klimaänderungen verbunden; Demonstrieren und
vermutlich das Leben selbst würde sehr schwerfallen. Kurzum, der Mond ist
einer der vielen wichtigen kosmischen Zufälle, die zum unbehaarten
Nacktaffen Homo sapiens führten.
Daraus Demut abzuleiten, schien zumindest den Menschen am 16. Juli 1969
fern zu sein. Damals feuerte sich Apollo 11 in den blauen Himmel Floridas
empor, und mit jedem Meter stieg die Gewissheit, dass hier die Krone der
Schöpfung am Werk ist. „Das könnte der Beginn einer neuen Stufe der
Evolution sein. Vergleichbar mit den ersten Amphibien, die in der Urzeit
aus Sümpfen auf trockenes Land krochen“, kommentierte das US-Fernsehen live
den Aufbruch von Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins an der
Spitze der Saturn-V-Rakete. Zusammengesetzt aus 5,6 Millionen Teilen, über
400.000 Menschen hatten an der Mission mitgewirkt.
Das viel zitierte „größte Abenteuer der Menschheit“ war so ambivalent wie
die gesamte Spezies: Die Raketentechnologie war maßgeblich von deutschen
Ingenieuren entwickelt worden, an deren Spitze die von den USA angeworbenen
Nazis Wernher von Braun und Arthur Rudolph standen. Beide mit
verantwortlich für den Tod von mehr als 12.000 Zwangsarbeitern während des
Zweiten Weltkriegs, die bei der Produktion von Hitlers Rakete V2 in
unterirdischen Stollen im Harz starben.
## 4. Der Mond mag Pfadfinder
Die Milliarden Dollar Ausgaben für den Propagandaerfolg gegen die
Sowjetunion kritisierte der Bürgerrechtler Jesse Jackson kurz nach der
Mondlandung am 21. Juli in der New York Times mit den Worten: „Während wir
Leute auf den Mond schicken oder tödliche Raketen nach Moskau oder auf Mao
schießen können, schaffen wir es nicht, genug Lebensmittel zu den Leuten in
die überfüllten Ghettos zu schaffen.“
Am 14. Dezember 1972 verließ schließlich mit Eugene Cernan der vorerst
letzte Mensch den Mond. Zwölf Astronauten hopsten über den kleinen
Zwergenzwilling der Erde, zwölf weitere hatten ihn umkreist. Alle waren
weiße, US-amerikanische Männer. „Alle, außer einem, waren Pfadfinder, fast
alle haben Countrymusik auf dem Weg zum Mond gehört, sie haben 8 Dollar am
Tag verdient, minus einer Gebühr für ein Bett im Raumschiff“, schrieb das
Magazin New Yorker über die auf dem Mond gelandeten Astronauten.
Alle waren in den später 1920ern oder frühen 1930er Jahren geboren, während
der großen Wirtschaftskrise, ihre Väter oft Soldaten im Krieg. „Die
Erwartungen, was das Leben bringt, waren sehr niedrig, und was auch immer
du erreichen wolltet, musstet du dir verdienen“, schrieb der Journalist Tom
Brokaw über diese Generation. Keine Chance auf Ruhm auf dem Mond hatten
damals schwarze Menschen oder Frauen.
## 5. Mondfahrer sind Freaks
Der Flug zum Mond hat die Apollo-Astronauten tief verändert. Der US-Autor
Basil Hero traf für sein jüngst erschienenes Buch „The Mission of a
Lifetime“ alle noch lebenden Apollo-Astronauten.
Jim Lovell, der an Bord von Apollo 13 fast ums Leben gekommen wäre, sagt
etwa, er habe 50 Jahre lang darüber nachgedacht, was wir hier auf der Erde
haben. Sein Ergebnis: „Wir kommen nicht in den Himmel, wenn wir sterben.
Wir kommen in den Himmel, wenn wir geboren werden.“
Michael Collins wurde zum Anhänger der Gaia-These, die besagt, das komplexe
System Erde mit all seinen Lebensformen lasse sich am besten verstehen,
wenn man den Planeten wie ein eigenes Lebewesen betrachtet. „Ich tue immer
so, als würde ich mich mit Göttin Gaia unterhalten“, sagt er. Das helfe
ihm, zu verstehen, was der Mensch der Erde antut.
Sein Apollo-11-Kollege Edwin Aldrin blieb Christ. Dank ihm ist das erste
Getränk, das jemals auf dem Mond ausgeschenkt wurde, Messwein: Aldrin
feierte vor seinem Ausstieg das Abendmahl. „In der Ein-Sechstel-Gravitation
des Mondes kräuselte sich der Wein langsam und anmutig am Rand der Tasse“,
erzählte Aldrin [1][dem Bestsellerautoren Eric Metaxas]. Aldrin behielt die
Anekdote lange für sich, weil die Organisation Amerikanische Atheisten die
Apollo-8-Astronauten verklagt hatten, die während einer Erdumrundung live
aus der Schöpfungsgeschichte lasen.
Der Apollo-14-Astronaut Edgar Mitchell war überwältigt, als er aus dem
dicken Fenster seiner Raumkapsel blickte und Erde, Mond und Sonne im All
sah. Ihn überkam eine Erkenntnis: Ich, mein Raumschiff, die anderen hier
drin, alles da draußen, alles besteht aus Molekülen, die alle im Inneren
längst erloschener Sterne entstanden. Ich bin also eins mit allem. Nach
erfolgreicher Rückkehr auf die Erde gründete Mitchell das esoterische
Institute of Noetic Sciences. Dort glaubt man bis heute, dass alles eins
mit allem ist, und erforscht Phänomene wie die Telepathie.
Schließlich kam also Apollo 17, die letzte Mondlandung. Berühmt für das
Foto Blue Marble, die Blaue Murmel. Sie zeigt ein hell erleuchtetes Rund
namens Erde, prall von Wolken, Wasser und Leben und doch verletzlich. Bis
heute eine ikonografische Aufnahme für die Umweltbewegung.
Der Astronaut, der das Foto aufnahm, hieß Harrison Schmitt. Er stand im
Dezember 2017 stolz hinter US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus, als
dieser eine Direktive für einen neuen Aufbruch zum Mond unterschrieb.
Schmitt ist Republikaner, machte Karriere als Senator und hält den
Klimawandel für eine Erfindung von Umweltfreaks, die eigentlich den
Sozialismus in den USA einführen wollen. Der Vater der Blauen Murmel ist
ein Klimawandelleugner.
## 6. Der Mond mag’s verschwörerisch
Man muss William Kaysing nicht kennen. Aber jeder kennt seine Theorie. Sie
ist die berühmteste Verschwörungstheorie des 20. Jahrhunderts: „Wir waren
nie auf dem Mond“, so der Titel seines Buchs von 1976. Kaysings Eltern
kamen aus Österreich, er sprach fließend Deutsch. In den 40ern diente er in
der Navy, studierte später Englisch, arbeitete kurz bei einem Zulieferer
für die spätere Mondrakete. Er glaubte, dass die Apollo-11-Astronauten
einfach acht Tage die Erde umkreisten und ihre Mondlandung eine
Hollywoodproduktion war.
Kaysing selbst ist bereits verstorben, seine Tochter Wendy lebt noch. Sie
hat sich lange überlegt, ob sie mit der taz telefonieren will, weil so
viele so Schlechtes über ihren Vater geschrieben haben. Sie will per Mail
wissen, ob der Autor die Mondlandung für echt hält. Ja, schon. Was sie von
einem Gespräch überzeugt, ist der englische Wikipedia-Eintrag der taz, in
dem steht, dass die Zeitung die Grünen unterstützt habe. Wendy Kaysing ist
auch eine Grüne. Wäre ihr Vater wohl auch gewesen.
„Mein Vater war ein sehr schlauer Mann. Er war ein Minimalist, wollte mit
so wenig Dingen wie möglich auskommen. Und er hasste den Vietnamkrieg“,
sagt Kaysing am Telefon. Sie ist gerade bei ihrer Schwester in Kalifornien.
Ihr Vater sei wie Bernie Sanders gewesen, die linke Ikone der
US-Demokraten. Jemand, der für die Menschen etwas tun wolle.
Wendy Kaysing spricht viel vom sozialen Engagement ihres Vaters, er setzte
sich für Obdachlose ein und schrieb Bücher darüber, wie man mit wenig Geld
gut kochen kann. Er lebte in Kalifornien und war inspiriert von der
Hippiebewegung, habe aber keine Drogen genommen.
Das Gespräch mit der Tochter des Vaters der Mondverschwörung dauert eine
knappe Stunde. Zu wenig, um ein Urteil über den Mann zu fällen. Aber eines
wird offensichtlich: Die Mondverschwörung ist ein Symptom. Symptom eines
Landes, in dem Regierung und Wirtschaft zu viel lügen. William Kaysing sah,
dass der Kriegsgrund für Vietnam eine Lüge war. Er sah, dass im Fernsehen
Ärzte erzählen, Rauchen sei gesund.
Er sah Werbung, die er für Gehirnwäsche hielt. Also beschloss er, Bücher
über alternative Lebensstile zu schreiben. Wendy Kaysing sagt, das Mondbuch
sei eine ideale Plattform gewesen, heute würde man ihren Vater wohl einen
Influencer nennen. Heute sieht sie, wie ihr Land süchtig nach Opiaten ist,
die Konzerne als Medizin verkaufen. Für die Kaysings sind die USA ein
Dickicht aus Lug und Betrug. In ihrer Welt ist die Mondlandung nur eine von
vielen möglichen falschen Geschichten.
## 7. Der Mond wird weiblich
Man könnte die Sache mit der Mondlüge ja auch einfach klären, wenn wieder
mal jemand dort landen und nach Neil Armstrongs berühmten Fußabdruck
schauen würde.
Die Frage, warum es keinen Mann im Mond mehr gibt, ist schnell beantwortet:
„Wir haben kein nationales Commitment mehr“, sagte Apollo-8-Astronaut
Walter Cunningham 2015 [2][vor dem US-Kongress.] Er beschimpfte gleich noch
die Nasa-Manager als alt und risikoscheu und die stolze Raumfahrtagentur
als verstaubte Behörde.
Cunningham rechnete vor: Als man den Sowjets, die den ersten Satelliten,
den ersten Hund und den ersten Menschen ins All geschossen hatten, endlich
zeigen wollte, wo Hammer und Sichel hängen, erhielt die Nasa 1965 4 Prozent
des Budgets der US-Regierung. Seit dem Ende von Apollo ist es unter 1
Prozent gefallen, seit 15 Jahren unter 0,4 Prozent. Für weitere Mondflüge
war kein Geld da.
Heute gibt es ja wieder ein Kalter-Krieg-Momentum. Die Chinesen landeten im
Januar ihre Sonde Chang’e-4 auf – das ist für alle Pink-Floyd-Fans – „…
Dark Side of the Moon“, was noch niemand auf der von der Erde abgewandten
Seite des Monds schaffte. An Bord erforschen sie, wie sich Eier von
Fruchtfliegen auf dem Mond verhalten.
Die Inder wollen bald ihre Chandrayaan-2 ins All schießen, auf dem Mond
landen und dort am Südpol einen Rover aussetzen. Die Europäer wollen 2025
einen Roboter absetzen, der aus Mondgestein Wasser und Sauerstoff gewinnen
soll, Grundstoffe für eine Mondbasis.
US-Präsident Donald Trump muss also den Stolz der Nation vereidigen. 2024
solle die Nasa gefälligst auf dem Mond landen, verkündete er im März.
Amerika werde die Welt wieder in Staunen versetzen, sagte sein
Vizepräsidenten Mike Pence pathetisch. Die Nasa erklärte dem Sender CNN
daraufhin, man werde dann aber endlich [3][die erste Frau auf den Mond]
bringen.
Es folgte Verwirrung: Im Juni twitterte Trump auf einmal, die Nasa solle
nicht ständig vom Mond quatschen. „Wir sollten uns auf die viel größeren
Dinge fokussieren, die wir tun, inklusive Mars (wovon der Mond ein Teil
ist)“, schrieb Trump. Spötter machten auf Twitter darauf aufmerksam, dass
der Mond nicht Teil des Mars’ sei. Was man schon daran erkenne, dass der
Mond aus Käse und der Mars aus Schokolade sei.
Unabhängig von derartigen astronomischen Detailfragen ist die Finanzierung
der neuen US-Mondmission völlig unklar. Trump will das Nasa-Budget ab 2020
um 1,6 Milliarden Dollar im Jahr erhöhen. Sein Vorschlag zur
Gegenfinanzierung dürfte allerdings kaum durch den US-Kongress kommen: Der
Präsident will laut New York Times dafür ein Programm kürzen, mit dem der
Staat Collegestudenten aus armen Familien unterstützt.
## 8. Der Mond wird Kapitalist
Doch Trumps Allstrategie, die auch bewaffnete Space-Streitkräfte vorsieht,
ist konsistenter, als viele Spötter in Europa glauben. Das hat viel mit
jener Szene aus These 5 zu tun, als Harrison Schmitt hinter Donald Trump
stand. Damals unterzeichnete der Präsident seine erste Weltraumdirektive.
Das Werk lobte selbst die New York Times, weil es nicht nur
Science-Fiction-Visionen enthält, sondern auch pragmatische Hindernisse
für eine Kommerzialisierung des All aus dem Weg räumt: Die USA wollen ein
internationales Flugmanagement für den niedrigen Erdorbit und ein Programm,
um der Vermüllung dort Herr zu werden – die Trümmer des Weltraumzeitalters
gefährden immer mehr Raumfahrzeuge. Vor allem aber wollen die USA das All
für private Investoren attraktiv machen. Für so Typen wie Amazon-Gründer
Jeff Bezos und seine Firma Blue Origin oder Tesla-Gründer Elon Musk mit
seiner Firma SpaceX.
Bezos stellte kürzlich seine Mondlandefähre Blue Moon vor und hielt dazu
eine bizarre Rede, in der er nicht nur eine Mondbasis ankündigte. Er
faselte auch davon, dass die Ressourcen auf der Erde nun bald zur Neige
gingen, weshalb der Mensch im All leben müsse. Bezos glaubt, künftig würden
Milliarden von Menschen in gigantischen, rotierenden, bepflanzten
Space-Zylindern hausen, wie sie der verstorbene US-Physiker Gerard K.
O’Neill in den 1970er Jahren vorschlug.
Aber so bekifft das klingt, Blue Moon scheint derzeit näher an einer
Mondlandung als die Nasa. Bezos hat seinem Erzfeind Trump bereits
vorgeschlagen, die Sache zu übernehmen. Private Firmen wie SpaceX schaffen
es derzeit, Fracht [4][zu einem Viertel des Preises] der Nasa in die
Erdumlaufbahn zu schießen – und haben von der US-Raumfahrtbehörde den
Auftrag erhalten, Mondlandefähren zu entwickeln. Die könnte der Staat dann
als Dienstleistung einfach einkaufen.
Angesichts der Entwicklung hat der Bundesverband der Deutschen Industrie
vor ein paar Wochen ein Grundsatzpapier für Raumfahrtanwendungen
vorgestellt. Das Industrieland Deutschland müsse fit für den Zukunftsmarkt
Weltraum werden, heißt es darin. Der Umsatz mit Allanwendungen könne sich
bis 2040 auf 2,7 Billionen Dollar verzehnfachen.
## 9. Der Mond ist nicht Luxemburg
Sebastian Straube ist kometenhaft überzeugt von dieser Entwicklung. Der
Mann ist einer der wenigen Space-Investoren in Deutschland.
Er lädt zu einem Treffen in eine Lounge für Kunden der Deutschen Bank in
der Friedrichstraße in Berlin. Straube sitzt am Fenster und arbeitet an
einer Präsentation für seine Investmentfirma „Interstellar Ventures“. 100
Millionen Dollar will er von Investoren einsammeln, in Weltraumfirmen
stecken und diese auch beraten. Es ist der erste Fonds dieser Art in
Deutschland, Straube wittert einen neuen Aufbruch ins All.
„Die USA machen aus dem All einen transparenten Wirtschaftsraum für
Unternehmen“, sagt er. Straube trägt Jeans, ein T-Shirt mit der Aufschrift
„I want more space“ und ist kein „Star Trek“-Fan. Das ist ihm wichtig, …
betonen: Er ist kein Träumer oder Space-Enthusiast, das klingt nach
Kleine-Jungs-Träumen von fernen Planeten. Straube geht es um den neuen
Wirtschaftsraum und ums Geldverdienen. „Das ist ganz klar
Hochrisikokapital“, sagt er.
Die Frage beim risikoreichen Rennen zum Mond ist, wem die Käsekugel da oben
gehört. Die Menschheit hat das mit ihren üblichen Allmachtsfantasien 1967
gleich für das ganze Universum in einem [5][Weltraumvertrag] geregelt. Nach
dem dürfen alle Staaten Mond, Mars, Jupiter oder die Andromedagalaxie
gleichberechtigt nutzen. „Es besteht uneingeschränkter Zugang zu allen
Gebieten auf Himmelskörpern“, steht da, die Außerirdischen haben nicht
ratifiziert.
Beruhigend für die ist, dass kein Staat einen anderen Himmelskörper
hoheitlich okkupieren darf. Was das jetzt für private Space-Unternehmer
bedeutet ist so unklar, dass die USA 2015 einfach [6][ein Gesetz] erließen,
in dem steht: Alle US-Staatsbürger*innen dürfen Space-Ressourcen in
Besitz nehmen, abtransportieren, nutzen und verkaufen. Jeff Bezos darf den
Mond kleinhacken, sagen die Amerikaner. Die Deutschen sind damit sehr
unglücklich, die wollen eine internationale Vereinbarung.
Ähnlich dreist wie Amerikaner sind sonst nur die Luxemburger. Der
Zwergstaat erlaubt seit 2017 per Gesetz in Luxemburg ansässigen Firmen, das
Weltall auszubeuten.
Folgende Vorstellung: Eine Chinesin, ein Amerikaner und ein Luxemburgerin
landen am Südpol des Monds. Alle wollen Eiswürfel abbauen, die
intergalaktisch teure Luxuscocktails für die Bourgeoisie auf der Erde
kühlen sollen. Ein fiktives Geschäftsmodell, Sie können es gern umsetzen.
Wem gehört das Mondeis? Sagt die Luxemburgerin: Nach dem [7][Projet de loi
sur l’exploration et l’utilisation des ressources de l’espace] eindeutig
mir! Die Chinesin zückt eine Knarre und sagt: „Fuck you, bitch!“, der
Amerikaner wirft sein Laserschwert an. Geballer und Gesurre, alle sterben.
Man ahnt es: Der Mond ist nicht Luxemburg, und die Luxemburger Armee wird
dort keine Luxemburger Gesetze durchsetzen. Das Ganze ist geschickte PR der
Regierung, um Allinvestoren zu zeigen, dass die Politik in Luxemburg hinter
ihnen steht. „Wenn es um Ressourcen im All geht, dann brauchen wir bald
klare internationale Regeln, damit wir nicht schnell beim Gesetz des
Stärkeren sind“, sagt Franziska Knur, beim Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt für UN-Angelegenheiten zuständig.
Derzeit zieht es Firmen, die die unendlichen Weiten kapitalisieren wollen,
tatsächlich häufig nach Luxemburg. „Deutschland verschläft das Rennen um
den achten Kontinent total“, bemängelt Straube. Die Bundesregierung habe
immer noch kein eigenes Weltraumgesetz auf den Weg gebracht hat, obwohl die
Groko im Koalitionsvertrag eines ankündigte. Achter Kontinent, so wird der
Mond übrigens gern genannt.
Seit Jahren netzwerkt Straube für seine Investmentfirma und kann schon
jetzt sehr viele Geschäftsmodelle für das Weltall aufzählen. Die
US-Amerikaner etwa vermieten ihren Teil der Internationale Raumstation ISS
seit Juni dieses Jahres kommerziell. Theoretisch kann man da jetzt einen
Film oder einen Werbespot drehen. [8][Kostenpunkt für Kost und Logis],
inklusive Sauerstoff und in der Schwerelosigkeit saumäßig komplizierter
Toilettennutzung: 34.000 Dollar täglich.
Straube glaubt aber nicht nur ans Geschäft. Er glaubt auch an den Nutzen
der Raumfahrt: „Ohne Satelliten würden wir den Klimawandel nicht
verstehen“, sagt er und hofft auf eine völlig neue Industrie im All. Wie
Jeff Bezos, der will die Erde vom Ballast der Schwerindustrie erlösen: Auf
der Blauen Murmel wird gewohnt, geliebt, gehasst und Haare geschnitten.
Alles, was stinkt, die ganze Schwerindustrie, will Bezos ins All verlegen.
## 10. Der Mond ist aus Glas
Oder eben auf den Mond. Fabrik, ausgedruckt von einem Roboter aus
Braunschweig. Braunschweig ist da ganz vorn dabei.
Dazu ein Abstecher in einen schmucklosen Zweckbau mit Finanzamtflair am
Rande der Stadt. Dort schließt Enrico Stoll, der Leiter des Institute of
Space Systems der Technischen Universität, einen Glaskasten auf. Darin
befindet sich Regolith, so heißt das Gemisch aus Steinen, Felsen und Sand,
das den Mond meterdick bedeckt. Kein echter, davon gibt es auf Erden zwar
rund 400 Kilo, eingesammelt von russischen Robotern und amerikanischen
Astronauten, doch die Proben sind kostbar und teuer.
In Braunschweig haben sie die Analysen der Originale genommen und sind so
zu Experten im Mondgestein-Simulieren geworden. Weil der Urplanet Theia
Mond und Teile der Erde formte, können die Wissenschaftler*innen mit
Gesteinen aus Deutschland und Skandinavien Regolith nachmixen. Es muss
möglichst unberührt von Wasser sein, das würde die Körner schleifen und dem
Sand die für den Mond typische Rauheit und Kantigkeit nehmen. Fein gemahlen
sieht Regolith aus wie weißer Pfeffer.
Doktorandin Anna Voß hat sich extra ihr sieben Wochen altes Baby in ein
Tragetuch gewickelt und ist ins Institut gefahren, um zu erklären, was
Mondgestein alles kann. Ihr Team beschießt es mit Lasern oder jagt es durch
einen sehr widerstandsfähigen 3-D-Drucker. Der könnte auf dem Mond
theoretisch ganze Häuser aufschichten.
„Nicht nur Häuser. Alle Infrastruktur, die wir auf dem Mond brauchen.
Straßen, Landebahnen, Halterungen von Teleskopen oder auch Kaffeetassen“,
sagt Voß und schaukelt die kleine Miriam. Die Idee dahinter, das oberste
Ziel aller Mondfahrer: Man nehme so wenig wie möglich mit. Mache möglichst
alles aus Stoffen vor Ort. Also aus Stein. Auf dem Mond könnte bald eine
neue Steinzeit anbrechen.
Voß trägt eine gepunktete Bluse, glattes, blondes Haar, ist eine ruhige
Frau, die eher zufällig zur Raumfahrt kam, wie sie sagt. Wieder kein „Star
Trek“-Fan. Aber seit sie das Team geleitet hat, das Mondgestein druckbar
machen will, schaut sie mit einem anderen Blick nach oben. „Ich denk dann
darüber nach, was dort alles möglich sein könnte“, sagt sie.
Sie erzählt auch das, was alle erzählen, die was mit dem Mond machen:
„Ständig fragen mich Freunde und Bekannte, was der Mensch da oben soll. Auf
der Erde gibt es doch genug Probleme“, sagt sie. Auch sie glaubt an den
Nutzen der Raumfahrt und nennt GPS oder Wettersatelliten.
Mittlerweile sind wir in einem Büro angekommen, in dem ein
seifenkistengroßes Gefährt mit dicken Reifen und einem langen Metallrüssel
steht, an dessen Ende der Regolithdrucker befestigt ist. So ähnlich könnte
das Ding aussehen, das irgendwann mal auf dem Mond herumfährt und Häuser
macht. Größtes Problem derzeit: Das Rieselverhalten des Mondgesteins; es
ist mal zu zäh, mal zu flüssig für den Drucker.
Stoll führt noch in den Keller, wo es für Baby Miriam zu sehr nach
Chemiezeug riecht. Überall hängen kleine Raketen an den Wänden. In einem
Raum werkeln zwei Studenten an einem Hybridtreibstoff herum, in der Ecke
schmort gerade Regolith in einem Ofen. Stoll schwärmt davon, was das
Gestein noch alles enthält. Eisenoxid, Aluminiumoxid. Also Metalle und
Sauerstoff. Vor dem Ofen steht gebackener Mond. Der sieht ab 1.200 Grad
Ofentemperatur aus wie der karamellisierte Zucker auf einer Crème brûlée.
Bei 1.500 Grad geschieht etwas Wundersames. Der Regolith transformiert
sich, wird durchsichtig, kristallin, wie Glas. Noch hat Stoll nur einen
kleinen Tropfen davon erschaffen. Aber egal, was bleibt, ist: Mit dem Mond
lassen sich Schlösser aus Sand bauen.
20 Jul 2019
## LINKS
[1] http://ericmetaxas.com/blog/communion-moon-july-20th-1969/
[2] https://www.commerce.senate.gov/public/?a=Files.Serve&File_id=FCB15C53-…
[3] https://edition.cnn.com/2019/05/13/us/nasa-moon-2024-trnd-scn/index.html
[4] https://www.bloomberg.com/graphics/2018-rocket-cost/
[5] https://www.vilp.de/treaty_full?lid=en&cid=196
[6] https://www.congress.gov/bill/114th-congress/house-bill/2262/text
[7] http://legilux.public.lu/eli/etat/leg/loi/2017/07/20/a674/jo
[8] https://www.theverge.com/2019/6/7/18656280/nasa-space-station-private-astro…
## AUTOREN
Ingo Arzt
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