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# taz.de -- Der Hausbesuch: Lieber zusammen als allein
> Drei Kinder, zwei Mütter: Genia und Nina wurden erst Freundinnen und dann
> Mitbewohnerinnen. Zu Besuch in einer Alleinerziehenden-WG in Osnabrück.
Bild: „Im Prinzip funktioniert das besser als in einer Partnerschaft“, sagt…
Arbeit, Kinder, Haushalt – Alleinerziehende haben viel Stress. Warum sich
da nicht einfach zusammentun? Immer mehr alleinerziehende Mütter und Väter
teilen sich Wohnraum und auch die Erziehung der Kinder. In Osnabrück haben
zwei Mütter eine Wohnung gesucht und viel mehr gefunden.
Draußen: Ein Weg, asphaltiert, gut 100 Meter lang. Am Ende links ein
Maisfeld, dahinter nur noch Wald, hier ist Osnabrück zu Ende. Zur Rechten
steht ein weißes Haus, im Garten Tische und Stühle. Große für die
Erwachsenen, kleine für die Kinder. Auf dem Schild am Eingangstor steht in
bunter Kinderkrakelschrift: Nina, Genia, Mayla, Nuria, Elian.
Drinnen: Die Kinder zeigen ihr Zuhause im Erdgeschoss. Eine offene
Wohnküche, je ein Zimmer für die Erwachsenen und die Kinderzimmer. An der
Wand prangen bunte Handabdrücke, vier große, sechs kleine.
Mitbewohner*innen: „Wir denken hier oft an Bullerbü“, sagt Genia und lacht.
Genia P., 27 Jahre, ist die Mutter von Nuria, 5, und Elian, 3. Nina F., 30,
ist die Mutter von Mayla, 6. Die Mütter sitzen am Gartentisch, die Kinder
gießen die Erdbeeren. Dann ist der Sandkasten dran, Burgen bauen,
Sandknödel pressen. Seit einem halben Jahr sind die fünf eine
Wohngemeinschaft.
Freundschaft: Die Mütter haben sich vor drei Jahren kennengelernt. Genia
war lange unterwegs, Österreich, Mexiko, dann kam sie zurück nach
Osnabrück. „Ich war durstig nach inspirierenden Müttern, mit denen man sich
austauschen kann“, sagt sie. Auf der Plattform Couchsurfing wurde sie
fündig. Eigentlich suchen die Mitglieder dort Schlafgelegenheiten in
fremden Städten. Für Genia und Nina begann eine Freundschaft. Beim ersten
Treffen im Park verstanden sich auch die Kinder gut.
Der Entschluss: „Kinder brauchen Kinder, Erwachsene brauchen Erwachsene“,
sagt Nina. Sie hat auch vorher mit Mayla in einer WG gewohnt. Elternabend,
ausgehen, ein Ausflug ohne Kind. „Da müsste ich sonst immer Eltern oder
Freunde anrufen oder einen Babysitter bezahlen.“ Genia suchte damals vor
allem Entlastung. „Jetzt aber schätze ich viel mehr den Austausch.“
Die Suche: Sechs Monate suchten die beiden Mütter gemeinsam ein neues
Zuhause. Kinder, alleinerziehend, Studentin, kein festes Einkommen. Nina
nennt das „Mehrfach-Mankos“. Genia nervte am meisten, dass die Vermieter
immer besser zu wissen schienen, was gut für sie war: Zu klein für die
Kinder, zu teuer, was ist wenn ihr euch mal streitet? „Als ob das bei
Paaren nie passiert“, sagt sie.
Der Artikel: Irgendwann schrieb die Lokalzeitung über sie. „Plötzlich haben
sich die Leute bei uns gemeldet“, sagt Nina. Jetzt schrieb sie keine
Anfragen mehr, sondern Absagen. „Am Ende hätten wir sicher in acht
Wohnungen ziehen können.“ In das Haus am Stadtrand haben sich alle direkt
verliebt. „Die Vermieter waren sich zunächst unsicher“, sagt Genia, „aber
bei der Lage haben wir gesagt: Dafür kämpfen wir.“
Internet: Offline halfen die Menschen, online pöbelten viele. In der
Kommentarspalte des Artikels steht, Genia und Nina seien egoistische
Mütter. Und es stehen dort noch viel wüstere Beschimpfungen. Überrascht war
Genia nicht. „Aber das abzubekommen war trotzdem sehr verletzend.“ Was im
Netz steht, kriegt man nicht so einfach wieder weg. Deshalb gibt es auch
für das Gespräch mit der taz ein paar Regeln: Die Kinder sollen auf den
Fotos nicht erkennbar sein. Und ihre Nachnamen sollen auch nirgends stehen.
„Wir können zwar für uns entscheiden“, sagt Nina, „aber nicht für die
Kinder.“
Inspiration: Nina liest den Kindern gern vor und bastelt. Genia dreht
lieber den Gartenschlauch auf oder geht mit den Kindern in die Stadt. Die
Frauen diskutieren, inspirieren sich, tauschen sich aus. „Wie siehst du
das?“ „Mache ich das richtig?“ Am liebsten abends, mit Blick auf den
Sonnenuntergang über dem Maisfeld. Nina ist froh, dass sie nicht allein
ist, wenn Mayla im Bett liegt. Genia sagt: „Wenn man müde und genervt ist,
ist man nicht 100 Prozent pädagogisch. Dann kann das die andere Person
auffangen.“ Genia und Nina wollen authentisch sein, viel reden, auch
Schwäche und Unsicherheit zeigen.
Streit: Elian und Mayla zerren an einer Frisbee, weil beide damit Sand
schaufeln wollen. Streit gibt es innerhalb von Sekunden. Oft vergeht er
auch genauso schnell, wenn die Mütter schlichten. „Nina darf sich jederzeit
bei meinen Kindern einmischen“, sagt Genia. „Ich bin froh, wenn Genia mein
Kind miterzieht“, sagt Nina. Dieses Vertrauen hat Zeit gebraucht. Und
trotzdem: Manchmal gibt es keine Lösung, die für alle gerecht ist. Dann
gibt es ja noch das Sonnenuntergangs-Gespräch am Abend.
Gemüse: Die Kinder essen kaum Gemüse, die Mütter sind ratlos. Es gibt
Eltern, die sagen: Macht was ihr wollt. Andere zwingen ihre Kinder zum
Essen. Genia und Nina haben es mit Belohnungen probiert, aber am Ende
wollten sie ihre Kinder nicht konditionieren. „Jetzt versuchen wir viel zu
erklären“, sagt Nina. „Eis schmeckt zwar lecker, aber es ist auch wichtig
etwas zu essen, das den Körper gesund hält.“ Funktioniert nicht immer.
Selbstverständlichkeit: Genia freut sich, wenn Nina die Kinder nimmt. Nina
freut sich, wenn Genia die Wohnung putzt. „Wir sehen viel weniger als
selbstverständlich an“, sagt Genia. „Wir haben nicht diese
Du-musst-das-jetzt-aber-machen-Haltung“, sagt Nina. Weniger Erwartungen,
mehr Wertschätzung, weniger Konflikte. Genia: „Im Prinzip funktioniert das
viel besser als in einer Partnerschaft.“
Osnabrück: Nina und Genia kommen beide aus dem Umland und sind
zurückgekehrt. „Als Alleinerziehende ist es wahnsinnig viel wert, dass man
Eltern in der Nähe hat“, sagt Nina. Auch Genias Familie ist hier, vor allem
aber schätzt sie ihre Freunde – die von früher und die, die neu
dazugekommen sind. „Wir haben uns hier richtig etwas aufgebaut.“
Reisen mit Kind: Nina war mit Mayla in Südostasien, in Südamerika und in
vielen Ländern Europas. Genia war mit Nuria in Marokko und in Mexiko. Das
Reisen ist gemeinsames Hobby. „Mit Kind ist es verblüffend wenig anders“,
sagt Nina. „Allerdings reise ich auch alleine sehr langsam.“ Vormittags ins
Kindermuseum und dann nachmittags auf den Markt. „Für die Kinder ist alles
Abenteuer“, sagt Genia. „Und man kriegt viel schneller Zugang zu den
Menschen.“ Die sprachen oft zuerst Nuria an und dann Genia.
Das blaue Zimmer: Bis vor Kurzem war das Gästezimmer noch eine
Abstellkammer, jetzt stehen ein Bett und ein Schrank darin, die Wände sind
frisch gestrichen. Streng genommen sind sie nicht blau, eher türkis, und
das auch nur bis zur Hälfte. „Blaues Zimmer“ klingt trotzdem besser. Einmal
im Monat nehmen die Fünf Couchsurfer bei sich auf. Genia sagt: „Wenn wir
selbst nicht reisen können, dann kommen die Reisenden eben zu uns.“
Pizza: Versammlung um die Kochinsel, zum Abendessen gibt es heute Pizza.
Nina rührt Mehl und Wasser zusammen, Mayla und Nuria kneten den Teig, Genia
schneidet Auberginen. Elian zieht sich an der Tischplatte hoch, und kann
doch noch nicht in die Schüssel gucken. Mayla hat sich Mais, Oliven und
Spinat gewünscht. Und was ist mit dem restlichen Gemüse? „Verstecken wir
unter dem Käse“, flüstert Genia. Nuria streckt die Hand nach oben und ruft:
„He, das habe ich gehört!“
4 Oct 2019
## AUTOREN
Jonas Seufert
## TAGS
Mütter
Wohngemeinschaft
Alternatives Wohnen
Osnabrück
Reisen
Nach Geburt
Franziska Giffey
Schwerpunkt Armut
Schwerpunkt AfD
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