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# taz.de -- Gastgeberin bei Couchsurfing: Fremde auf dem Klappbett
> Das Prinzip von Couchsurfing: Reisende, die man nicht kennt, bei sich zu
> Hause übernachten lassen. Warum tut man das? Ein Erfahrungsbericht.
Bild: Trotz kleinem WG-Zimmer: rechts das Klappbett für Courchsurfing-Gäste
Uppsala taz | „Caner hat einen Aufenthalt bei dir angefragt.“ Ich erhalte
eine Push-Nachricht auf mein Smartphone. Caner, 31, aus der Türkei und sein
Freund Ivo, 24, aus den Niederlanden möchten bei mir couchsurfen, für eine
Nacht, von Samstag auf Sonntag. Sie wohnen in Stockholm, ich für ein
Austauschsemester in Uppsala. Ich checke meinen Kalender und sage zu.
Wenn ich Freund*innen erzähle, dass ich mit Menschen, die ich nicht
kenne, mein acht Quadratmeter großes WG-Zimmer teile und sie auf einer
Gäste-Klappmatratze übernachten lasse, werde ich meist mit zwei Reaktionen
konfrontiert: Die einen, die selbst viel reisen, nicken es ab, stellen
Fragen zu meinen Gästen. Die anderen wundern sich, ob das nicht gefährlich
sei und fragen sich, wieso ich das mache.
Leben an sich ist gefährlich, entgegne ich meist. In den meisten Fällen
läuft alles glatt. Doch es gibt auch Horror-Geschichten wie beispielsweise
die eines Mannes aus München, [1][der Couchsurferinnen betäubt und
vergewaltigt hat und dafür zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.]
Um das Reisen mit Couchsurfing sicherer zu machen, basiert die Plattform
ähnlich wie [2][BlaBlaCar] auf einem Referenz-System. Nach dem Couchsurfen
schreiben sich Gast und Gastgeber*in eine Bewertung. Außerdem haben
Nutzer*innen die Möglichkeit, ihrem Profil ein Foto und eine
Beschreibung hinzuzufügen, mit Charakterzügen, Hobbies, bereisten Ländern.
Außerdem ist Couchsurfing ein Geben und Nehmen. [3][Die Erfahrung basiert
auf gegenseitigem Vertrauen.] Viele Gäste kochen für ihre „Hosts“, andere
bringen ein Gastgeschenk mit.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, das eigene Profil verifizieren zu
lassen. Ob ich jemanden bei mir übernachten lasse, hängt von den Referenzen
und den Infos im Profil ab. Dann entscheidet das Bauchgefühl und der freie
Raum in meinem Kalender. Bisher hatte ich als Gastgeberin keine schlechte
Erfahrungen, sondern bin respektvollen, weltoffenen Menschen begegnet.
## Seit 2020 müssen Nutzer*innen zahlen
Die Idee für die Plattform hatte der US-Amerikaner Casey Fenton, nachdem er
Ende der 1990er-Jahre nach Island reiste und nach einer Alternative zum
Hostel suchte. Er hackte sich in die Datenbank der University of Iceland,
kam so an die Mails von rund 1.500 Studierenden. Dann fragte er sie per
Mail, ob er bei ihnen übernachten könnte und erhielt mehr als 50
Einladungen – die Idee von Couchsurfing war geboren.
2003 ging die erste Version von Couchsurfing online. Fenton verwaltete sie
zunächst mit anderen Freiwilligen. 2005 waren 45.000 Menschen teil der
[4][Couchsurfing-Community]. Ab 2011 änderte sich die Website und ließ nun
auch Werbung schalten, um Einnahmen zu generieren. Ein Grund? Die Community
wuchs, Mitarbeiter mussten eingestellt werden. 2018 waren auf Couchsurfing
nach eigenen Angaben 12 Millionen Nutzer*innen angemeldet. Jedoch ist
nicht jedes Profil auch noch aktiv.
Im Pandemiejahr 2020 hatte die Plattform finanzielle Schwierigkeiten und
stieg auf ein Pay-to-Use-Modell um. Seitdem müssen Nutzer*innen 2,39
Euro monatlich zahlen, um die Seite zu nutzen. Couchsurfer*innen aus
Entwicklungsländern müssen nicht zahlen. Dennoch wurde der Schritt von der
Community kritisiert – zum einen, weil diese nicht in den
Entscheidungsprozess eingebunden wurde und zum anderen, weil mehr als zwei
Euro pauschal für Geringverdiener*innen in einem Land mit niedrigen
Lohnniveau einen anderen Wert haben als für eine Person, die beispielsweise
in Deutschland oder Skandinavien lebt.
## Gemeinsame Erfahrungen schweißen zusammen
Doch zurück zum eigentlichen Couchsurfen: Einige Tage später treffe ich
Caner und Ivo. Mit meinem Van fahren wir in das Naturreservat Norra Lunsen
außerhalb von Uppsala. Wir wandern, rutschen nacheinander auf den vereisten
Wanderwegen aus, knipsen Selfies, verpassen es, nach Sonnenuntergang wieder
aus dem Wald raus zu sein, nehmen eine andere Route und trampen zu dem
Parkplatz zurück, auf dem ich meinen Van geparkt habe. Als wir diesen
erreichen, sind wir erleichtert. Spätestens jetzt fühlen sich die zwei
Fremden nicht mehr fremd an, sondern wie Freunde. Die zehn Kilometer und
mehr als zehn Stürze auf glattteisbedeckten Wegen haben uns
zusammengeschweißt.
Auf der Rückfahrt zu meiner WG fragt Ivo aus den Niederlanden, was an
meinem Radio kaputt ist. „Weiß nicht“, antworte ich und, dass ich es
irgendwann reparieren muss. Ivo, der Urban Development studiert und in
seiner Freizeit elektrische Geräte vom Schrott rettet, repariert und wieder
verkauft, schaut sich am Tag drauf mein Radio an und repariert es – etwas,
das ich Monate vor mir hergeschoben habe.
Caner, Ivo und ich tauschen uns übers Reisen aus, erzählen einander von
unseren Familien, teilen Spotify-Playlists. Sie tauchen in meinen Alltag
ein und dieser mischt sich mit ihren Erfahrungen und mit neuen
Erinnerungen, die wir in diesem Moment schaffen. Wenn man sein Zuhause für
Unbekannte öffnet, die Küche teilt, morgens verschlafen gemeinsam Kaffee
trinkt, dann gibt es wenig Raum, um sich zu verstellen.
## Treffen außerhalb der eigenen Bubble
Mit Jonny aus Dresden, der einige Tage vorher auf meinem Gästebett
übernachtet hat und seine Stelle als Kundenberater in einer Bank nach
mehreren Jahren vor Kurzem gekündigt hat, philosophierte ich über über den
Sinn von 9-to-5-Jobs. Er erzählte, dass er eigentlich nach dem Studium
reisen wollte. „Doch irgendwie bin ich direkt ins Arbeitsleben gerutscht“,
sagt er. Obwohl der ehemalige Banker nur einige Jahre älter ist als ich,
wäre ich ihm in meinem Alltag wahrscheinlich nicht begegnet. Er hat letztes
Jahr geheiratet und fast sein ganzes Leben im selben Bundesland verbracht,
ich hingegen zog von Baden-Württemberg nach Berlin und lebte einige Male im
Ausland.
Als Couchsurfing-Gastgeberin lernt man Menschen außerhalb seiner Bubble
kennen. Als ich in Berlin wohnte und studierte, umgab ich mich mit
Personen, deren Lebensrealitäten meinen eigenen sehr nahe waren:
Student*in, interessiert an Umwelt- und Gleichberechtigungsfragen, in einer
WG wohnend, am Wochenende entweder im Theater oder im Club.
## Klare Kommunikation ist unabdingbar
Jedoch ist auch Couchsurfing an sich eine Art Bubble. Es gibt typische
Gespräche: Welche Länder hast du schon bereist? Wie waren deine anderen
Couchsurfing-Erfahrungen? Wohin geht es als nächstes? Wie bist du auf die
Idee gekommen, die Plattform zu nutzen? Besonders der Austausch von
Reiseerfahrungen schafft ein Gefühl, als würde man selbst reisen.
Was beim Couchsurfen unabdingbar ist? Klare Kommunikation. Für mich
bedeutet es, dass ich kommuniziere, wie viel Zeit ich habe, ob ich arbeiten
muss und dass mein eigenes Frühstück in der Regel aus Kaffee und Kippe
besteht. Frühstück kann ich meinen Gästen deswegen nicht versprechen – denn
auch ich möchte mich nicht verstellen, betreibe kein Hotel, sondern lasse
Reisende an meinem Leben teilhaben. Nehme sie zu meinen Freunden zum
Vorglühen oder zum Karaoke mit. Manchmal spiele ich auch Tourguide, zeige
ihnen mein Lieblingscafé. Andere Male gebe ich lediglich Tipps und wende
mich meinem Laptop zu.
Am Sonntagabend verabschieden sich Caner und Ivo, laden mich nach Stockholm
ein. Jeder geht in sein Leben außerhalb der Couchsurfing-Experience zurück.
Zurück bleiben Fotos, Erfahrungen und ein repariertes Autoradio.
14 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/urteil-in-muenchen-8-jahre-ge…
[2] /Mitfahranbieter-greift-FlixBus-an/!5601676
[3] /Historikerin-ueber-Teilen-und-Tauschen/!5304677
[4] /Doku-Global-Home-im-ZDF/!5058619
## AUTOREN
Klaudia Lagozinski
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