# taz.de -- CSU wirkt derzeit weniger wahnsinnig: Von Opportunisten lernen | |
> Seehofer gibt plötzlich den Staatsmann, Söder den Obergrünen. | |
> Prinzipienlos? Mag sein. Aber so könnte moderner Konservatismus aussehen. | |
Bild: Mia san grian? Ach was | |
Wer wissen will, wie moderner Konservatismus im Jahr 2019 aussehen könnte, | |
sollte nach München schauen. Von Franz Josef Strauß stammt ja das Bonmot, | |
dass der Konservatismus an der Spitze des Fortschritts marschiere. Horst | |
Seehofer und Markus Söder führen gerade vor, wie so etwas in der Jetztzeit | |
aussehen könnte. Sie bewerben die CSU neuerdings [1][als ergrünte | |
Rechtsstaatspartei], als habe es die jahrelange, reaktionäre Fixierung auf | |
das Flüchtlingsthema nie gegeben. | |
Da wäre Seehofer, der Bundesinnenminister, der nach dem Mord im | |
Frankfurter Hauptbahnhof viel richtig gemacht hat. Was kann, was soll | |
Politik tun, wenn ein Mann ein achtjähriges Kind vor einen Zug stößt? | |
Seehofer machte es vor, empathisch, besonnen und mit Gespür für Symbolik. | |
[2][Er unterbrach seinen Urlaub], organisierte eine Pressekonferenz mit den | |
Chefs der wichtigsten Sicherheitsbehörden. So gab er dem Fall die | |
Bedeutung, die er verdient. | |
Denn ja, nach dem Mord in Frankfurt durfte die Politik nicht zur | |
Tagesordnung übergehen. Natürlich ist es wahrscheinlicher, vom Blitz | |
erschlagen als Opfer einer solchen Irrsinnstat zu werden. Und man muss | |
stets betonen, dass es selten sicherer war, in Deutschland zu leben – die | |
Zahl der Straftaten ist auf ein Rekordtief gesunken. | |
Dennoch fühlen sich immer mehr Menschen unsicher. Zwischen der | |
tatsächlichen und der gefühlten Sicherheit klafft eine Lücke. Ein | |
Innenminister, der solche Ängste nicht ernst nimmt, wäre fehl am Platze. | |
Seehofer zog dabei eine präzise Linie zwischen Demokraten und | |
Rechtspopulisten, indem er mehrmals betonte, dass der Mord keinen Anlass | |
gebe, ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Das zielte auf die | |
rechten Demagogen in der AfD, die den traurigen Anlass nutzten, um gegen | |
Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu hetzen. | |
Aber der mutmaßliche Täter ist ein 40-jähriger Eritreer, dem 2008 Asyl in | |
der Schweiz gewährt wurde. Mit Merkels humanitärer Geste aus dem Jahr 2015 | |
hat der Fall nichts, rein gar nichts zu tun. | |
## Resümee der Landtagswahl 2018 | |
Kurz: Seehofer verhält sich gerade wie ein konservativer Staatsmann. Er | |
vertritt harte Law-and-Order-Politik, wirbt etwa für mehr Polizisten und | |
Videokameras, spart sich aber Ausflüge in den Rechtspopulismus. Alle | |
wissen, dass das noch vor Jahresfrist anders war. Seehofer hat die | |
Polarisierung der Gesellschaft, die er heute beklagt, selbst befördert, | |
indem er Migration zur „Mutter aller Probleme“ hochjazzte. Manch frühere | |
Attacke gegen Merkel war von denen der AfD nicht zu unterscheiden. | |
Auch CSU-Chef Markus Söder [3][ist kaum wiederzuerkennen]. Günstigere | |
Bahnfahrkarten, Verbot von Plastiktüten, Klimaschutz ins Grundgesetz – der | |
Bayer feuert fast täglich neue Vorschläge für eine ökologischere Welt. Weil | |
er weiß, dass Bilder zählen, lässt er sein Kabinett unter grünen Platanen | |
im Münchner Hofgarten beraten. Es steht zu befürchten, dass er sich für | |
seine nächsten Auftritte in Claudia-Roth-Roben hüllt. | |
Söders Kehrtwende ist sein Resümee der Landtagswahl 2018, bei der die CSU | |
190.000 WählerInnen an die Grünen verlor. Auch in puncto | |
Rechtsstaatlichkeit lässt Söder nichts mehr anbrennen. Kein Unionspolitiker | |
positioniert sich so hart gegen die AfD wie er. Jene sei auf dem Weg zu | |
einer neuen NPD, sagte er neulich. Es ist noch nicht lange her, dass er | |
selbst gegen angeblichen „Asyltourismus“ polemisierte. | |
Man kann Seehofer und Söder für ihre Opportunismus kritisieren, und | |
tatsächlich ist die Schamlosigkeit, mit der sie sich neu erfinden, | |
atemberaubend. Aber das wäre zu einfach. Parteien müssen Wandel akzeptieren | |
und durchlässig sein für Wünsche der Menschen. Die CSU, so scheint es, hat | |
verstanden. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich ratlos durch | |
die bundespolitische Landschaft tastet, kann von ihr lernen. Das Land | |
braucht einen Konservatismus, der Klimaschutz wichtig findet und engagiert | |
gegen die AfD kämpft. | |
3 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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