# taz.de -- Klimadebatte in Deutschland: Die Simulanten | |
> Alle wollen Klimaschutz. Aber wirklich gehandelt wird nicht, denn CDU/CSU | |
> haben Umweltpolitik bislang nur vorgetäuscht. Söder könnte das ändern. | |
Bild: Es ist an der Zeit für echte Lösungen statt für atemloses Gemuhe | |
Willkommen im Gruselkabinett: Wenn der Weltklimarat (IPCC) heute seinen | |
neuen Sonderbericht zur Landnutzung veröffentlicht, werden einem wieder die | |
Haare zu Berge stehen. Denn auch ohne die Studie im Detail zu kennen, ist | |
klar: Die Erderhitzung bedroht die [1][Ernährungssicherheit] von Millionen | |
Menschen und [2][die Artenvielfalt]. Unsere Landwirtschaft gefährdet unsere | |
Lebensgrundlagen. Die Reaktionen auf den Bericht werden ebenso vorhersehbar | |
sein: allgemeines Entsetzen, gefolgt von Mahnungen und Forderungen, jetzt | |
endlich etwas zu ändern. Dann beschließt die Politik Ziele, die möglichst | |
weit in der Zukunft liegen und sehr ambitioniert sind. | |
Und dann machen wir weiter wie bisher. | |
In diesem fatalen Dreiklang funktioniert momentan die Klimadebatte in | |
Deutschland. Oder besser: So funktioniert sie nicht. Denn fast alle Fakten, | |
die völlig zu Recht die Menschen verunsichern, sind altbekannt. Die | |
Wissenschaft warnt seit spätestens 2007 vor den Folgen der Klimakrise. | |
Ihre Warnungen werden auch deshalb immer lauter, weil sich das Problem | |
durch jahrzehntelange Untätigkeit immer weiter verschärft. Und Gesellschaft | |
und Politik reagieren nun. Allerdings nicht, indem gehandelt wird. Sondern | |
indem Handeln simuliert wird. Wissen ist Ohnmacht. | |
Prominentes Beispiel ist [3][die Forderung von Bayerns Ministerpräsident] | |
Markus Söder, den Klimaschutz ins Grundgesetz zu schreiben. Da steht er | |
allerdings längst – nämlich als Artikel 20a, der den Staat verpflichtet, | |
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Wer das will, kann daraus | |
schon heute sehr effektive Umwelt- und Klimagesetze ableiten. Wer das nicht | |
will, hat mit einer solchen Debatte mal wieder Zeit gewonnen, in der sich | |
nichts tut. Söders Strategie riecht deshalb nach Ablenkungsmanöver. | |
Konkret tut sich kaum etwas | |
Und alle machen mit. Ein paar heiße Sommer und acht Monate | |
[4][Fridays-for-Future-Demonstrationen] haben dazu geführt, dass es in | |
Deutschland sehr viele neue selbst ernannte Klimaschützer*innen gibt. | |
Keine ernst zu nehmende Partei ohne ein mehr oder weniger schlüssiges | |
Klimakonzept. Keine Grillparty ohne Debatte über die Außentemperatur und | |
[5][den Fleischkonsum], kein Unternehmen ohne Hinweis auf seine angeblich | |
grünen Produkte und Bilanzen. | |
Die Medien entdecken, dass der Klimawandel doch ein Thema ist. Eine Serie | |
jagt die nächste: nachhaltiges Leben, grüne Pioniere, die schlimmsten | |
Folgen des Klimawandels. Irgendwann kommen noch Mikroplastik und | |
Feinstaub dazu. Die haben mit dem Klima nichts zu tun, aber egal. | |
Konkret tut sich kaum etwas. Eine informierte Debatte darüber, wie die | |
viertgrößte Industrienation der Welt in 30 Jahren aus den fossilen Energien | |
aussteigen kann, liegt in weiter Ferne. Weltweit steigen und steigen die | |
CO2-Emissionen. In Deutschland sind sie 2018 zwar erstmals seit einem | |
Jahrzehnt wieder gesunken, aber vor allem infolge des warmen Wetters. | |
Gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig | |
sind, stagniert der Ausbau von Wind und Solarkraft. Viel zu wenige Häuser | |
werden gedämmt, viel zu viele SUVs verkauft. Die CDU/CSU – hallo Herr | |
Söder! – hat nichts gegen weitere hochtrabende Ziele, wehrt sich aber gegen | |
konkrete Maßnahmen, um sie zu erreichen. Ist das noch Schizophrenie oder | |
schon Wählertäuschung? | |
Es braucht echte Lösungen | |
All das gab es schon einmal: Der grüne Hype, die Schwüre zur Weltrettung | |
prägten vor zehn Jahren die Debatte, als wir auf den Klimagipfel von | |
Kopenhagen zuschlitterten. Dann kamen ein paar andere Krisen, und alles war | |
wieder vergessen. Nur der Klimawandel ging weiter. Noch ein bisschen früher | |
gab es unter Rot-Grün sogar mal einen Plan für einen CO2-Preis, genannt | |
„Öko-Steuer“. Gegen diesen Einsteig in die ökonomische und ökologische | |
Vernunft im Jahr 2000 wütete erfolgreich die „Benzinwut“-Kampagne. Mit | |
dabei: die damalige Oppositionsführerin, eine gewisse Angela Merkel. | |
Heute kann es den Bremsern von vorgestern nicht schnell genug gehen. Ihr | |
atemloses Geplapper verhindert allerdings eine Verständigung auf echte | |
Lösungen. Ohne viel Aufwand könnte die Parlamentsmehrheit beschließen, dem | |
Rat aller Experten und vieler Nachbarländer zu folgen und einen allgemeinen | |
CO2-Preis einführen. Der Bundestag könnte auch einfach die jährlich etwa 50 | |
Milliarden Euro umweltschädlichen Subventionen streichen, in Ökoenergien, | |
Bahnstrecken und Effizienz investieren oder damit für arme Haushalte höhere | |
Energiepreise abfedern. | |
Die Regierung könnte in Brüssel darauf dringen, eine EU-Agrarpolitik zu | |
machen, die dem Klimaschutz zumindest nicht frontal widerspricht. Berlin | |
könnte die östlichen EU-Länder mit Geld und guten Worten dazu drängen, das | |
Ziel zu unterstützen, Europa bis 2050 emissionsfrei zu machen. Und die | |
Schülerinnen und Schüler könnten freitags wieder Politik lernen, statt sie | |
in Ermangelung einer Regierung selbst zu machen. | |
Sind die Sommerlochpläne von Markus Söder (Kohleausstieg bis 2030, Bayern | |
vorn bei Erneuerbaren, Verfassungsänderung) ernst gemeint, dann kann es der | |
CSU-Chef jetzt beweisen: Er kann in der Union einen ordentlichen CO2-Preis | |
durchsetzen. Er kann seine Parteifreunde, Bundesinnenminister Horst | |
Seehofer und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – derzeit | |
klimapolitische Rohrkrepierer – zu echtem Klimaschutz verpflichten. Und er | |
kann zusammen mit seinem neuen Freund, dem Grünen Winfried Kretschmann, | |
Ministerpräsident in Baden-Württemberg, eine ökologische Südachse bilden. | |
Da könnten die beiden ökonomischen Vorzeigeländer Druck für innovative | |
Firmen und zukunftsfähige Jobs machen. Ein Vorbild finden die Bayern in den | |
USA. Aber nicht, wie bislang zu oft, im raubeinigen Ölstaat Texas. Sondern | |
im progressiven Sonnenstaat Kalifornien, der schon immer die | |
US-Bundesregierung in Washington in Klima- und Umweltfragen vor sich | |
hergetrieben hat. | |
11 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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